Was war. Was wird. Das Heiseberg-Protokoll.

Was ist schon Alltag. Nichts Gemeinsames jedenfalls, hält Hal Faber fest, wenn es um die Verbreitung von PR einer- und Wissen andererseits geht.

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Was war. Was wird. Das Heiseberg-Protokoll.

(Bild: bensliman hassan / Shutterstock.com)

Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Die erste Ausgabe der NZZ von 1780

*** "Es wird uns zwar, so wie anderen Zeitungs=Schreibern, nicht möglich sein, die Weltbegebenheiten früher anzuzeigen, als sie geschehen sind; oder, als sie auswärtige Zeitungen der Welt berichten. Aber doch haben wir Anstalten getroffen, vermittels der besten Französischen, Englischen, Italienischen, Holländisch= und Deutschen Zeitungen, und auch durch zuverlässige Privat=Correspondenz die Nachrichten immer so bald zu erhalten, und in unsere Zeitungen einzurücken, als es andere von unseren Nachbarn thun können." (Zum Start der Zürcher Zeitung am 17.1.1780)
Ich bin ein Journalist. Manche Leser sehen das anders und finden dafür rohe Worte, die ich an dieser Stelle nicht wiedergeben werde. Selbst wenn sie gekocht sind, sind sie immer noch ungenießbar. Also habe ich im Kästlein des deutschen Kulturschatzes nach einem passenden Zitat gewühlt und bin bei Christian Friedrich Daniel Schubart fündig geworden: "Unter allen kriechenden Kreaturen des Erdbodens ist der Zeitungsschreiber die kriechendste." Schubart mag heute nur als Komponist und Dichter noch in Erinnerung sein, doch auch er war Journalist und wurde für eine Serie kritischer Artikel in der "Deutschen Chronik" 10 Jahre lang auf der Festung Hohenasperg weggeschlossen.

*** Das Geschäft des Journalisten ist die Verbreitung von neuen Informationen, definiert als das Gegenteil von Unkenntnis. Das Geschäft ist immerhin so kompliziert, dass es nicht von Maschinen oder diesen Social Bots betrieben werden kann, von denen manche Forscher schwärmen. Aber es gibt ja eine andere Spielart, mit Informationen umzugehen. Sie nennt sich Public Relations, systematisiert und perfektioniert von Edward Bernays, einem Neffen von Sigmund Freud und begründet von Ivy Lee. Dessen Grundsatz verfolgt Journalisten bis heute: "This is not a secret press bureau. All our work is done in the open. We aim to supply news." Was Lee und Bernays unter "News" verstanden, ist mehr als die Verbreitung von neuen Informationen, sondern die Verbreitung von Informationen im Sinne eines Auftraggebers. Etwa einem Kunden wie der mächtigen American Tobacco Company, der Edward Bernays half, die Marke Lucky Strike zu popularisieren. Ganz öffentlich wurde da die "Tobacco Society for Voice Culture" gegründet, die den wissenschaftlichen Nachweis führte, dass die Stimmen rauchender Sänger und Sängerinnnen besser klangen. In den Statuten der Society stand ebenso offen und klar: "Our ultimate goal is a smoking teacher for every singer."

*** Das bringt die kleine Wochenschau in die Gegenwart, in der eine PR-Agentur namens Storymachine agiert. Sie begleitete mit dem #heinsbergprotokoll offen und unbekümmert eine wissenschaftliche Studie, suchte davor Sponsoren für ihre PR-Arbeit und fand auch welche. Offen und ehrlich der Anspruch, "Wissen" zu verbreiten, mit dem ein "Weg zurück zur Normalität" gefunden werden kann, in der viele Geschäfte und Büros wieder geöffnet sind. Verbreitet werden sollte die "prinzipielle Erzählung", die da lautete: "Wissenschaft und Fakten geben uns die Hoffnung und die Möglichkeit, wieder als Gesellschaft zu funktionieren.". Als Gesellschaft funktionieren, so ist das wunderbar an dem Punkt vorbei, dass die Wirtschaft wieder funktionieren soll. Für Feinheiten ist @hbergprotokoll da, so als Kanal in den sozialen Medien ein Gewässer, das Tempo machen soll: "Je schneller wir erste Erkenntnisse teilen können, desto eher kehren wir in unseren gewohnten Alltag zurück."

*** Im journalistischen Alltag kommen dann die üblichen Zahlen, Daten, Fakten und zur Steigerung der Spannung ein Schuft vor, der Böses dabei denkt. Denn viel Böses ist ja nicht passiert. Das Firmen wie die Depot-Handelskette PR-Arbeit unterstützen, die beste Argumente liefert, die Läden wieder zu öffnen, ist doch die "verantwortungsvolle Normalität", die ein Politiker wie Armin Laschet sich wünscht. Sicher dürfte sich die Storymachine freuen, wenn sie mit dieser Arbeit wieder bei der Wahl zur PR-Agentur des Jahres dabei ist. Ein kleiner Aufreger könnte vielleicht in der Information stecken, dass man auch bei der Atlantikbrücke angefragt hatte, ob man ein paar Rubel zur Unterstützung rollen lassen möchte. Schließlich steht die deutsch-amerikanische Freundschaft auf dem Spiel! Bang warten wir auf Trumps Schlachtruf "Liberate Germany!", denn irgendwie ist es schon ärgerlich, wie ein Merkel-Video zur Reproduktionsrate des Virus mit lakonischen englischen Untertiteln die Kanzlerin deutlich besser aussehen lässt als alle anderen Politiker. Dabei geben sich auch US-Forscher Mühe mit ihren Tabellen.

