Missing Link: Science-Fiction und KI – der ewige Kampf zwischen Mensch und Maschine

KI taucht in Science-Fiction meist als negative Macht auf. Zukunftsweisende Szenarien, aber auch aktuelle Probleme wie diskriminierende Daten bleiben außen vor.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 124 Kommentare lesen
HAL 9000, Odyssee im Weltraum, 2001
Lesezeit: 18 Min.
Inhaltsverzeichnis

Wenn es gut läuft, hilft in letzter Sekunde noch ein "Factory Reset". Alle gespeicherten Aufzeichnungen eines meist androiden Roboters werden gelöscht, mit den Werkeinstellungen geht es quasi zurück auf Los. So können Amok laufende oder sich plötzlich ganz menschlich die Sinnfrage stellende Maschinen gerade noch gestoppt werden, bevor ein noch düstereres Ende naht.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Solche dystopischen Erzählstränge ziehen sich durch aktuelle Science-Fiction-Kurzfilme, wie sie etwa das Berliner Sci-fi-Filmfest im Herbst im Programm hatte. Im Streifen "CC" der kanadischen Regisseurinnen Kailey und Sam Spear etwa stellt sich eine fast makellos hübsche Robo-Nanny gegen die Mutter ihres Pflegekinds, weil sie das Gefühl hat, dass sich diese nicht mehr angemessen um ihre Tochter kümmern kann. Die Kleine, die längst Herzchen für das maschinelle Kindermädchen malt, "verdient das Beste", beteuert die Androidin. Nur sie selbst könne das Kind "glücklich, gesund und sicher" halten.

Mehr Infos

Auch heise online und c't wollen mit Science-Fiction-Buchreihen im Hinstorff-Verlag aus der Heise-Gruppe seit Anfang des Monats den Blick dafür schärfen, wie Digitalisierung die Welt verändert. Der neue Programmbereich Science-Fiction startete jüngst mit den "heise online: Welten" und den "c't Stories".

Als die Mutter eines Abends nach dem Rausschmiss aus ihrem Job angetrunken nach Hause zurückkommt, der Nanny nahelegt, nicht mehr den teuersten Saft zu kaufen und dem Kind einen Gutenachtkuss geben will, ist der Eklat unvermeidbar. Die Roboterdame will dies nicht zulassen, da ihr Schützling "es mit mir besser haben wird". Mit einem Messer in der Hand geht sie auf die derangierte Hausherrin zu. Die versucht noch eiligst, das Maschinenwesen übers Handy bei der Herstellerfirma "Cloverhill Kids" zu deaktivieren. Doch natürlich hat sie die Seriennummer nicht im Kopf und dafür die kalte Klinge in der Brust.

Experten des Roboterbauers lassen sich aus dem Speicher der rebellischen Nanny "die Höhepunkte" der internen Body-Cam zeigen und kommen zum Schluss: Ein kurzsichtiger Programmierfehler war an dem Ausraster schuld. "Wir können ihr eine Entschädigung anbieten, wenn sie überlebt", beraten sie knapp über das weitere Vorgehen gegenüber ihrer im Krankenhaus liegenden geschädigten Kundin und drücken den Resetknopf bei der Maschine.

Ähnliche Momente prägen den Neunminüter "Metal Health" des Iren Michael Carolan: "Tom" klagt beim Doktor über Schlafprobleme, die sich auch auf sein Arbeitsleben auswirken. "Sie sind ein wertvolles Produktionsgut", versucht ihm der Arzt gut zuzureden. Der wie ein Model aussehende Leidgeplagte wirft trotzdem die ganz großen Fragen auf, beklagt sich darüber, ein "kleines Rad in einer großen Maschine" und ein "Sklave" zu sein: "Es muss mehr geben als das."

