LiMux: Münchner Stadtratsausschuss stimmt für Linux-Aus in der Stadtverwaltung

Der Verwaltungs- und Personalausschuss der Münchner Abgeordnetenversammlung hat beschlossen, bis 2020 eine einheitliche Windows-Infrastruktur zu schaffen und der bisherigen Open-Source-Alternative den Laufpass zu geben.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 485 Kommentare lesen
LiMux: Münchner Stadtratsausschuss stimmt für Linux-Aus in der Stadtverwaltung
Lesezeit: 6 Min.
Inhaltsverzeichnis

Die Münchner Politik vollzieht weiter ihre im Februar prinzipiell eingeleitete Kehrtwende mit dem bisherigen Open-Source-Prestigeprojekt LiMux. So hat der Verwaltungs- und Personalausschuss des Stadtrats am Mittwoch mit den Stimmen der Koalition von SPD und CSU eine fast 170 Seiten lange Beschlussvorlage aus dem Direktorium des Rathauses auf Basis des Accenture-Gutachtens aus dem Vorjahr befürwortet, wonach spätestens bis Ende 2020 eine stadtweit einheitliche Client-Architektur für insgesamt rund 29.000 Rechner auf Windows-Basis geschaffen werden soll. Für Bürotätigkeiten und Internetanwendungen sind demnach parallel "marktübliche Standardprodukte einzusetzen".

Nach jetziger Schätzung wird die Umstellung der IT-Arbeitsplätze auf Windows 10 mindestens zwei Jahre erfordern. Die vom Stadtrat dafür geforderte Kostenschätzung blieb zunächst geheim. Sie könne "aus vergaberechtlichen Gründen" nicht veröffentlicht werden, heißt es in dem Papier. Grüne, Linke und andere Oppositionsfraktionen konnten zumindest noch durchsetzen, dass im Stadtrat in der nächsten Vollversammlung die Zahlen aus der als vertraulich eingestuften Vorlage noch genannt werden sollen. Das Plenum muss den Beschluss noch bestätigen.

Zur erneuten "Bereitstellung" von Microsoft Office als Bürosoftware empfiehlt das Direktorium, vor einem flächendeckenden Abschied von LibreOffice einen solchen Schritt "nochmals detaillierter zu analysieren und zu planen sowie Aufwände, Kosten und Vorgehensplanung durch einen externen Wirtschaftsprüfer validieren zu lassen". Die Ergebnisse sowie ein vollständiges Migrationskonzept sollten dem Stadtrat bis Ende 2018 erneut zur Entscheidung vorgelegt werden. Grund dafür seien "die mit dieser Umstellung verbundenen hohen Kosten".

Nach Informationen von heise online beziffert das Direktorium in seinem geheimen Überschlag die Ausgaben für die Rückkehr zu Microsoft insgesamt auf einen dreistelligen Millionenbereich, auch wenn es nur Einzelposten mit groben Hausnummern anführt. Das übertrifft selbst die bisherigen Schätzungen von Linux-Befürwortern, die von rund 90 Millionen Euro ausgingen. Für eine "qualifizierte" Hochrechnung schlägt das Rathaus ein Pilotprojekt mit zunächst 6000 Lizenzen für Microsoft Office vor.

Das Direktorium und der Ausschuss begründen die gesamte Initiative damit, dass das bisherige Nebeneinander von rund 18.500 LiMux- und 10.700 Windows-Clients einen immensen Verwaltungsaufwand verursache, der auf die Dauer nicht geleistet werden könne. Die Anforderungen der Referate würden damit nicht erfüllt, da die eingesetzte Software nicht rechtzeitig auf dem aktuellsten Stand gehalten werden könne. Aufgrund der langen Lebenszyklen seien veraltete Programme mit Sicherheitslücken und ohne Herstellersupport im Einsatz.

