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Was war. Was wird. Ein Virus kommt selten allein.

Dass die Besten jung sterben, ist auch so ein Quatsch-Satz, der nicht verschwinden will, grummelt Hal Faber, der wieder trauert. Und das nicht wegen Viren.

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Was war. Was wird. Ein Virus kommt selten allein.

Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen, den Vorhang zu und alle Fragen offen. Der einzige Ausweg wär aus diesem Ungemach: Sie selber dächten auf der Stelle nach, auf welche Weis dem guten Menschen man zu einem guten Ende helfen kann. Verehrtes Publikum, los, such dir selbst den Schluss! Es muss ein guter da sein, muss, muss, muss!

(Bild: Roberto Rizzi / Shutterstock.com, Zitat aus: Bertolt Brecht, Der gute Mensch von Sezuan, Epilog)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

*** Absagen über Absagen, soweit die Viren tragen. Manche Veranstaltungen wie die Hub.Berlin werden um ein Jahr verschoben, andere in den Sommer verlegt, weil der Virus Hitze nicht mag. So wird der CeBIT-Nachfolger Twenty2x im Juni darüber befinden, wie die digitale Zukunft des Mittelstandes aussieht.

Aus "Schöne elektronische Welt", rororo aktuell: Technologie und Politik 19

Geschäftsreisen fallen aus und werden durch Videokonferenzen ersetzt, deren große Stunde bei der Digitalisierung des Ruhestandes schlägt: Weil der Besuch in Altersheimen und Wohnstiften die dort lebenden Menschen besonders gefährdet, wird das Skypen zum wichtigsten Kommunikationsmittel für Omas und Opas. Mit Hilfe von Googles Hangout und Slack haben sie bei Twitter eine Vollversammlung abgehalten, die erfolgreich verlaufen sein soll. Glückliche USA, die ein Naturtalent als Präsidenten haben, was das Verständnis von Viren anbelangt. Fehlt nur noch, dass er seine Golfclubs als Quarantänestationen bezeichnet, auf denen sich die amerikanischen Oligarchen vor der drohenden Epidemie zurückziehen können.

*** Für die Armen ist die notwendige Quarantäne eine harsche ökonomische Bedrohung. Insofern ist die Aktion von Microsoft erwähnenswert, auch an die wenig verdienenden Mitarbeiter zu denken, die in der Infrastruktur des Unternehmens arbeiten und ohne Arbeit leer ausgehen würden. Ohnehin wird das Coronavirus zum Lackmustest für eine solidarische Gesellschaft. Auch bei SAP im saarländischen Sankt Ingbert, wo die Zentrale und die Kantine schließen musste, gibt es ähnliche Maßnahmen, obwohl das deutsche Arbeitsrecht in diesen Fällen ganz anders gestaltet ist.

*** Was nicht ausfällt oder abgesagt wird, sind Bundesligaspiele. Selbst im Rheinland neben der "Virus-Hauptstadt" Heinsberg geht es weiter, obwohl der oberste Aufklärer der Nation davor gewarnt und eine Absage des Spiels gefordert hat. In Deutschland wird gekickt, basta, in Deutschland haben Fläschchen mit Desinfektionsmitteln sogar Stadionverbot und werden von den Ordnern in den Müll geworfen. Der Deutsche Fußballmännerbund (nur 1 Frau im Vorstand, soviel zum Frauentag heute) postiert sich gegen den Antihoppismus, von einer Ansteckungsgefahr durch ein Virus an der frischen Luft will er nichts wissen. The Show must go on sang schon Freddie Mercury, bevor ein Virus seinem Leben ein Ende setzte.

*** "Auch wen das Entsetzen packt vor Informationstechnologien und ihren Möglichkeiten, unsere Lebensformen von Grund auf zu ändern, die Entfremdung des Menschen von sich und seinesgleichen voranzutreiben – der sollte im Kampf um Kontrollen nicht resignieren. Nichts wäre gefährlicher, als wenn eine ganze Generation die konkreten Kämpfe um Datenkontrolle nicht mehr wahrnimmt, weil sie eh glaubt, nur der völlige Ausstieg verspreche Hilfe, und weil sie schon nicht mehr unterscheidet zwischen dem, der mit Computern umzugehen gelernt hat, um ihre Anwendungen zu kontrollieren -- oder dem, der über den Gaukeleien des technisch Möglichen sich selbst, seine Umwelt und die demokratische Verfassung dieses Landes vergisst."
Das schrieb Freimut Duve im August 1982 im Vorwort von "Schöne elektronische Welt", einem Buch aus seiner rororo-aktuell Reihe "Technologie und Politik". Mit dieser Reihe beeinflusste Duve so manche Debatte, sie begann mit der "Kritik des Industriesystems", fragte nach der "Zukunft der Arbeit", nach dem Zusammenhang von "Energie und Arbeitsplätze", mehrfach nach alternativen Energien und diskutierte ein "Leben ohne Vollbeschäftigung" mit einem Grundeinkommen. Im besagten Computerbuch von 1982 kamen Kritiker wie Joseph Weizenbaum zu Worte, aber auch Befürworter wie das legendäre Kollektiv Wuseltronick, das Wumm und Wuwickel erfand. Nun ist Freimut Duve im Alter von 83 Jahren gestorben.

