Facebook-Seite sammelt Kinderbilder
Ein Kind freut sich über ein neues Kleid, hat gerade eine Wanderung geschafft oder lacht einfach so süß. Eine Facebookseite sammelt diese Bilder – zur Aufklärung, wie die Betreiber sagen.
Eine Facebookseite beunruhigt Eltern mit gesammelten Bildern von Kindern. Die Seite "Little Miss & Mister" durchforstet Nutzerprofile nach öffentlich sichtbaren Kinderfotos und verbreitet diese. Seit Ende Dezember waren dort bis zu dieser Woche unzählige Fotos von Kindern zusammengekommen, darunter Bilder von Babys und Kleinkindern – zum Teil nahezu nackt, in der Badewanne, in Unterwäsche oder in Badebekleidung am Strand.
Das Profilbild der Seite, die rund 660 Menschen abonniert hatten, zeigt ein Kind, das sich mit Lippenstift schminkt. Nachdem die Seite kurzzeitig nicht mehr zu erreichen war, hat sie nun einen Neustart hingelegt – mit am Donnerstag zunächst rund 50 Abonnenten.
Wer die Seite betreibt, ist unklar
"Auch ihr Kind kann der Star von morgen werden", heiĂźt es in den Informationen. Wer dahinter steckt, bleibt im Unklaren. Die Betreiber der Facebookseite geben sich den offensichtlich ironisch gemeinten Namen "SAsha TIschREin". Mails an die auf der ursprĂĽnglichen Seite angegebene belgische E-Mail-Adresse kommen als unzustellbar zurĂĽck, Anrufe bei einer angegebenen Nummer fĂĽhren zu Personen, die anscheinend nichts mit der Seite zu tun haben.
"Das Phänomen ist in unserem Fachdezernat Cybercrime bekannt", sagt ein Sprecher des Bayerischen Landeskriminalamtes. "Eine Straftat lässt sich daraus nicht ableiten, da die Eltern in der Regel diese Bilder posten und entsprechend freigeben." Somit sei der Zugriff auf die jeweiligen Bilder erlaubt.
Auf der Suche nach Anerkennung
Einer US-Studie zufolge sind inzwischen 90 Prozent der Unter-Zwei-Jährigen schon im Netz präsent. Für den Cyberkriminologen Thomas-Gabriel Rüdiger ist dies eine Auswirkung des "digitalen Narzissmus" der Eltern. "Viele zeigen diese Bilder ja nicht, weil sie damit ihren Kindern etwas Gutes tun möchten, sondern weil sie hoffen, mit den Bildern Anerkennung zum Beispiel in Form von Likes und Kommentaren zu bekommen." Sein Grundsatz: "Sie sollten Bilder nur denen zur Verfügung stellen, denen Sie auch Ihr Kind anvertrauen würden. Und das trifft ja in den seltensten Fällen auf 300 Facebook- oder Instagramfreunde zu."
Auf eine Anfrage via Facebook-Nachricht antwortet ein Administrator: "Viele FB Nutzer schmeiĂźen ihre Informationen durchs www wie Konfetti. Genau das wollen wir aufzeigen. Besonders liegt uns der Schutz von Kinderbildern am Herzen. Das www ist voll von ĂĽblen Menschen, die diese Bilder fĂĽr ihre Zwecke missbrauchen und dem wollen wir entgegen wirken."
Administratoren wollen sich schĂĽtzen
Warum sie nicht offenlegen, wer sie sind? "Wir schĂĽtzen uns und unsere Familien. Mit den 'Wutmuttis' ist nicht zu SpaĂźen." Gleichzeitig schicken die Betreiber Screenshots von wĂĽsten Beschimpfungen und Drohungen betroffener Eltern.
Die Seite hackt keine Profile, sie teilt lediglich die Bilder von Kindern, die für alle öffentlich sichtbar sind – und macht deutlich, wie man die Privatsphäre-Einstellungen ändern kann.
