Missing Link: Von Tahrir zu Trump

Wie konnten digitale Technologien zu Waffen gegen die Demokratie werden? Um das zu verstehen, muss man über die reine Technik hinausschauen.

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Missing Link: Von Tahrir zu Trump

2011: Ägyptische Demonstranten glaubten, mit Smartphone und Internet die Vorherrschaft erlangen zu können.

(Bild: Ed Giles, Getty Images)

Lesezeit: 6 Min.
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Inhaltsverzeichnis

Als Ägyptens abgehalfterter Autokrat Hosni Mubarak während des Aufstands auf dem Tahrir-Platz 2011 Internet und den Mobilfunk abschaltete, ging sein Schuss nach hinten los: Der Informationsfluss wurde zwar eingeschränkt, dafür aber auch die internationale Aufmerksamkeit geweckt. Mubarak hatte nicht verstanden, dass es im 21. Jahrhundert nicht auf Informationen ankommt (von denen wir ohnehin längst zu viel haben), sondern auf Aufmerksamkeit. Der Militärrat, der Mubarak ersetzte, hatte aus dessen Fehlern gelernt: Er setzte umgehend eine eigene Facebook-Seite auf und machte sie zur exklusiven Plattform für seine Kommuniqués.

Nun spielten die Militärs auf dem Spielfeld der Dissidenten mit. „Wir hatten mehr Einfluss, als es nur uns auf Twitter gab“, sagte mir ein prominenter Aktivist. „Jetzt ist es voller Streit zwischen den Dissidenten, die von Regierungsanhängern angegangen werden.“

TR 10/2018

Technology Review Oktober 2018

Dieser Beitrag stammt aus Ausgabe 10/2018 der Technology Review. Das Heft ist ab 13.09.2018 im Handel sowie direkt im heise shop erhältlich. Highlights aus dem Heft:

Diese Entwicklung ist wichtig, um zu verstehen, wie digitale Technologien innerhalb von nur sieben Jahren vom gepriesenen Werkzeug der Freiheit zum Sündenbock für die Tumulte westlicher Demokratien geworden sind.

Zeynep Tufekci ist außerordentliche Professorin an der Universitiy of North Carolina und Kolumnistin der New York Times.

Dabei spielt auch die NSA eine Rolle. Sie verfügt über ein ganzes Arsenal exklusiver Hacking-Tools wie Bugs, Exploits, geheime Hintertüren, effiziente mathematische Verfahren und massive Rechenleistung. Sie werden „NOBUS“ genannt („nobody but us“), was zum Ausdruck bringen soll, dass niemand sonst diese Schwachstellen nutzen kann. Also ist es nicht nötig, sie zu patchen.

Ihre technische und wirtschaftliche Dominanz in einigen Bereichen machen die USA allerdings blind für sehr viel folgenschwerere Schwächen in anderen Bereichen. Das Nobody-but-us-Denken beruht auf falschen Annahmen, was digitale Sicherheit bedeutet: Die Vereinigten Staaten mögen immer noch die besten Waffen für Cyberangriffe haben. Aber John Podesta, der Wahlkampfmanager von Hillary Clinton, fiel während des Präsidentschaftswahlkampfs 2016 auf eine schlichte Phishing-Mail herein, die einfachste Form des Hackens.

So konnte Russland die Mails der Demokraten veröffentlichen und damit die öffentliche Debatte untergraben. Die US-Medien fielen auf einen Aufmerksamkeits-Hack herein: Sie wurden mit irrelevanten Inhalten überschwemmt, und in ihrem Hunger nach Klicks ließen sie sich von ihrer eigentlichen Aufgabe ablenken. Weder Trumps noch Clintons Kampagne erhielten die kritische Beobachtung, die sie verdient hätten.

