Missing Link: Trons Tod – Eine weitere Spurensuche nach 20 Jahren
Vor 20 Jahren wurde in einem Berliner Park die Leiche eines jungen Hackers gefunden. Um den Tod von "Tron" ranken sich bis heute viele GerĂĽchte.
Für die einen war "Tron" eine Lichtgestalt, die ein neues Zeitalter einläutete und seine Jünger in ein Tronland mit einem Tron-Cryptofon und einer Tron-Währung führte. Für die anderen war er ein Student, der seinen Mitstudenten "in Zehnerpotenzen" überlegen war. Für eine andere Gruppe war er die Nemesis schlechthin, drohte er doch, mit seinen Hacks das gesamte Pay-TV-Business in der Orkus zu versenken. Natürlich kann man auch die Wkipedia konsultieren und findet eine weitere, seltsam klingende Lesart: "Trons früher Tod verhinderte die Weiterentwicklung des Cryptophons zum Cryptron, das zum kommerziellen Massenprodukt für die Nutzung im Internet werden sollte." Eine Spurensuche.
Am 22. Oktober 1998, einem Donnerstag, fand ein Spaziergänger mit seinem Hund in einem kleinen Park im Süden Berlins die Leiche eines jungen Mannes, der sich offenbar mit einem Gürtel erhängt hatte. Die alarmierte Polizei sicherte den Fundort, rief ein Bestattungsunternehmen und nahm die Ermittlungen auf. Schnell stellte sich heraus, dass der Tote ein gewisser Boris F. war, der bereits seit Samstag, den 17. Oktober von seiner Mutter als vermisst gemeldet wurde.
Nicht ganz so schnell verlief die weitere Klärung der Umstände. Die auf Weisung der Staatsanwaltschaft durchgeführte Obduktion fand erst am Freitag statt. Die Mediziner legten sich fest, dass Tron am Mittwoch oder in der Nacht zum Donnerstag starb und der Tod durch Erhängen herbeigeführt wurde. Darauf deuteten typische Blutungen durch Zerrung am Kopfbandmuskel hin. Spuren von Gewaltanwendungen durch Dritte finden die Mediziner nicht, auch keine Griffspuren, die darauf hindeuten könnten, dass der 26-jährige Hacker nach seinem Tod an den Fundort der Leiche transportiert wurde. Noch unverdaute Spaghetti und Salatreste deuteten für die Obduzierenden darauf hin, dass er kurz vor seinem Tod noch eine Mahlzeit zu sich nahm.
Gefälschte Telefonkarten, Platinen aus Telefonzellen
Tron, wie sich der Hacker nach dem Computerprogramm Tron im gleichnamigen Disney-Spielfilm nannte, war zum Zeitpunkt seines Todes für die Polizei kein Unbekannter. Er war 1995 aufgefallen, als er mit einem Freund eine Telefonzelle demolierte. Bei der Durchsuchung seiner Taschen fand man drei Chipkarten, die sich als gefälschte Telefonkarten entpuppten, mit denen unbegrenzt telefoniert werden konnte. In einem Wagen fanden sich zudem Platinen, die offenbar aus anderen demolierten Telefonzellen stammten.
Ein Polizeikommissar, selbst gelernter Programmierer, vermutete einen systematischen Betrug und holte sich die Genehmigung für eine Hausdurchsuchung bei Tron. Die Polizisten fanden dort Schaltpläne, Platinen, Trons Computer – und Tron selbst, der wie ein Kind litt, als ihm sein Rechner weggenommen wurde. Im anschließenden Verhör schilderte Tron sein Vorgehen und ließ so etwas wie Stolz erkennen. Er bekam Ende 1995 eine sechsmonatige Haftstrafe auf Bewährung und die Medienberichterstattung über den jungen Hacker-Star begann.
Mit Freunden besuchte Tron 1997 das Hacker-Festival Hacking in Progress (HIP) in den Niederlanden und berichtete recht freimütig über seine Arbeit. "Deutschlands erster 'staatlich anerkannter Hacker' hat in seinem schwarzen Köfferchen jedoch nicht nur diverse, selbst entwickelte Geräte dabei, sondern verrät auch die Formel einer chemischen Lösung, mit der Chips unbeschadet aus ihrem Plastikbett geholt werden können. Für Phone Phreaks ein absolutes Highlight. Am folgenden Tag trifft man sich in einer eher privaten Runde im großen Zelt. Code-Nummern werden gehandelt, verschiedene Tricks ausgetauscht," heißt es in dem Telepolis-Bericht vom Festival. Gegen Ende des Films Hacks von Christine Becker ist Tron ca. bei Minute 60 mit leicht verzerrter Stimme vom HIP-Festival zu hören: "Ich bin der erste, der das deutsche Telefonkartensystem geknackt hat. Das deutsche System ist eines der sichersten, das schwerste in Europa."
