Stromnetz nach dem Vorbild des Internet
Das Peer-to-Peer-Prinzip hat das Internet aufgemischt. Jetzt treten P2P-Startups auch in der klassischen Wirtschaft an – und attackieren zum Beispiel Energieversorger.
"Wir kommen weg von der Versorgerwirtschaft, in der Strom einfach aus der Steckdose kommt", sagt Justus Schütze, Mitbegründer von buzzn. Die Firma aus München will das P2P-Prinzip in der Energieversorgung etablieren, indem sie einen Energieaustausch zwischen „Stromnehmern“ und „Stromgebern“ organisiert. Stromgeber sind dabei alle, die etwa auf dem Dach ihres Hauses eine Solaranlage betreiben, den Strom aber nicht vollständig verbrauchen. Den Überschuss vermittelt buzzn an Verbraucher, die grünen Strom haben wollen. "Es wird nur Strom aus dem Buzzn-Verbund weitergegeben. Wir wollen keine Wasserkraft aus Norwegen dazukaufen", sagt Schütze. Deshalb wird für das Lastprofil eines Tages immer ein leichter Überschuss als Puffer einkalkuliert. Physikalisch bleibe an den Stromflüssen durch das bestehende Netz zwar alles gleich, betont Schütze in der aktuellen Ausgabe der Technology Review (im Handel erhältlich oder online bestellbar). "Aber die Geldflüsse ändern sich."
Unter dem Stichwort "paketbasierte Stromübertragung" arbeiten weltweit jedoch auch Forscher an einer ganz neuen Organisation der Stromversorgung. Die Mainzer GIP AG beispielsweise, ursprünglich aus der IP-Netztechnik kommend, will das Stromnetz buchstäblich nach dem Vorbild des Internets umbauen.
Anstatt eines riesigen Netzes bestünde ein paketbasiertes "Quantum Grid" aus vielen kleineren Teilnetzen. In ihm müsste die Frequenz des Wechselstroms nicht mehr flächendeckend auf 50 Hertz gehalten werden. Stattdessen ließe sich auch Gleichstrom, etwa aus Photovoltaik-Anlagen, verteilen. Wird in einem Teilnetz mehr Energie verbraucht als produziert, speisen andere Teilnetze ihren Überschuss ein – möglichst selbstorganisiert.
Neue Leitungen bräuchte man dafür nicht, aber eine intelligente Strom-Infrastruktur: Denn innerhalb der Netze und zwischen ihnen sollen "Digital Grid Router" gezielt den Strom weiterleiten – und zwar nach dem Vorbild der Datenübertragung in Paketform: Ein solches "Energiepaket" besteht aus drei Teilen: Der Kopf enthält die Start- und Zieladresse, ein Leistungsprofil und Kommandos, die Leitungen zwischen den Netzen freischalten. Die "Payload" ist nutzbarer Strom, der Lampen oder Haushaltsgeräte antreibt, gefolgt von einem dritten Datenpaket, das die Leitungen wieder abschaltet. Kleine Stromspeicher, wie der jetzt von Tesla vorgestellte Powerwall, puffern überschüssige Energie und stabilisieren das Teilnetz.
Dass so etwas im Prinzip geht, haben die japanischen Ingenieure Hiroumi Saitoh und Junichi Toyoda bereits 1996 gezeigt, damals noch für auf 50 Hertz synchronisierte Netze. Forscher der Universität Kyoto um Takashi Hikihara und Rikiya Abe von der Universität Tokio haben in den vergangenen Jahren das Konzept des "Paketstroms" weiterentwickelt. Nun könne man einen praktischen Einsatz der Technik erwägen, schreibt die Gruppe in einem Paper. "Inzwischen ist die Energiebranche offener für solche Ansätze", sagt GIP-Forschungschef Bernd Reifenhäuser. Die Firma arbeitet nun mit Antonello Monti an der RWTH Aachen (E.on ERC) zusammen, um das Energie-Internet voranzutreiben. „Bis die Technologie breit einsetzbar ist, sind aber noch zehn Jahre Entwicklungsarbeit nötig“.
Mehr zum Peer-to-Peer-Prinzip lesen Sie in der aktuellen Ausgabe der Technology Review (im Handel erhältlich oder online bestellbar):
(jle)