US-Wahl: Geteilter Kongress ist gut für den Datenschutz

Die neue Machtteilung zwischen Republikanern und Demokraten wird zu Kontrolle der Geheimdienste und anderer Datenhungriger führen, hofft Marc Rotenberg (EPIC).

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US Capitol

Die Senatsseite des US-Capitols.

(Bild: Daniel AJ Sokolov)

Lesezeit: 7 Min.
Inhaltsverzeichnis

Die US-Wahlen sind im Wesentlichen absolviert. Die Republikaner können ihre Mehrheit im Senat ausbauen, verlieren kurz nach Jahreswechsel aber ihre Mehrheit im Repräsentantenhaus an die Demokraten. "Viele von uns sind froh, dass es ein Gegengewicht im politischen System gibt", sagte Marc Rotenberg am Tag nach der Wahl in Washington zu heise online. "Wenn eine Partei Unterhaus, Oberhaus und Weißes Haus kontrolliert, funktioniert das System nicht wie beabsichtigt." Denn dann würde die Verantwortung zur Kontrolle nicht ausreichend wahrgenommen.

Rotenberg ist Präsident des Electronic Privacy Information Center (EPIC). Diese Nichtregierungsorganisation setzt sich für die Privatsphäre der Bürger ein und nimmt Spenden auch nur von diesen an. Unternehmen als Geldgeber sind nicht willkommen, da sie oft anders gelagerte Interessen haben.

Welche Partei an der Macht ist, ist für die Datenschützer von EPIC nicht so wichtig. "Eines der tollen Dinge beim Thema Privatsphäre ist, dass es in den USA keine parteigebundene Sache ist", betont Rotenberg. Seine Einschätzung hat sich gegenüber dem Gespräch mit heise online nach den US-Wahlen 2014 also nicht geändert. Diesmal fügt er hinzu: "Ich bevorzuge eine Regierung voller Checks and Balances." Jeder Teil soll darauf achten, dass sich die anderen Teile an die Regeln halten.

Genau das hat Rotenberg während der vergangenen beiden Jahre, als die Republikaner in Washington alle Hebel der Macht in Händen hielten, vermisst: "Sie waren zurückhaltend dabei, die Regierung zu kritisieren oder sie zu kontrollieren." Beispiel: "Wir bemerken eine dramatische Zunahme der Gesichtserkennung auf US-Flughäfen – ohne adäquate Aufsicht."

Tatsächlich setzt die Transportation Security Administration (TSA) stark auf Biometrie, insbesondere Gesichtserkennung. Die Überwachung wird als Dienst vermarktet. Zudem werden offenbar alle Flugreisenden von TSA-Algorithmen bewertet. Auch dieses "Scoring" werde vom Kongress nicht beaufsichtigt, kritisiert Rotenberg.

Für die Aufsicht sind die Ausschüsse von Repräsentantenhaus und Senat zuständig. Und dort wird sich nun einiges ändern. Im Repräsentantenhaus werden die Demokraten die Ausschussvorsitzenden stellen und damit Themen und Verfahrensablauf bestimmen können. Rotenberg erwartet, dass sie ihre Kontrollfunktion mit Nachdruck ausüben werden – und das wäre gut für den Schutz von Daten und Privatsphäre.

Obwohl die Ausschussvorsitzen im Senat republikanisch bleiben, kommt es auch dort zu Änderungen. Der besonders einflussreiche Wirtschaftsausschuss des Senats beispielsweise verliert den bisherigen Vorsitzenden John Thune, weil sich für ihn eine parteiinterne Amtszeitbegrenzung als Ausschussvorsitzender auswirkt. Gleichzeitig werden die Demokraten wohl ein neues führendes Ausschussmitglied ("Ranking Member") benennen müssen. Der bisherige Ranking Member, Senator Bill Nelson, hat nach aktuellem Stand die Wiederwahl in Florida knapp nicht geschafft. Es sind noch nicht alle Briefwahlstimmen ausgezählt, anschließend wird es wohl zu einer zweiten Auszählung durch ein Gericht kommen.

Rotenberg hofft nun, dass der neue Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses im Senat mehr für den Schutz der Privatsphäre tun wird als Thune. Dazu gehört aus Rotenbergs Sicht auch, der Luftfahrtbehörde FAA Beine zu machen. Sie reguliert zwar Flugdrohnen, lehnt es bisher aber ab, Vorschriften zum Schutz der Privatsphäre Unbeteiligter zu erlassen.