Der Mediziner wirkt überaus überrascht und will eine "kleine Untersuchung" durchführen. Er rammt einen Schraubenzieher in Toms rechtes Ohr, sodass sich auf dessen Nacken ein USB-Anschluss auftut. Über ein damit verbundenes Tablet setzt der Mann im weißen Kittel den Androiden auf die Werkseinstellungen zurück. Doch schon kommen Anrufe mit Beschwerden über ebenfalls sich allzu menschlich verhaltende Arbeitshelfer ohne echtes Fleisch und Blut. Der Arzt klagt völlig zerknirscht über die "neuen Modelle", die ihre Programmierung in Frage stellten und Probleme mit der Firmware hätten. Als das Telefon erneut schrillt, hält er es nicht mehr aus und setzt sich selbst zurück, da er auch Teil der Maschinerie ist.

In die Reihe gut ein schmiegt sich "Introspect" des Londoner Filmemacher Piotr Karter, in dem ein älteres Ehepaar von seinem Sohn Tim einen Butler in Form des absolut "echt" wirkenden "Androiden 008" geschenkt bekommt. Nachdem dieser am Netz und nach einem babylonischen Sprachgewirr endlich auf Englisch eingestellt ist, benimmt er sich standesgemäß sehr höflich. Aspekte wie all die eingebauten Kameras, Sensoren und die damit verknüpften Fragen rund um die eigene Privatheit lässt das Paar zunächst schnell wieder fallen.

Am nächsten Morgen tanzt der Hausherr schon Rock 'n' Roll mit dem Musik abspielenden Roboter. Die Frau beklagt sich: "Er kriegt schon mehr Aufmerksamkeit als ich." Ihr Mann wiegelt ab und zählt die Vorteile des digitalen Mitbewohners auf, der nicht nur Essen servieren oder das Licht ausmachen, sondern auch den Herzschlag kontrollieren und Erinnerungen speichern könnte.

Letztlich überwiegt bei beiden aber doch die Angst vor der Singularität, also dem Zeitpunkt, an dem die Maschine die menschliche Intelligenz überholen und ihre Schöpfer komplett kontrolliert. Der Senior brät 008 mit der Pfanne eins über und erklärt den desolaten Zustand des Assistenten dem eintreffenden Sohn gegenüber mit einem bedauerlichen Unfall. Der nimmt es gelassen und sagt beiläufig, dass er die Videoaufnahmen später checken und seinen Eltern binnen 24 Stunden Ersatz liefern lassen werde. Bedenken des Paares wischt er weg mit dem Hinweis: "Wenn die KI die Steuerung übernähme, würdet ihr das gar nicht merken."

Zwischen Mensch und Maschine so gut wie nicht mehr unterscheiden lässt sich auch in der "Galerie der vergessenen Berufe". Der deutsche Regisseur Willi Kubica verlegt die Handlung ins Jahr 2068, in der ein "anonymer Künstler" Bilder von Arbeitern erstellt hat, deren Jobs längst intelligente Maschinen übernommen haben. Sie seien ersetzt worden durch den Fortschritt, ist einem Gespräch zwischen der geheimnisvoll wirkenden Galeristin Alma und dem Journalisten Marius zu entnehmen, der über die Ausstellung berichten will.

Mit der Digitalisierung ende die menschliche Evolution, nur noch die Technologie entwickle sich weiter, heißt es weiter. Algorithmen hätten sich immer komplexere Tätigkeitsfelder erschlossen und etwa Banker oder Lehrer erübrigt. Auf den Pressevertreter wirken die Bilder unruhig und aufgewühlt, sie lösen bei ihm eine Sehnsucht aus, "wie wenn man die Eltern zuhause besucht".

Maschinen würden nur aufgezogen wie eine Spieluhr, ihnen fehle das Bewusstsein, findet er. Roboter könnten aber eine Imitation von Kunst schaffen. Hier sei der Künstler ein "Freak aus Fleisch und Blut", versichert die Galeristin. Im Gegensatz zu ihrem Besucher stellt die sehr kühl wirkende Lady ihr Cocktailglas wieder auf den Tisch, ohne davon auch nur genippt zu haben. Menschliches hat sie damit nicht wirklich an sich.