Nicht nur das deutsche Telefonkartensystem interessierte Tron, auch die Sicherheitstechnik deutscher Decoder für das Pay-TV wollte er umgehen. In der "Datenschleuder", der Hauspostille des Chaos Computer Clubs, veröffentlichte er im September 1997 unter dem Titel Hacking Digital TV (PDF-Datei, S. 16) eine Beschreibung, wie sich die Nokia dBox des damals von Bertelsmann und der Kirch-Gruppe betriebenen Senders Premiere hacken ließ. Das Thema wurde von Tron vertiefend auf dem 14. Chaos Communication Congress (14C3) vorgestellt.
Konzept fĂĽr verschlĂĽsselte Kommunikation
Während dieser aufregenden Zeit beschäftigte sich Tron aber auch mit seiner Diplomarbeit, die er im Wintersemester 97/98 im Fachbereich technische Informatik an der Technischen Fachhochschule Berlin (heute Beuth Hochschule für Technik) einreichte. Die Realisierung einer Verschlüsselungstechnik für Daten im ISDN B‑Kanal, so der Titel der Arbeit, bestand eigentlich aus zwei Teilen. Im ersten Teil einer eigenständigen Diplomarbeit sollte der Signalisierungskanal des damals fortschrittlichem ISDN-System im Detail analysiert werden, im zweiten Teil sollte Tron sein Datenschutzkonzept entwickeln. Tron beschrieb seinen Teil so: "Es ist daher die Aufgabe dieser Diplomarbeit, ein Konzept zu entwerfen, bei dem die Sprachübertragung beim telefonieren gegen Manipulationen jeglicher Art so geschützt wird, daß die beteiligten Telefoniepartner eine Manipulation erkennen können und eine Interpretation der Nutzdaten einem Dritten erschwert wird."
Eine zweite Diplomarbeit sollte den D-Kanal von ISDN untersuchen, über den die Steuerinformationen zum Auf- und Abbau eines Gespräches oder einer Datenfernübertragung liefen. Nur dann, wenn es gelingt, auch in diesem Kanal Manipulationen jeglicher Art auszuschließen, wäre das gesamte System womöglich sicher gewesen. Leider wurde dieser Teil des Bürger-Sicherungsprojekts nie geliefert. In ziemlicher Eile musste Tron zum nahenden Abgabetermin seiner Arbeit etwas realisieren, das sehr unfertig und dem Perfektionisten ein Graus war. Er schrieb: "Das hier programmierte D‑Kanal-Protokoll arbeitet nur provisorisch und sollte nicht ohne weitere Verbesserungen eingesetzt werden." Auf gut Deutsch: Das System war unsicher und entsprach absolut nicht dem von Tron im Deckblatt der Arbeit geäußerten Anspruch, die Privatsphäre aller Kommunikationsteilnehmer mit Verfahren zu sichern, mit denen Sprach-, Fax- und Computerdaten inklusive des Verbindungsauf- und Abbaus verschlüsselt wurden.
Demonstrator fertiggestellt
In einem Punkt erfüllte Tron die vorab gestellten Ansprüche seiner Diplomarbeit: "Erstellung einer Leiterplatte zur Diplomarbeit auf der die Verschlüsselung und das Verhalten des Telefons bei unterschiedlichen Betriebsarten in einem Versuchsaufbau demonstriert werden." Dieses Hardware-Projekt sollte so gestaltet sein, dass das ISDN-Telefon aus möglichst billigen, in einem Elektronik-Bastelshop kaufbaren Teile mit einer schlichten zweiseitigen Leiterplatte gebaut werden konnte. Dieses von ihm geforderte System lieferte Tron ab. Heute ist es in der Netze-Ausstellung des deutschen Technik-Museums in Berlin ui bewundern. Die Komposition des Demonstrators lässt den Schmerz erahnen, den der Perfektionist über seine Abschlussarbeit empfunden haben mag. Der Weg zu einem einfachen, für Jedermann zugänglichen System war noch weit.
Die Betreuer der Diplomarbeit vergaben für die ungewöhnliche Kombination aus Beschreibung und Bastelanleitung Bestnoten und Tron bekam Stellenangebote von vier deutschen ISDN-Firmen, wollte aber erst nach Afrika reisen und ein paar andere Projekte abschließen. Im Laufe des Jahres 1998 zerschlugen sich die Reisepläne, vielleicht auch, weil sich Tron am Hack des niederländischen Irdeto-Systems beteiligte, das von Pay-TV-Sendern in mehreren europäischen Ländern zum Verschlüsseln eingesetzt wurde. Kurz vor seinem Tode wurde dieser Hack publiziert.