Es ficht die FAA also nicht an, wenn Drohnen zum Ausspähen und Stalken aus der Luft verwendet werden. Ein eigenes Gesetz würde helfen, aber auch ein Budgetbeschluss könnte die FAA zum Handeln verpflichten. Und da hat der Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses großen Einfluss.

Natürlich hat EPIC eine Wunschliste an den neuen Kongress. Ganz oben steht da ein bundesweiter Mindeststandard für Datenschutz, eine Reform der Geheimdienste und verpflichtende Transparenz bei Algorithmen. Gemeinsam mit der UNESCO, dem europäischen Datenschutzverband EDRi und anderen hat EPIC die Initiative The Public Voice gegründet. Sie hat Universelle Richtlinien für Künstliche Intelligenz mit zwölf Geboten ausgearbeitet.

Erstes Gebot ist dabei Transparenz: Betroffene sollen wissen, auf welcher Basis sie von Algorithmen bewertet werden. Dazu kommt das Recht auf abschließende Beurteilung durch einen Mensch, statt nur Algorithmen alleine. Geheime Profile sollen ebenso verboten werden, wie Scoring-Systeme von Regierungen, die alle Bürger bewerten.

EPIC-Präsident Marc Rotenberg lebt in Washington, DC. Daher ist er zum US-Congress nicht wahlberechtigt. Dennoch hatte er am großen US-Wahltag am Dienstag in der Wahlzelle rund ein Dutzend Entscheidungen zu treffen.

(Bild: Daniel AJ Sokolov)

Diese zwölf Gebote möchte EPIC bei der OECD, Wissenschaftsgremien und unter anderem der US-Handelsbehörde FTC verankern. Mit der FTC hat EPIC sowieso ein Huhn zu rupfen: Sie komme ihrer Aufgabe als Datenschutzbehörde nicht nach. "Die FTC hat diese Rolle nicht ausgefüllt. Sie setzt nicht einmal ihre eigenen Anordnungen durch", hält Rotenberg fest.

Prominentes Beispiel ist das seit 2011 geltende Consent Decree, mit dem sich Facebook zu bestimmten Datenschutzauflagen verpflichtet hat. "Aber die FTC hat es nie durchgesetzt, obwohl es dazu mehrere Anlässe gegeben hat", beklagt Rotenberg, "nicht einmal nach dem Cambridge-Analytica-Skandal." Auch hier hätten Aufsicht und Kontrolle durch den Congress versagt.

Datenschutz erfordere eine eigene, spezialisierte Behörde, ist Rotenberg überzeugt. Ihm dienen die europäischen und australischen Datenschutzbehörden als Vorbild, "mit rechtlichen Zuständigkeiten, Expertise, und Ressourcen". Auch wenn die Ressourcen bei manchen europäischen Datenschutzbehörden nicht ausreichen: "Immerhin gibt es ein System mit einer Behörde. Wir haben nicht einmal das in den USA."

Zwar würden in manchen US-Staaten die Justizminister tätig, aber auf Bundesebene tue sich wenig. Rotenberg ist eine Datenschutzbehörde mindestens ebenso wichtig wie das zugrundeliegende Datenschutzrecht. "Die europäische Datenschutzgrundverordnung ist die treibende Kraft für ein US-Datenschutzgesetz", erklärt Rotenberg. US-Konzerne müssen sich nun ohnehin an die EU-Regeln halten, womit es viel weniger Widerstand gegen gleichartige US-Vorschriften gibt. Doch neue Gesetze nützten wenigen, wenn niemand in den USA den Datenschutz durchsetzt.

Neben zahlreichen Wahlen gab es in mehr als der Hälfte der US-Staaten auch Volksabstimmungen. Eine sehr deutliche Entscheidung verleiht EPIC Rückenwind: New Hampshire hat beschlossen, in die Verfassung einen Schutz gegen staatliche Überwachung einzubauen. Der neue Artikel 2b wird wie folgt lauten:

[Right to Privacy.] An individual's right to live free from governmental intrusion in private or personal information is natural, essential, and inherent.

(Etwa: [Recht auf Privatsphäre] Das Recht jeden Individuums, frei von Eindringen des Staates in private oder persönliche Informationen zu leben, ist naturbedingt, unentbehrlich und angeboren.)

Dieser Artikel ist der erste Teil einer Serie zur Lage nach den US-Wahlen. heise online trifft dazu in der US-Hauptstadt Washington DC Experten mit unterschiedlichen Einstellungen und Arbeitsgebieten.

Sehen Sie dazu auch die #heiseshow vom 8. November 2018:

(ds)