Oculus Connect 2016: VR-Sprechstunde mit John Carmack

Zum Auftakt der dritten Oculus-Hausmesse Oculus Connect im kalifornischen San Jose gab Programmier-Legende und VR-Papst John Carmack Entwicklern Feedback zu ihren VR-Projekten – mit einem kleinen, aber entscheidenden Problem.

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John Carmack

Er sieht was, was wir nicht sehen: Programmierlegende John Carmack kommentiert auf der Oculus Connect 2016 viereinhalb Stunden lang VR-Apps.

(Bild: heise online/Roland Austinat)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Roland Austinat

Hunderte von interessierten Zuhörern drängelten sich schon eine halbe Stunde vor Veranstaltungsbeginn vor dem Konferenzraum, in den Oculus-Ikone John Carmack, ehemals Programmierer bei id Software, vom Virtual-Reality-Olymp herabsteigen sollte. Seine Mission: aufstrebenden VR-Entwicklern ungefiltertes Feedback zu ihren Projekten zu geben – und das satte viereinhalb Stunden lang auf der Oculus-Hausmesse Oculus Connect. Bevor Carmack sich ein GearVR-Headset aufsetzt, warnt er: "Was ich heute sage, ist meine Privatmeinung, die von offiziellen Firmenaussagen abweichen kann."

Erster Kandidat für die Carmack'sche Analyse: eine App zum Abspielen von Videos. "Irgendwie kommt es mir komisch vor, dass es so viele Video-Apps gibt", meckert Carmack. "Derzeit sind das über ein Dutzend – ob die alle langfristig Erfolg haben werden, ist fraglich." Der App-Designer trägt die Kritik mit Fassung und schweigt höflich. Carmack legt hingegen nach: "Außerdem ist überhaupt noch nicht klar, wie sich Videos in VR monetarisieren lassen – brauchen wir eine virtuelle Kaffeekasse, in die man ein paar Münzen werfen kann? Oder sollten wir die Zahlungsmethoden von Facebook integrieren?"

Andächtig lauschen die Jünger den Worten des Meisters, einige machen sich so eifrig Notizen wie die Gefolgsleute von Kim Jong-un. Mehr bleibt ihnen auch nicht übrig, denn: Niemand außer John Carmack selbst wird in den nächsten viereinhalb Stunden sehen, was sich unter der VR-Brille abspielt: Das zu Facebook gehörende Unternehmen Oculus schafft es nicht, das Videosignal einer GearVR auf ein externes Display durchzuschleifen

Das ist jammerschade, denn etliche der Carmack'schen Tipps sind durchaus sinnvoll. Etwa: "Zu viel Anti-Aliasing ist ein Problem. Logos und Icons sollten nicht in Photoshop entworfen und dann herunterskaliert, sondern in ihrer finalen Größe designt werden. Verpasst Menüs nie einen weißen Hintergrund, das ist schlecht für die Augen." Doch leider sehen die Anwesenden von alledem nichts. Nach der ersten halben Stunde ist John Carmack immer noch mit der Video-App zugange, bis es schließlich ein Kollege wagt, die Bühne zu betreten und ihm etwas ins Ohr zu raunen. Vermutlich die Bitte, sich etwas kürzer zu fassen, denn nun folgen die Kritiken im Viertelstundentakt.

Ein Knobelspiel, in dem der Spieler aufgrund von mit Google Street View dargestellten Szenen seinen Aufenthaltsort erraten muss? Gut, aber die Entwickler sollten mehr akustisches Feedback geben und Textausgaben nicht automatisch ausblenden, sondern auf die Lesebestätigung der Spieler warten. Noch eine Video-App (!), die Inhalte des TV-Senders Fox Sports darstellt: Technisch gut, passables Streaming, doch sie leidet an Mip-Mapping-Problemen. Ein Kinderspiel namens Kid in a Candy Store krankt an schwummeriger Kameraführung und etwas unklarer Mechanik. Der Action-Titel Wrath of Loki überfordert Spieler mit zu vielen Menüoptionen und zu verschnörkelten Buchstaben: "Nehmt einfache, fast schon langweilige Schriftsätze – das ist selbst bei 2D-Spielen oft ein Problem", mahnt John Carmack.

Langweilig wird es inzwischen allerdings auch vielen Zuhörern – von Zuschauern kann aufgrund des oben beschriebenen Problems zu keinem Zeitpunkt der Veranstaltung die Rede sein. Unsere Sitznachbarn halten keine Stunde durch, unsere Hintermänner machen sich schon früher auf und davon. Wir blicken uns nach 90 Minuten verstohlen um: Der einst volle Raum ist vielleicht noch zu einem Drittel gefüllt. So beschließen auch wir, unser Heil an den zahlreichen Demo-Stationen zu suchen, um endlich – frei nach Paulus – vom Glauben zum Schauen zu wandeln. (mho)