Wilde Spekulationen und kommerzielle Nachfolger
Sobald bekannt geworden war, dass die in Berlin gefundene Leiche eines jungen Mannes ein Hacker namens Tron war, schossen die Spekulationen ins Kraut. Geheimdienste oder Agenten der Pay-TV Sender sollten für sein Ableben verantwortlich sein. Eine besonders absurde Rolle spielte dabei der Berliner Teil des Chaos Computer Clubs, der sich zu allerhand Spekulationen über Geheimdienste, Kühltruhen und Mageninhalte verstieg. Aus der Ferne donnerte dazu CCC-Alterspräsident Wau Holland im Thüringischen: Er werde Trons Telefon, das sogenannte Cryptophon zur Serienreife bringen. Dann brach er das technisch leicht durchführbare Projekt jedoch ab. Angeblich sei er bedroht worden, Leben und Gesundheit von Mitarbeitern seien in Gefahr gewesen.
Heute mag man sich verwundert fragen, warum das angeblich "technisch leicht durchführbare Projekt" dann nicht von anderen engagierten Menschen aufgegriffen wurde, die die Privatsphäre der Bürger verteidigen wollen. Die Antwort ist, dass es technisch eben absolut nicht trivial ist, eine wirklich sichere Verschlüsselung für Gespräche und Datenkommunikation zu entwickeln. Diese Erkenntnis könnte den jungen Hacker Tron auf seinem Weg aus dem Leben beschäftigt haben. Eine Antwort und eine Verbeugung vor Tron gaben die CCC-Mitglieder Andy Müller-Maguhn und Frank Rieger, die im Jahre 2003 die Firma Gesellschaft für sichere mobile Kommunikation (GSMK) gründeten und Trons Ideen mit modernen Smartphones vermarkteten. GSMK bietet für viel Geld international agierenden Firmen und vielleicht auch Geheimdiensten die verschlüsselnde Soft- und Hardware der CryptoPhone-Module an, die Tron vor 20 Jahren auf der Basis von ISDN angedacht hatte.
Trons Erben sind inzwischen in der Gesellschaft angekommen und erstellen für das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik Gutachten zur "Mobilen Endgerätesicherheit in Unternehmen". Bereits zu Trons zehntem Todestag lobte das Jugendmagazin "Fluter" der Bundesanstalt für politische Bildung die kleine Berliner Firma. "Der Traum des Hackers Tron ist wahr geworden." Für die, die es sich leisten können, gibt es das abhörsichere Telefon.
Update 22.10.2018 9:41 Uhr: Heise-Leser haben die Redaktion auf eine weitere Spur hingewiesen, die mitten in die damals tobende Auseinandersetzung der Pay-TV-Sender und ihrer Verschlüsselungssysteme führte – in dieser Lesart finanzierte Rupert Murdoch den Hack des Kirch-Senders Premiere, um der Kirch-Gruppe weiteren Schaden zuzufügen:
NDS war eine Firma, die damals für Murdochs Sender Sky die Verschlüsselung gebaut hat. NDS wurde von Adi Shamir gegründet, dem "S" aus RSA. Dort gab es eine Abteilung, die sich mit Pay-TV-Piraten beschäftigte. Einer der Mitarbeiter von NDS war Ray Adams, ein ehemaliger britischer Polizeibeamter. Bei NDS pflegte er Kontakte zur Pay-TV-Piraten-Szene, insbesondere der Mailingliste tv-crypt und der Webseite THOIC (The House of Ill Compute). Auch zu Tron hielt Adams Kontakt. NDS hat über Adams die Hacks der Konkurrenz finanziert. Dokumentiert sind u.a. Zahlungen an THOIC, aber insbesondere auch an einen gewissen Oliver Kömmerling. Letzteres kam heraus, weil es Hacks gegen Canal+ in Frankreich gab, und Kömmerling als Kronzeuge ausgesagt hat. Kömmerling war auf das Reverse Engineering von Chips spezialisiert. Auf seinem (von NDS finanziertem) Equipment wurde der Premiere-Chip decapped und fotografiert, Tron hat dann händisch das ROM ausgelesen und zusammengesetzt sowie die Software zum Hacken geschrieben (das Kommando zum Aktivieren der Karte nach Bezahlen des Abos hat eine Signatur, die wurde byteweise geprüft – eine simple Timingattacke) An einem Donnerstag geht die Software bei THOIC online, am Samstag verschwindet Tron. Soweit die Zuschrift eines Heise-Lesers.
Zu dieser Lesart gehört der Mythos Hacker, wie ihn der Journalist Burkhard Schröder in seinem Buch über Tron beschreibt. Die entsprechende Passage findet sich auch in seinem Blog: "Der Hacker als Sozialcharakter ist der Magier des Informationszeitalters, ein Mythos, der sich beim näheren Hinschauen als blosse Projektion entlarvt, wie es in der Natur des Mythos liegt...." (tiw)