Diesel-Debatte: Umweltmediziner hält NO2-Grenzwert für überzogen
Dieselfahrzeuge belasten die Luft mit NO2. EU und die deutsche Politik drängen auf die Einhaltung der Außenluft-Grenzwerte. Der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Arbeits- und Umweltmedizin hält Feinstaub aber für viel gefährlicher.
Der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Arbeits- und Umweltmedizin, Hans Drexler, hat sich im Streit um Grenzwerte und Fahrverbote von Diesel-Fahrzeugen eingeschaltet und vor einer Panikmache beim Stickoxidausstoß gewarnt. "Auch bei 100 Mikrogramm NO2 sehen wir noch keinen Effekt, der krank machen kann", sagte der Erlangener Professor gegenüber der Deutschen Presse-Agentur. Momentan gilt EU-weit ein Grenzwert von 40 Mikrogramm NO2 bei der Außenluft. Im letzten Jahr wurde dieser Wert nach Messungen des Umweltbundesamtes in 70 deutschen Großstädten überstiegen, beim Spitzenreiter München war er im Jahresdurchschnitt mit 78 Mikrogramm knapp doppelt so hoch ausgefallen.
Feinstaub gefährlicher als NO2
Drexler kritisiert vor allem Aussagen, die einen Zusammenhang zwischen NO2-Belastung und Todesfällen herstellen. In Deutschland sollen nach Angaben des European Environmental Bureau (EEB) rund 12.860 vorzeitige Todesfälle in Zusammenhang mit Stickoxid stehen. Diese Zahlen hatte die EU-Kommission bei der jüngsten Debatte um die verfehlte Einhaltung der Grenzwerte in Deutschland ins Feld geführt und mit einer Klage gedroht. "Durch Berechnungen von Stickoxid auf Tote zu schließen, ist wissenschaftlich unseriös", sagt Drexler.
Er hält Feinstaub für deutlich gefährlicher und bezeichnete ihn als "Killer". "Das bleibt in den Zellen hängen, schadet der Lunge, verursacht Herzinfarkte." NO2 habe allerdings mit Feinstaub nichts zu tun und sei auch kein Vorläufer von Feinstaub. Die aktuellen Grenzwerte seien mit einem Sicherheitsfaktor ausgestattet, der von der Politik und Gesellschaft so gewollt würde. Die aktuell festgesetzten Grenzwerte seien eine rein gesellschaftliche Entscheidung.
Angleichung der Grenzwerte für Innen- und Außenluft
Hans Drexler hat als Arbeits- und Umweltmediziner die NO2-Grenzwerte für Industriearbeitsplätze in Deutschland mit erarbeitet. Bei Industriearbeitsplätzen und im Handwerk liegt der Arbeitsplatzgrenzwert (AGW) nach der Gefahrstoffverordnung (GefStoffV) mit 950 Mikrogramm deutlich über den 40 Mikrogramm für Außenluft. Allerdings sind die Werte nicht direkt miteinander vergleichbar: Der NO2-Grenzwert an solchen Arbeitsplätzen gilt lediglich für eine Belastung gesunder Arbeitnehmer bei acht Stunden pro Tag und einer 40-Stunden-Woche. NO2 entsteht an Industriearbeitsplätzen beispielsweise bei Schweißvorgängen.
Der Außenluft-Grenzwert ist dagegen für eine Dauerbelastung in Hinblick auf besonders gefährdete Gruppen wie Kinder, Schwangere, alte Menschen und Personen mit Vorerkrankungen wie beispielsweise Asthma ausgelegt. In Büros und privaten Innenräumen beträgt der NO2-Grenzwert derzeit noch 60 Mikrogramm, wie ihn die Innenraumlufthygienekommission (IRK) festgelegt hat. In Innenräumen können hohe Stickoxidbelastungen beispielsweise durch Kaminfeuer, Gasherde oder Holzöfen entstehen. Die EU strebt an, den NO2-Grenzwert für Büros und private Räume dem niedrigeren Wert für die Außenluft anzugleichen. (olb)