Für einige Mütter ist es dennoch ein Schock, Bilder ihrer Kinder auf der Seite zu entdecken. "Es wurde ein Bild gepostet von meiner Tochter ohne mein Einverständnis ich möchte bitte das das Foto von ihr gelöscht wird denn wird es nicht getan fühle ich mich gezwungen es zur Anzeige bei der Polizei zu bringen" (Fehler im Original), schrieb eine Facebook-Nutzerin.
Gefunden, gepostet
Eine Mutter aus Rosenheim hat ein zehn Jahre altes Foto ihres Sohnes auf der Facebookseite entdeckt. Sie sei zunächst über einen Eintrag in einem Fan-Forum für eine Drogerie-Kette auf die Seite gestoßen, sagt sie der Deutschen Presse-Agentur.
"Ich habe mir die Seite angeschaut und mich hat der Schlag getroffen. Da konnte ich nicht an mich halten, habe geschrieben, was ich davon halte – und so schnell konnte ich gar nicht gucken, da war ich selber Opfer." In Windeseile hatte jemand ein Bild ihres damals sechsjährigen Sohnes auf ihrer Seite gefunden und geteilt.
Auf der ursprünglichen Seite "Little Miss & Mister" machten sich einige Nutzer über die aufgebrachten Mütter lustig – oder sprachen sogar Drohungen aus gegen diejenigen, die sich kritisch zu Wort meldeten.
Die Rosenheimerin hat inzwischen eine eigene Facebookseite für Betroffene gegründet und viele Nutzer darauf aufmerksam gemacht, dass Bilder von ihren Kindern von "Little Miss & Mister" veröffentlicht werden.
Ein Klick reicht
Das Problem: Einträge, die auf Facebook öffentlich und nicht nur für Freunde sichtbar sind, können problemlos mit einem einzigen Klick immer weiter verbreitet werden. Im Zweifel merken das die Betroffenen nicht einmal. Eine Benachrichtigung gibt es nur beim ersten Teilen – danach nicht mehr.
Facebook äußert sich nicht zum konkreten Fall, das Unternehmen weist stattdessen darauf hin, dass Nutzer mit den Privatsphäre-Einstellungen festlegen können, wer ihre Bilder sehen kann.
Befinden sich die Einstellungen auf "öffentlich", sind eben auch die Posts öffentlich. Eine Umstellung auf Sichtbarkeit nur für Freunde kann das Problem beheben. Außerdem können Betroffene Verletzungen von Persönlichkeitsrechten bei Facebook melden, wie das Unternehmen betont.
Die 33-Jährige aus Rosenheim glaubt nicht an ehrenhafte Motive und sagt über die Seite: "Das ist für mich eine perfide Masche, Bilder – da sind auch leicht bekleidete Kinder dabei – Pädophilen zugänglich zu machen."
Und sie ist nicht die einzige mit diesem Verdacht. Die Seite sei "ein Sammelbecken für Bilder, die pädophilen Menschen gefallen", meint eine Facebook-Nutzerin. "Pädokeule hatten wir heute auch erst 1000 mal..", lautet darauf die schlichte Antwort des Administrators.
Der Trend geht zum "Sharenting"
Der Cyberkriminologe Thomas-Gabriel RĂĽdiger von der Fachhochschule der Polizei des Landes Brandenburg sieht in dem Trend zum "Sharenting", einem Kunstwort aus "share" (teilen) und "parenting" (Kindererziehung), die Wurzel des Ăśbels.
Wenn Eltern keine Bilder von ihren Kindern öffentlich machten, gäbe es auch eine solche Seite nicht. "Bilder von erkennbaren Kindern haben im Netz prinzipiell nichts verloren", sagt Rüdiger. Die Polizei Hagen machte bereits im Jahr 2015 Schlagzeilen mit dem Aufruf "Hören Sie bitte auf, Fotos Ihrer Kinder für jedermann sichtbar bei Facebook und Co zu posten! – Auch Ihre Kinder haben eine Privatsphäre!" Diesen Aufruf hat auch die Seite "Little Miss & Mister" gepostet.
(anw)