FDP will Gründungsgeschichte des Bundesnachrichtendienstes aufklären

Mit einer kleinen Anfrage will die FDP-Bundestagsfraktion mehr Licht in die Gründungsgeschichte der deutschen Nachrichtendienste bringen.

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Von
  • Christiane Schulzki-Haddouti

Die FDP-Bundestagsfraktion nimmt die jüngsten Bestrebungen des Bundeskriminalamts, sich etwas gründlicher mit seinen nationalsozialistischen Wurzeln zu beschäftigen, zum Anlass, bei der Bundesregierung nach entsprechenden "Nachwirkungen des Nationalsozialismus" im Bundesamt für Verfassungsschutz und im Bundesnachrichtendienst zu fragen (Kleine Anfrage Drs. 16/7063, PDF-Datei).

Die FDP möchte darin wissen, ob beide Behörden ebenfalls Veranstaltungen planen, die ihre Vorgeschichte thematisieren. Außerdem ist den Liberalen zu Ohren gekommen, dass solche Pläne offenbar bereits seit zehn Jahren existieren, ohne dass sie je verwirklicht worden seien. Hierzu möchte die FDP Gründe hören. Auch möchte sie wissen, ob es zutrifft, dass beim Bundesamt für Verfassungsschutz in den 1950er und 1960er Jahren frühere Gestapomitarbeiter führende Positionen inne hatten.

Hinsichtlich des Bundesnachrichtendienstes will die FDP von der Bundesregierung erfahren, ob in der Anfangszeit Mitarbeiter insbesondere aus der Abteilung Fremde Heere Ost (FHO) des Oberkommandos des Heeres der Wehrmacht rekrutiert wurden. Auch möchte sie eine Bestätigung dafür, dass unter den leitenden Offizieren des Bundesnachrichtendienstes während der 1950er Jahre auch ehemalige Angehörige der SS und des SD waren.

Tatsächlich ist spätestens seit 1971 bekannt, dass der Bundesnachrichtendienst von ehemaligen Angehörigen der FHO gegründet wurde. Damals veröffentlichte der Gründungspräsident des BND, Reinhard Gehlen, seine Autobiographie "Der Dienst". Gehlen hatte sich in den letzten Kriegstagen den Amerikanern ausgeliefert – angeblich war er damals bereits davon überzeugt, dass eine Konfrontation zwischen der Sowjetunion und den USA unvermeidlich war. Er schlug daher seinen Vernehmern vor, das "deutsche nachrichtendienstliche Potenzial für die USA nutzbar zu machen".

Mehrere Monate lang wurde Gehlen in den USA im damals namenlosen Vernehmungszentrum "P.O Box 1142", später als Fort Hunt bekannt, vernommen. Über diese Zeit schreibt er nur wenig – Jahrzehnte später wurde bekannt, dass zu den wichtigsten nachrichtendienstlichen Erkenntnissen die deutschen Codebrecher-Fähigkeiten gehörten. Über diese möchte die FDP explizit nichts wissen, doch wäre genau dies interessant, da die näheren Umstände bis heute der Geheimhaltung seitens der allierten Siegermächte unterliegen.

Der Geheimdienstexperte James Bamford berichtete erstmals 2001 in seinem Buch "NSA" darüber, dass das so genannte "Target Intelligence Committee" (TICOM) kurz vor dem Ende des Zweiten Krieges versuchte, so viele deutsche Codeknacker und Schlüsselmaschinen wie möglich aufzugreifen. Das Komitee bestand aus amerikanischen und britischen Codebrechern. Sie versuchten zu erfahren, welche ihrer eigenen Verschlüsselungssysteme enttarnt und für Lauschangriffe anfällig waren. Außerdem wollten sie den Russen und Franzosen bei der Erbeutung des deutschen Aufklärungsmaterials zuvorkommen.

Die TICOM-Teams erbeuteten laut Bamford mehrere Tonnen Dokumente der deutschen Fernmeldeaufklärung sowie viele kryptologische Geräte und Maschinen. Außerdem verhörten sie fast 200 führende deutsche Codespezialisten. Sie wurden heimlich nach England gebracht. Zu den in die USA eingeschleusten Codeknackern gehörte unter anderem Erich Hüttenhain, später der erste Chef der Zentralstelle für Chiffrierwesen, aus dem das heutige Bundesamt für Sicherheit der Informationstechnik (BSI) hervorging. TICOM war so geheim, dass noch heute alle Details über Operationen und Maßnahmen in den USA und Großbritannien einer höheren Geheimhaltungsstufe als "top secret" unterliegen.

Erst seit Bamford ist bekannt, dass die Deutschen eine siebeneinhalb Tonnen schwere Entschlüsselungsmaschine für den russischen Funkverkehr entwickelt hatten. Kurz vor dem Einmarsch der Allierten vergruben sie diese unter einem gepflasterten Platz im Südosten Deutschlands. Ein TICOM-Team grub das in mehrere Kisten verstaute Gerät nach Hinweisen der gefangenen Codebrecher aus und setzte es wieder zusammen. Prompt "begann der Apparat höchst geheime verschlüsselte Nachrichten der Sowjetunion aus dem Äther zu pflücken und wie durch Zauberer deren Klartext auszuspucken", berichtet Bamford.

Die russischen Meldungen bestanden aus neun Teilen und wurden über verschiedene Kanäle übertragen. Der Apparat fügte die empfangenen Funksignale in der richtigen Reihenfolge wieder zusammen. Das TICOM-Team brachte die Maschine nach England. Später wurde ein Apparat oder ein funktionierender Nachbau nach Washington geschickt. Bis heute gilt die Maschine als verschollen. Insofern kann nicht geklärt werden, welche Technik die Deutschen einsetzen und ob diese dem britischen "Colosssus" in irgendeiner Weise ähnelte. Die Entdeckung der deutschen Codebrecher-Maschine ist einer der Hauptgründe, warum bis heute TICOM-Operationen unter absoluter Geheimhaltung liegen. Sowohl Großbritannien als auch die USA haben bis heute kein Datum genannt, zu dem die entsprechenden Dokumente frei entklassifiziert werden sollen.

Politisch brisant ist die Maschine, weil die USA mit Hilfe dieser Maschine bereits in den letzten Kriegstagen in den sowjetischen Funkverkehr einbrechen konnten. Bis 1948 konnten sie den Funkverkehr mitlesen, dann verriet der Amerikaner William Weisband das Geheimnis an die Sowjets. Wie von sowjetischer Seite erst vor zwei Jahren zugegeben wurde, hatte Stalin ebenfalls wie die USA bereits in den letzten Kriegstagen konkrete Vorbereitungen für die Eroberung Japans getroffen. Diese Vorbereitungen blieben aufgrund der deutschen Codebrecher-Maschine vor den Amerikanern kein Geheimnis.

Dank des deutschen Materials und britischer Hilfe konnte die USA nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs den diplomatischen Fernmeldeverkehr zwischen Afghanistan und anderen Ländern zu 100 Prozent lesen. (Christiane Schulzki-Haddouti) / (vbr)