Umwelt: Lang unterschätzter Fluor-Schaden

Sie sind der neue Stern am Schadstoffhimmel: PFAS. Sie kommen zu tausenden und werden von Experten ähnlich gefährlich eingestuft wie DDT oder Dioxin.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 82 Kommentare lesen
Umwelt: Lang unterschätzter Fluor-Schaden

Die Outdoorjacke hält dicht dank der wasserabweisenden PFAS.

(Bild: Shutterstock)

Lesezeit: 4 Min.

PFAS (per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen) stecken in der Outdoorjacke ebenso wie im Teppichboden, der beschichteten Pfanne und dem Feuerlöschschaum. Sie schützen Pizzakartons vor dem Durchweichen und machen Autositze unempfindlich gegen Kaffeeflecken. Sie sind verführerisch für die Konsumgüter-Industrie, weil sie wasser-, fett- und schmutzabweisend, feuerhemmend, extrem stabil und damit sehr widerstandsfähig auf Oberflächen sind.

Aber leider behalten sie diese Eigenschaften auch, wenn niemand sie mehr braucht, wenn sie von den Gebrauchsgegenständen oder aus den Industriebetrieben in die Natur gelangen. Derzeit überarbeitet die Europäische Sicherheitsbehörde für Lebensmittel EFSA zusammen mit den Länderbehörden die Grenzwerte für die maximal tolerierbare Aufnahmemenge im menschlichen Körper.

TR 6/2020

Dieser Beitrag stammt aus Ausgabe 6/2020 der Technology Review. Das Heft ist ab 14.5.2020 im Handel sowie direkt im heise shop erhältlich. Highlights aus dem Heft:

Die Geschichte der PFAS hat in den 1950er Jahren in den USA begonnen: Bei 3M als Imprägniermittel Scotchgard und in den Teflon-Beschichtungen aus dem Haus DuPont mit dem Stoff Perfluoroctansäure, kurz PFOA. Dieses PFOA gehört zusammen mit dem inzwischen verbotenen PFOS (Perfluoroctansulfonsäure) zu den am häufigsten verwendeten und am besten untersuchten Stoffen dieser Klasse. Sie alle gehören zu den organischen Verbindungen. Sie haben ein Kohlenstoffgerüst, das hauptsächlich mit dem Halogen Fluor kombiniert ist. Es gibt sie in lang, in kurz, in verzweigt, in kettenförmig, mit unterschiedlichen Anhängseln.

Ihre weltweite Verbreitung bleibt nicht ohne Folgen für die Gesundheit. Die erste Bewertung der Europäischen Sicherheitsbehörde für Lebensmittel EFSA stammt aus dem Jahr 2008. Die Schlussfolgerungen der Wissenschaftler aus diesen Untersuchungen waren damals, dass die Gehalte in Lebensmitteln, die sich im Nanogramm-Bereich bewegen, zwar unproblematisch sind – aber bei diesem Gefahrenpotential unbedingt weiter geforscht werden muss.

Als die EFSA dann nach zehn Jahren Forschung 2018 eine weitere Stellungnahme veröffentlicht, war die Schlussfolgerung alarmierender. Diesmal konnte die Behörde sich auf Bevölkerungsstudien stützen – also den Gesundheitszustand von Menschen mit den Gehalten an PFOA und PFOS in ihrem Blut in Zusammenhang bringen. Gezeigt hat sich eine bunte Mischung aus Effekten. Um das Risiko sauber herauszuarbeiten, haben sich die Experten jedoch auf den Effekt konzentriert, der die Schwächsten bei der niedrigsten Dosis trifft: die Wirkung auf das Immunsystem. Kleine Kinder bis zu fünf Jahren, die erhöhte PFAS-Gehalte im Blut haben, bilden nach Impfungen weniger Antikörper gegen einen Impfstoff, haben also eine schwächere Impfreaktionen. Ob diese Kinder auch anfälliger für Infekte sind ist jedoch nach wie vor unklar. Inzwischen sehen Experten die Stoffgruppe jedoch in der gleichen Kategorie wie DDT oder PCB.

2008 sah die EU-Behörde noch eine tägliche Aufnahme für PFOS von 150 Nanogramm pro Kilogramm Körpergewicht und weiteren 1.500 Nanogramm PFOA als unkritisch an. Jetzt liegen die vorgeschlagenen Grenzwerte bei acht Nanogramm pro Kilogramm Körpergewicht pro Woche – für vier verschiedene PFAS zusammen. Neben PFOA und PFOS sind das noch zwei weitere, die die EFSA als Leitsubstanzen hinzufügen will. Bei einer normalen Hintergrundexposition wird dieser Wert nicht überschritten, in Risikogebieten, in denen in großen Mengen PFAS in die Umwelt gelangt sind, jedoch durchaus.

Zwar bestehe kein Grund für Alarmismus oder Panik, schätzt das Bundesinstitut für Risikobewertung in Berlin die Lage ein, aber es sei nicht von der Hand zu weisen, dass etwas passieren müsse. Nur was? Die Antwort fällt nicht nur deshalb schwer, weil die Chemikalien so weit verbreitet sind. Sondern auch, weil sehr viele Fragen offen sind.

Mehr über PFAS erfahren Sie in der neuen Juni-Ausgabe von Technology Review, erhältlich im heise shop und im gut sortierten Zeitschriftenhandel.

(jle)