Europäische Informatik setzt auf "Ambient Intelligence"
Das Konzept der "Ambient Intelligence" wolle die Lebens- und Arbeitsumgebung mit intelligenten Funktionen erweitern und rücke die Stärken der europäischen Industrie in den Vordergrund, hieß es auf der GI-Jahrestagung.
Die Europäer investieren derzeit massiv in die Forschung über so genannte "Ambient Intelligence" ("Umgebungsintelligenz"). Darauf wies Matthias Jarke, Präsident der Gesellschaft für Informatik (GI) anlässlich der GI-Jahrestagung hin. Die Europäische Union verfolgt das Konzept der "Ambient Intelligence", das die Lebens- und Arbeitsumgebung mit intelligenten Funktionen erweitern will. Dadurch soll die europäische Industrie in ihren Stärken weiterhin wettbewerbsfähig erhalten werden. Die Europäische Kommission fördert den Bereich in ihrem 6. Rahmenprogramm mit insgesamt 3,63 Milliarden Euro.
Das amerikanische Konzept des "Ubiquitous Computing" rücke im Unterschied zur "Ambient Intelligence" die IT-Grundtechnologien und damit die Stärken der amerikanischen Computerindustrie in den Vordergrund. Die Rechner sollen hier in den Alltag integriert werden. Der Computerkonzern IBM rechnet damit, dass im Jahr 2013 für eine Milliarde Menschen bereits eine Billion elektronisch aufgerüsteter, vernetzter Gegenstände zur Verfügung stehen könnten. Vorläufer dieser smarten Gegenstände sind die Embedded Systems. Schon im Jahr 2000 kamen nach Erhebungen der Pentagon-Forschungseinrichtung DARPA 8 Milliarden Mikroprozessoren zum Einsatz. 98 Prozent der Prozessoren arbeiteten in Embedded Systems, lediglich 2 Prozent in Anwendungen wie dem klassischen PC.
Vor wenigen Tagen beschlossen Ungarn und Deutschland in Ungarn ein Forschungsinstitut zu gründen, dessen erster Arbeitsschwerpunkt der Bereich der "Ambient Intelligence" sein wird. Die Startinvestitionen in Höhe von sechs Millionen Euro tragen beide Länder zu gleichen Teilen. In vier Jahren soll mit der Kooperation von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in Budapest und Kaiserslautern das erste Fraunhofer-Institut in Mittel-, Süd- und Osteuropa entstehen.
Im derzeit weltweit größten Projekt für "Ambient Intelligence", WearIT@Work, entwickelt und erprobt ein europäisches Konsortium unter Leitung der Universität Bremen seit Mitte 2004 Lösungen für "Wearable Computing" in Arbeitskleidung und Arbeitsgeräten, speziell in der Auto- und Flugzeugindustrie und im Gesundheitswesen. Das Projekt mit 36 Partnern aus Wirtschaft und Wissenschaft aus 15 Ländern hat ein Finanzvolumen von 24 Millionen Euro. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat auf Basis eines gemeinsamen Strategiepapiers von GI und VDE kürzlich ein Schwerpunktprogramm "Organic Computing" beschlossen. Sein Ziel ist es, die wachsende Komplexität der uns umgebenden Systeme durch Mechanismen der Selbstorganisation zu beherrschen und an den Bedürfnissen der Menschen zu orientieren.
Im Verkehrsbereich erwarten Experten die schnellsten Fortschritte, da das Auto durch seine Geschlossenheit und stabile Energieversorgung eine geeignete Plattform darstellt. Das "intelligente Haus" hingegen wird sich nur langsam durchsetzen. Bei den Querschnittstechnologien wie den digitalen Informations- und Unterhaltungsmedien, den so genannten Wearables und Smart Labels werden sich die Smart Labels am schnellsten im Alltag durchsetzen. Noch gibt es erst ganz wenige marktreife Anwendungen. Chiphersteller Infineon etwa entwickelte zusammen mit dem Bekleidungshersteller Rosner eine seit wenigen Tagen erhältliche Herrenjacke, in die Funktionen wie Mobil telefonieren per Bluetooth und MP3-Player eingebaut sind. Ende 2004 will Infineon intelligente Textilien präsentieren, die ein sich selbst organisierendes Netzwerk von robusten Chips enthalten sollen. Sie übernehmen Sensorfunktionen zur Überwachung von Druck, Temperatur oder Vibration. Damit könnte etwa ein intelligenter Teppich als Bewegungs- oder Feuermelder dienen oder Klima- und Alarmanlagen steuern. Daneben könnten eingewobene Leuchtdioden einen Teppich oder Wandbehang zum flexiblen Wegweisern oder Werbeträgern machen.
Wenn Gegenstände autonom Informationen austauschen und auf Ressourcen im Internet zugreifen können, muss allerdings auch die Privatsphäre des Einzelnen gewahrt bleiben. GI-Präsident Matthias Jarke appellierte an Hochschulen und Unternehmen "von Anfang an die Technologien so zu entwickeln, dass sie eine hohe Akzeptanz bei den Anwendern finden können". "Die Technologie muss datenschutzkonform gestaltet werden", forderte auch Johann Bizer, stellvertretender Landesdatenschützer in Schleswig-Holstein. "Entwicklungen müssen von ihrem Anwendungskontext her gedacht werden." (Christiane Schulzki-Haddouti) / (jk)