*** Wer in diesen Wochen liest, was Medienforscher über den Journalismus im Zeichen des Coronavirus schreibt, landet bei den Kriechtieren von Schubart. Durch die Bank weg wird behauptet und gemäkelt, dass alle Journalisten Versager sind.. Das "Systemversagen des Journalismus" beginnt mit dem Vorwurf des kritiklosen Umganges mit Zahlen und Statistiken und geht bis zum Vorwurf, mit der Übermacht der Bilder zu spielen, wenn wieder einmal eine Blockchain-basierte Sau durchs Dorf getrieben wird. Ganz schlimm wird es, wenn in der Abwägung über diese Corona-App mit Contra und Pro der Vorwurf aufkommt, dass Journalisten die Einschränkung der Grundrechte keiner Erwähnung wert ist? Zentral, dezentral, lokal, anal, alles das Gleiche? War er noch bis vor kurzem als KI-Urgestein unterwegs, dann im Digitalrat der Bundesregierung, ist Hans-Christian Boos nun der Tracing-App-Star sondergleichen, der sich für Deutschland eine zentrale Server-Lösung vorstellen kann. Man muss es klar und deutlich sagen: Es sind solche Entwickler, denen die Grundrechte egal sind – und "die Medien". Nachdem sich die ETH Zürich und die EPF Lausanne aus der PEPP-PT-Allianz zurückgezogen haben, kam auch ein bislang nicht bestätigter Tweet, dass das CISPA der Helmholtz-Gesellschaft die Reißleine zieht. Aber vielleicht gibt es da "draußen" eine PR-Agentur, die schon an der Erfolgsgeschichte bastelt. Der Solutionismus der Digitalpropheten (nicht nur) aus dem Silicon Valley ist allemal für eine geile PR-Story gut.

Im Zeichen des Coronavirus gibt es traurige Nachrichten. Eine ist die vom Tod des Mathematikers John Horton Conway, dem zahllose Programmierer von kleinen Frickelkisten durchwachte Nächte verdanken, als sie das Spiel des Lebens in ihre Brot- oder Sonstwas-Kästen pfriemelten. Der schönste Nachruf auf Conway findet sich übrigens bei xkcd und zeigt, wo die Grenzen des Journalismus liegen. Conway wurde vor Jahren auf der längst verblichenen Computermesse Comdex von Stephen Wolfram als sein Vorbild ausgerufen, was kein Wunder war, da Wolfram damals keine Software wie Mathematica vorstellte, sondern sein Buch A New Kind of Science. Das passte nicht ganz zur Verkaufsshow, störte aber wenige. Nun hat sich Stephen Wolfram in dieser Woche wieder mit einem sehr anspruchsvollen Beitrag zu Worte gemeldet. Überall in der Welt werden viele Menschen das Virus zum Teufel wünschen und sich lieber ausführlich mit der Behauptung beschäftigen, dass die alles umfassende Universalformel gefunden werden kann, auf die 42 die Antwort ist. Wolframs Physik-Projekt startete nach seinen Angaben im Jahre 1965 und soll nun all die losen Enden der Ideen zusammenfügen, die Albert Einstein und Bernhard Riemann aufgeschrieben haben.

So ist es etwa schade, dass zum Ende dieser kleinen Wochenschau nicht das lustige Skype-Interview stehen kann, das von der Süddeutschen Zeitung geführt wurde. Unter Riemannschen Himmeln leben wir da, sagt Kluge, was ein ganz großartiges Bild im Kopf erzeugt, bevor er sich an der Paywall eine Beule holt. Aber da gibt es noch den Perlentaucher: "Ich glaube schon, dass unser Verhältnis zur Natur einigermaßen gestört ist. Es geht nicht nur um die Verteilung der Güter in der Welt. Wenn alle Schutzmasken in China produziert werden und alle Medikamente in Indien, dann haben wir ein konkretes Problem, dann fangen wir wieder mit der Naturalwirtschaft an und produzieren in den Nähereien der Stadttheater Gesichtsmasken."

Die neunte Ausgabe der ersten deutschen Zeitung von 1660; sie hatte eine Auflage von 200 Exemplaren

Das sind jetzt 57 Worte und nach den Worten von Helga Trüpel, einer Politikerin der Grünen, eine schwere Urheberrechtsverletzung. Das wiederum entnommen aus einem Artikel, in dem sie Julia Reda vorwirft, die Corona-Krise zu benutzen, um gegen Urheber-Interessen zu verstoßen und Urheber in Dreck und Asche zu schleifen. Als Journalist ist man übrigens Urheber und Ausheber und Verheber und ... History Repeating. (jk)