Das Kulturreferat wollte der Vorlage in einer Stellungnahme vom August aufgrund "fehlender und unklarer Rahmenbedingungen und Angaben" aber nicht zustimmen. So werde etwa keine klare Aussage zum "Vor-Ort-Support" getroffen. Zudem erschlössen sich "weder die Höhe der geschätzten Aufwände, wie diese ermittelt wurden, noch wie diese neben der regulären Arbeit durch die Referate und Eigenbetriebe erbracht werden sollen". Da deren Aufgaben und Ziele sehr unterschiedlich und komplex seien, werde es kaum möglich sein, "eine wirklich gemeinsame IT-Strategie" zu entwickeln.

Nur bedingt trägt das Kreisverwaltungsreferat (KVR) das Vorhaben mit. So sei etwa nicht sichergestellt, dass Fachdienststellen IT-Leistungen termingerecht in geeigneter Qualität nach dem Stand der Technik liefern könnten, moniert es. Konkret drohe ohne ausreichendes Risikomanagement, dass es bei der Bürgerfreundlichkeit und den Wartezeiten weiter hapere. Selbst "Schwierigkeiten bei der Durchführung der Landtagswahl" könnten nicht ausgeschlossen werden.

Es bleibe wohl auch bei "häufigen IT-Ausfällen", was zu "weiteren Verstimmungen" bei Bürgern führen werde, befürchtet das KVR. Viele der ins Spiel gebrachten Maßnahmen seien zunächst nur Konzepte, deren Realisierung nochmals "Erhebliches an Zeit und Geld" erforderten. Tatsächlich werde sich die Leistungsfähigkeit erst einmal verschlechtern.

Das Personal- und Organisationsreferat bemängelt, dass Risiken des Projekts nur sehr knapp und nur "aus der IT-Warte" beleuchtet würden. Dass die Frage nach zusätzlichen erforderlichen "Personalmehrungen" offen gelassen werde, moniert das Referat für Stadtplanung. Andererseits betont es, dass die besonders kostspielige Migration auf Microsoft Office "aufgrund der Schnittstellen ein entscheidender Schritt" wäre. Dies habe aus Anwendersicht "deutlichen Vorrang vor der reinen Umstellung auf das Windows-Betriebssystem". Es seien aber "umfangreiche Schulungen der Anwender erforderlich", die im Gegensatz zum Plan des Rathauses "nur im Einzelfall durch E-Learning abgedeckt werden können".

Das Sozialreferat begrüßt die Initiative grundsätzlich, hat aber zahlreiche Bedenken. Vor allem müsse der laufende Betrieb gesichert werden, um hilfsbedürftigen Menschen weiter helfen zu können. Daher dürfe der "standardisierte Aufbau" eines neuen Windows-Clients nicht zu Einbußen der aktuell genutzten Fachverfahren führen. Ein Einsatz von Microsoft Office für 6000 weitere Nutzer sei "ohne die gleichzeitige Bereitstellung von Makros und Vorlagen nicht sinnvoll", ein echter Erkenntnisgewinn nur im vollen Wirkbetrieb möglich. Alles andere könnte zu "falschen Schlussfolgerungen" über die Einsatzfähigkeit des Büropakets führen. Eine Migrationstrategie für die rund 12.000 Vorlagen und Formulare sowie 300 teils komplexen Makros fehle aber. Diese sollte möglichst schnell geschmiedet werden, da "damit weitreichende terminliche und finanzielle Fragestellungen und Risiken verknüpft sind".

Die Stadtkämmerei hob hervor, dass dort vermutlich "erheblicher" Personalaufwand für eine Rückmigration anfielen. Insgesamt lehnt sie die "Blaupause" für die IT-Neuorganisation ab. Das Ressort für Arbeit und Wirtschaft drängt darauf, dass es weiter freigestellt bleiben müsse, "eine gemischte Client-Architektur (Windows/LiMux)" zu betreiben. Nur so könne ein "reibungsloser Betrieb auch bis zur endgültigen Entscheidung aufrecht erhalten werden". (anw)