E.ON führt Stromausfall auf "menschliche Fehleinschätzungen" zurück

Es hätten keine technischen Fehlfunktionen als Ursache für den Stromausfall festgestellt werden können, bei dem Anfang November Millionen Haushalte in Europa im Dunkeln saßen.

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Von
  • Jürgen Kuri

Nach Angaben des Energiekonzerns E.ON waren "menschliche Fehleinschätzungen" Ursache des europaweiten Stromausfalls Anfang November. Der Stromausfall hatte Millionen Haushalte in Europa im Dunkeln sitzen gelassen. E.ON, in dessen Netz die Probleme begannen, hatte bislang keine genauen Angaben zu den Ursachen gemacht; anfangs hieß es, der Stromausfall habe mit der Abschaltung einer Hochspannungsleitung im Emsland für die Durchfahrt eines Kreuzfahrtschiffes zusammengehangen. Vermutet wurde, dass nach dem Abschalten der Leitung ein fehlerhaftes Last-Management bei der Einspeisung von Strom aus Windkraft im Nordosten Deutschlands die Störungen entscheidend mit verursacht haben könnte. Zudem war den Stromkonzernen vorgeworfen worden, zu wenig in die Netze zu investieren, während sich vor allem die Betreiber von Windkraftanlagen gegen die Ansicht wehrten, eine erhöhte Einspeisung von aus Windkraft gewonnenem Strom habe die Probleme mit verursacht.

Unzureichende Instandhaltung oder mangelnde Investitionen könnten als Ursache ausgeschlossen werden, betonte E.ON nun bei der Vorstellung des Untersuchungsberichts, der der Bundesnetzagentur vorgelegt wurde. Letzte Details müssten aber noch untersucht werden. Der gesamte Störungsverlauf konnte nach den Angaben von E.ON weitgehend nachvollzogen werden: Die Netzleitstelle habe die jeweilige Situation zwar grundsätzlich ordnungsgemäß beurteilt, aber unter hohem Zeitdruck nicht alle technischen Hilfsmittel für eine umfassende Lagebewertung genutzt. Für technische Fehlfunktionen von Leitungen lägen keine Hinweise vor.

"Vor der planmäßigen Abschaltung der Höchstspannungsleitung über die Ems zur Durchfahrt des Kreuzfahrtschiffes Norwegian Pearl wurde fälschlicherweise angenommen, dass auch beim Ausfall einer weiteren Leitung eine Überlastung des Netzes ausgeschlossen ist", berichtete E.ON zum Vorgehen der Netz-Leitstelle. Etwa eine halbe Stunde später seien aber Überlastungen bei einer anderen Hochspannungsleitung aufgetreten – die Ursache dieser Überlast sei bislang nicht geklärt. Um diese auszugleichen, seien in einem Umspannwerk mehrere Leitungen zusammengeschaltet worden, was aber entgegen der Einschätzung der Mitarbeiter in der Netzleitstelle zum gegenteiligen Effekt geführt habe. "Die Belastung stieg schlagartig an, wodurch eine automatische Abschaltung ausgelöst wurde. Der Ausfall dieser zweiten Leitung löste schließlich einen Dominoeffekt und damit eine vorübergehende Trennung des europäischen Verbundnetzes aus", erklärte E.ON den Vorgang weiter. Bis zur abschließenden Klärung aller Details seien weitere Untersuchungen notwendig; es sei etwa zu klären, warum es kurz vor der Störung zu einem "raschen und unerwarteten Anstieg der Stromflüsse auf den entscheidenden Leitungen im Netz" gekommen sei.

Kurz vor Vorstellung des Untersuchungsberichts zum Stromausfall in Europa wurde bekannt, dass die Energieversorger ihre Investitionen ins Stromnetz im kommenden Jahr nur leicht erhöhen wollen. Die vier großen Netzbetreiber in Deutschland – E.ON, RWE, EnBW und Vattenfall – planen nach Angaben des Verbandes der Elektrizitätswirtschaft eine Steigerung der Investitionen ins Netz von 2,55 Milliarden Euro in diesem Jahr auf 2,65 Milliarden im Jahr 2007. Bis 2020 haben die Stromversorger je 40 Milliarden Euro zur Modernisierung und Erweiterung sowohl des Kraftwerkparks wie auch der Stromnetze zugesagt.

Auch wenn E.ON seiner Netzleitstelle grundsätzlich richtiges Vorgehen bescheinigt, stützt der Vorfall seit einiger Zeit zu vernehmende Warnungen vor der Gefährdung technischer Infrastrukturen wie dem Stromnetz durch zunehmende Komplexität der Systeme und den wachsenden Einsatz normaler, standardisierter IT-Technik. Dabei ist Sicherheitsexperten zum einen die Beherrschbarkeit der Anlagen ein Dorn im Auge. Aber auch die Verwundbarkeit und Fehlerhaftigkeit der eingesetzten IT-Systeme erhöht die Angreifbarkeit und Anfälligkeit der Stromnetze. Nach dem großen Stromausfall in den USA und Kanada im August 2003, bei dem die deutschen Energieerzeuger eiligst betonen, solch ein Vorfall könne sich hierzulande nicht ereignen, stellte sich beispielsweise heraus, dass ein Softwarefehler des Managementsystems XA/21 zur Überwachung und Steuerung von Stromnetzen die Ursache war.

Damals gingen die Diskussionen aber noch weiter: Die Verwundbarkeit der Netze über die IT-Systeme können sich theoretisch auch Cyberkriminelle zunutze machen. Da sich der Zeitpunkt des amerikanischen Blackouts im Jahr 2003 und der Ausbruch des Wurms Lovsan/Blaster überschnitten, gab es damals Vermutungen, der Wurm könnte für den Ausfall mit verantwortlich sein. Im August 2003 wurde zudem ein Bericht über die Ermittlungsergebnisse der Nuclear Regulatory Commission (NRC) bekannt, die das Eindringen des Wurms SQL Slammer in ein Atomkraftwerk von FirstEnergy in Ohio untersuchte: Der Wurm drang im Januar 2003 über eine ungesicherte Leitung in das Netzwerk des Kraftwerks ein und legte ein Überwachungssystem für fast fünf Stunden lahm.

Siehe zu dem Thema auch: