Unternehmergeist der Deutschen verschwindet zusehends

Deutschland gehen langsam die Unternehmer aus. Immer weniger entscheiden sich angesichts der guten Situation auf dem Arbeitsmarkt für die Selbstständigkeit.

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Unternehmergeist der Deutschen verschwindet zusehends

(Bild: KC Jan/Shutterstock.com)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Wilhelm Pischke
  • dpa
Inhaltsverzeichnis

Sebastian Däuwel aus Speyer hat gut lachen. Sein Bäckerei-Start-up wächst beständig. Vor seiner Verkaufsstelle in einem unscheinbaren Gewerbegebiet stehen die Kunden regelmäßig Schlange. "Ich könnte kaum zufriedener sein", sagt er. Drei Jahre ist es her, dass der 36-Jährige den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt hat. Aus wenigen elementaren Backversuchen wurde schnell eine Geschäftsidee. Heute backt Däuwel mit seinen "Brotpuristen" hauptsächlich Brot – immer darauf bedacht, die Ware möglichst einfach und rein zu halten.

Die Leidenschaft für das Backen und die Lust auf die eigene Existenzgründung gaben bei ihm den Ausschlag, sich selbstständig zu machen. "Ich wusste, wenn ich es nicht wage, werde ich das später bereuen", sagt Däuwel heute. Anfangs habe er Angst vor dem Scheitern gehabt. Doch der große Zuspruch von Freunden und Fremden habe ihm letztendlich die Entscheidung, den sicheren Job bei einem Energieversorger für eine eigene Firma aufzugeben, leicht gemacht.

Anders als Brotbäcker Däuwel sind in Deutschland jedoch immer weniger Menschen bereit, das Risiko einer beruflichen Selbstständigkeit einzugehen. Nur 25 Prozent der Erwerbstätigen konnten sich 2018 vorstellen, ihr eigener Chef zu sein, wie aus einer Befragung der Förderbank KfW hervorgeht. Seit Beginn der Umfrage im Jahr 2000 hat es keinen niedrigeren Wert gegeben. Damals hatte die theoretische Bereitschaft zur Existenzgründung noch bei 45 Prozent gelegen.


Die nach wie vor gute Lage auf dem Arbeitsmarkt und die alternde Gesellschaft bremsten seit einiger Zeit den Unternehmergeist der Bürger, analysiert die KfW. Dabei biete es viele Vorteile, selbstständig zu sein, findet Däuwel: "Bei der Gestaltung der eigenen Firma ist man freier und kann vieles schneller durchsetzen. Die Entscheidungswege sind deutlich kürzer." Außerdem sei für ihn eine berufliche Selbstverwirklichung anders nicht möglich gewesen.

Das Bundesministerium für Wirtschaft blickt besorgt auf die schwindende Bereitschaft zur Selbstständigkeit: "Neugründungen und Start-ups sind Treiber von Innovationen und insbesondere des digitalen Wandels. Deutschland braucht deshalb Gründerinnen und Gründer", sagt eine Sprecherin. Fehlten heute die Gründer, leide morgen die Wettbewerbsfähigkeit.

Dass die berufliche Selbstständigkeit auch Schattenseiten hat, will Däuwel nicht verhehlen. "Man ist ständig in den Abläufen verhaftet. Da fällt es schwer, im Urlaub oder bei Krankheit mal abzuschalten." Außerdem sei das Arbeitspensum mitunter enorm, erzählt der Bäcker. "Wenn ich meine Arbeitszeit hochrechnen würde, käme ich bestimmt auf etwa 60 Stunden." Eine Zeit, die sich aber nicht immer wie Arbeit anfühle, da er ausschließlich für sich selbst arbeite, sagt er.

Auch wenn er die Notwendigkeit bürokratischer Pflichten anerkennt, bemängelt Däuwel die veralteten Arbeitsschritte in den Behörden – mit denen er sich zu Genüge auseinandersetzen durfte. Er habe sich Unmengen an Papierkram ausgesetzt gesehen. Diese Schritte könne man durchaus digital abwickeln, findet der 36-Jährige.

Der Verband der Gründer und Selbstständigen Deutschland (VGSD) kritisiert die bürokratischen Anforderungen und gesetzlichen Rahmenbedingungen für Selbstständige scharf. Mit Blick auf die geringe Gründungsbereitschaft der Deutschen, sagt VGSD-Chef Andreas Lutz, sie sei auch "die Folge einer ganzen Serie gründerfeindlicher Gesetze". Als Beispiele nennt er eine Vervierfachung der Beiträge zur freiwilligen Arbeitslosenversicherung und die herrschende Rechtsunsicherheit um das Thema Scheinselbstständigkeit. "Hinzu kommen handwerklich schlecht gemachte Gesetze wie die DSGVO-Umsetzung, die für viel Unsicherheit und bürokratischen Aufwand sorgen", fügt er mit Blick auf die neue Datenschutzverordnung zu.

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Die Zahl der Existenzgründungen hat im vergangenen Jahr ein Rekordtief von 547.000 erreicht, wie aus dem Gründungsmonitor der Förderbank KfW hervorgeht. Immerhin sank der Wert zuletzt weniger stark: Im vergangenen Jahr ging er um lediglich zwei Prozent zurück. In den Jahren zuvor hatte es noch Rückgänge mit jeweils zweistelligen Raten gegeben.

Der Verband der Gründer und Selbstständigen (VGSD) erwartet für das laufende Jahr noch niedrigere Gründungszahlen. "Die politischen und gesetzlichen Rahmenbedingungen haben sich nicht geändert. Eine Trendwende ist aus unserer Sicht daher unwahrscheinlich", sagt VSGD-Chef Lutz. Und auch die KfW rechnet mit einem weiteren Rückgang. "Die Prognosen für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung senden in Summe ein negatives Signal", teilt Georg Metzger vom KfW Research mit. (mho)