Kommentar: Europa zwischen China und USA – Abschottung wird nicht guttun

5G war erst der Anfang: China und die USA entkoppeln sich technologisch. Europa wird sich entscheiden müssen, meint TR-Redakteur Wolfgang Stieler.

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Kommentar: Das China-Syndrom

(Bild: Shutterstock)

Lesezeit: 3 Min.

Im Rahmen ihres Handelskriegs mit China übt die US-Regierung seit Monaten Druck auf Unternehmen und verbündete Staaten aus, damit diese keine 5G-Technologie von Huawei einsetzen. Jetzt zieht die chinesische Regierung nach: Chinas Behörden sollen laut einem Bericht der Finan­cial Times innerhalb von drei Jahren auf ausländische Computertechnik oder Software verzichten. Dies gehe aus einer Anweisung des Politbüros der Kommunistischen Partei hervor, die zwar eigentlich vertraulich ist, von der aber zwei ­chinesische Cyber-Security-Firmen und die internationale Denkfabrik Eurasia berichten.

Ein Kommentar von Wolfgang Stieler

Nach dem Studium der Physik wechselte Wolfgang Stieler 1998 zum Journalismus. Bis 2005 arbeitete er bei der c't, um dann als Redakteur der Technology Review zu wirken. Dort betreut er ein breites Themenspektrum von Künstlicher Intelligenz und Robotik über Netzpolitik bis zu Fragen der künftigen Energieversorgung.

Die Entwicklung an sich kommt nicht überraschend. Mit der Zunahme der Spannungen sprechen die Chinesen immer häufiger davon, dass westliche Firmen keine "zuverlässigen Handelspartner" mehr seien und eine "Entkopplung" Chinas von den USA erfolgen müsse. Erstaunlich ist jedoch, wie schnell sich diese Entwicklung jetzt vollzieht. Die Lawine rollt aber nicht nur, sie wird ständig größer. Für Europa sind das keine guten Neuigkeiten. Denn es zeigt sich immer deutlicher: 5G war nur der Anfang. Jetzt kommen Hardware und Software – und der nächste Streitfall wird die Zusammenarbeit bei Forschung und Entwicklung sein.

Das lässt sich beispielsweise aus einem Bericht ablesen, der kürzlich veröffentlicht wurde: In dem Papier "Quantum Dragon" warnt das Beratungsunternehmen Strider Global Intelligence davor, dass chinesische Quantenforscher Geld und Wissen aus der Grundlagenforschung in Europa abziehen, um damit überlegene Militärtechnologie aufzubauen. Im Zentrum der Kritik steht Jian-Wei Pan, der Initiator des Micius-Projekts, bei dem die Chinesen weltweit als Erste eine quantenkryptografische Verbindung über einen Satelliten aufgebaut haben. Pan forscht nicht nur in China, sondern leitet auch eine Arbeitsgruppe in Heidelberg, soll aber zudem in militärische Forschungsprojekte eingebunden sein, zum ­Beispiel bei der Entwicklung eines Quantenradars zum Aufspüren von Tarnkappenbombern und ultraempfindlicher Quantensensoren für die Navigation von Atom-U-Booten.

Was Strider auflistet, ist zwar weder neu noch exklusiv und bisweilen eher eine wacklige Vermutung – ob beispielsweise solch ein Quantenradar wirklich existiert, wird von Fachleuten erheblich angezweifelt. Es liegt aber auf einer politischen Linie, die immer deutlicher wird. Und diese politische Linie lautet: Den Chinesen ist nicht zu trauen. Jede Kooperation mit ihnen ist ein Sicherheitsrisiko.

Die historische Erfahrung zeigt jedoch, dass die beste Versicherung in solchen Fällen nicht gegenseitige Abschottung ist, sondern Offenheit und Kooperation. Nur wer seine Forschungsergebnisse offenlegt, erlaubt auch einem potenziellen Feind, die eigenen Fähigkeiten rational einzuschätzen und rational zu handeln. Das gilt natürlich für beide Seiten – die Amerikaner und auch die Chinesen.

Ganz abgesehen davon, dass gegenseitige Abschottung, Verdächtigungen und Beschuldigungen der Grundlagenforschung nicht guttun. Wenn aber die Grundlagenforschung leidet, wird auch die Entwicklung neuer Technologien gebremst. Ich bezweifle sehr, dass die Menschheit sich diesen Luxus leisten kann.

Dieser Kommentar stammt aus der neuen gedruckten Ausgabe von Technology Review (jetzt im Handel). (jle)