Bei der IT-Sicherheit geht es eben nicht nur darum, wer mehr Cray-Supercomputer und Kryptografie-Experten hat, sondern auch darum zu verstehen, wie Aufmerksamkeit, Informationsüberflutung und soziale Beziehungen im digitalen Zeitalter funktionieren. Die mächtige Kombination dieser drei Faktoren erklärt, warum seit dem Arabischen Frühling zwar Autoritarismus und Fehlinformationen im Netz gedeihen, nicht aber ein freier Wettbewerb der Ideen. Am deutlichsten wird das Problem im ursprünglichen Leitbild von Facebook: Das soziale Netzwerk wollte demnach die Welt „offener und vernetzter“ machen. Aber offen für was? Und wie vernetzt? Die Notwendigkeit, diese Fragen zu stellen, ist vielleicht die größte Lehre von allen.

Was ist nun zu tun? Es gibt keine einfachen Antworten darauf. Noch wichtiger aber ist, dass es keine rein digitalen Antworten gibt.

Im digitalen Bereich sind sicherlich einige Schritte zu unternehmen: So sollte etwa das schwache Kartellrecht überarbeitet werden, welches einige Konzerne fast zu Monopolisten gemacht hat.

Zudem sollte die allgegenwärtige digitale Überwachung in ihrer jetzigen Form enden. Es gibt keine vernünftige Rechtfertigung dafür, so vielen Firmen die Anhäufung so vieler Daten von so vielen Menschen zu erlauben. Schließlich konnten Werbetreibende früher auch ohne leben, und sie können es wieder. Anzeigen ließen sich beispielsweise mit Inhalten verknüpfen statt mit Personen. Es reicht zum Beispiel völlig aus, mir Werbung für Tauchausrüstungen anzuzeigen, während ich auf einem Taucher-Forum bin, statt aus meinem Verhalten auf anderen Seiten darauf zu schließen, dass ich Taucher bin, und mir dann überallhin zu folgen.

Aber wir sind nicht nur wegen digitaler Technik dort angelangt, wo wir heute sind. Die russische Regierung mag sich über soziale Medien in die US-Wahlen eingemischt haben, aber sie hat nicht die Grundlage für soziales Misstrauen, schwache Institutionen und abgehobene Eliten gelegt, welche die USA erst anfällig für diese Art von Einmischung gemacht haben.

Russland hat die USA und ihre Verbündeten auch nicht dazu gebracht, einen großen Krieg im Nahen Osten zu beginnen und ihn dann so falsch zu handhaben, dass er immer noch verheerende Nachwirkungen wie die Flüchtlingskrise hat, ohne dass jemand dafür je verantwortlich gemacht wurde. Den Finanzkollaps von 2008 hat Russland ebenfalls nicht verursacht: Dies geschah durch korrupte Praktiken, welche die Schuldigen ungeschoren davonkommen ließen, oft noch reicher als zuvor, während Millionen von Amerikanern ihre Arbeitsplätze verloren.

Russland hat nicht das Vertrauen der Amerikaner in Gesundheits-, Umwelt- und Regulierungsbehörden untergraben. Russland hat nicht die Drehtür zwischen dem Kongress und den Lobbyfirmen geöffnet. Russland hat nicht die Hochschulbildung in den Vereinigten Staaten ausgehungert. Russland hat kein globales Netz von Steuerparadiesen geschaffen, in denen Konzerne enorme Reichtümer anhäufen können, während grundlegende Regierungsleistungen gekürzt werden.

Entlang solcher Fehler können einige wenige Meme ihre übergroße Rolle spielen. Und nicht nur russische Meme: Einheimische Akteure in den USA und Westeuropa verbreiteten über digitale Plattformen sehr viel eifriger Fehlinformationen. Wenn die digitale Vernetzung den Funken lieferte, konnte er nur zünden, weil der Brennstoff schon da war.

Um weiterzukommen, sollten wir uns weder der nostalgischen Sehnsucht nach den Gatekeepern der alten Welt hingeben noch dem Idealismus des Arabischen Frühlings hingeben. Sondern herausfinden, wie unsere Institutionen und unsere gesellschaftlichen Sicherungen im 21. Jahrhundert funktionieren sollen – nicht nur für digitale Technologien, sondern für Politik und Wirtschaft im Allgemeinen. Die Verantwortung dafür liegt nicht bei Russland, Facebook, Google oder Twitter, sondern bei uns. (anwe)