*** Ach, und als wär das alles nicht genug, ist auch wieder einer der Großen der Musik von uns gegangen. McCoy Tyner war wohl einer der wichtigsten Pianisten des Jazz. Wegweisend sein Spiel in John Coltranes legendärem Quartett, mit dem Coltrane mit McCoy Tyner, Jimmy Garrison und Elvin Jones legendäre Aufnahmen wie "A Love Supreme" produzierte, die ganz nah an die Grenze zum Free Jazz heranrückten, die dann Coltrane mit "Ascension" und ebenfalls unter Mitwirkung von Tyner, Garrison und Jones (unter anderen) überschritt. Aber auch Solo oder im eigenen Trio hatte Tyner immer wieder richtungsweisendes zu Gehör zu bringen.

*** Nun gut, es mag Wichtigeres als Musik geben, auch wenn sie mir schon als unverzichtbarer Bestandteil meines Lebens erscheint. Aber es gibt natürlich daneben einiges zu bedenken, um es mal so vorsichtig zu formulieren: "Es gibt die private wie staatliche Sucht nach Erfassung von Personendaten, zwecklos, ziellos. Noch stehen ihr die Sehnsucht nach Lebensformen entgegen, ohne den Verfall der Identität, ohne die Aushöhlung der Demokratie. Noch! Dieser Band zeigt, wie das Netz an Informationstechnologien den Menschen zu ändern vermag. Die große elektronische Entpolitisierung der Bürger könnte die Demokratie wirksamer beschädigen als die Kompetenzüberschreitung der Exekutive: Plötzlich könnte es solche Menschen nicht mehr geben, die aufbegehren, wenn sie überwacht werden."
Wie das mit der Aushöhlung der Demokratie im Jahr 2020 aussieht, wurde dieser Tage wieder einmal deutlich. Da plant der Westdeutsche (!) Rundfunk für den kommenden Mittwoch eine Talkshow in Erfurt und lädt Suleman Malik ein, der sich dort für den Bau einer Moschee engagiert. Kurze Zeit später erfolgt die Ausladung von Malik, damit der AfD-Poltiker Tino Chrupalla bei Maischberger zu Worte kommen kann. Das wohl aus Gründen der Aktualität, denn Chrupalla passierte das Schlimmste, was einem Alternativdeutschen widerfahren kann: Sein Auto brannte aus, mutmaßlich infolge einer Brandstiftung. So wird, nur kurz nach den Morden von Hanau, die Demokratie gerempelt, mit einer AfD, die über Hanau im Bundestag lästert. Moderatorin Maischberger mag ein Vorbild für die Sprachgemeinschaft sein, doch ihr Satz dazu ist ein verrenktes Eingeständnis der Hilflosigkeit angesichts einer Partei, die diese Demokratie erklärtermaßen vorführen will: "Vertreter der AfD generell nicht mehr einladen zu wollen, lässt sich in unserer Demokratie nicht begründen."

*** Die Woche begann übrigens mit dem 14. Integrationsgipfel der Bundesregierung, auf der NAPI verabschiedet wurde, mal ein anderes Akronym. Es steht für Phase I des "Nationalen Aktionsplan Integration" mit dem leicht irreführenden Hashtag #VieleChancen, der an die Fußballerei erinnert. Die 20,8 Millionen Bürger mit Migrationshintergrund können nicht gemeint sein, sie erfahren vielfältige Formen der Ausgrenzung. Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach den schönen Satz: "Wir sind alle Gesellschaft." Ex-Fotomodell Sara Nuru, mit ihren Mikrokrediten für Frauen in Äthiopien ist sie Star der heutigen Frauen-taz, beeindruckt mit Sätzen, die weit über einen Aktionsplan hinausreichen: "Wohin gehöre ich? Bin ich Deutsche oder Afrikanerin? Gerade Menschen mit Migrationshintergrund müssen sich ständig solchen Fragen stellen. Doch muss ich mich entscheiden?" Und in Griechenland gibt es eine Grenze, an der die Nächsten warten.

Ist einmal der Virus eingedämmt und das Toilettenpapier wieder im Überfluss zu haben, leben wir gesund und munter weiter. Mit der Gesundheitskarte, die mächtig aufgepeppt wird. Auch die Patientenakte, die mit all den Akten-Apps der Krankenkassen kommt, ist mit dabei, ein Segen, den 250.000 Mitglieder der TK bereits heute genießen. Andere haben es noch besser. Da ist z.B. die Hanseatische Krankenkasse, die die Versorgung ihrer Versicherten auf eine Service-App umgestellt hat. Was man sich zuvor herunterladen und ausdrucken konnte, wird jetzt über das moderne Kundenzentrum besorgt. Aus der Anfrage von besorgten Versicherten ist ein Thread entstanden, der die Bevölkerung verunsichern könnte. Darf man so mit Gesundheitsdaten umgehen? Man darf.

In den nächsten Tagen wird viel von der strukturellen IT-Krise die Rede sein, die Deutschland wie ein Coronavirus befallen hat. Man merkt es schon an den Artikeln über die heroischen Hacker, die Firmen helfen, ihre verkorkste IT-Infrastruktur abzusichern. Was das alles mit unserer Gesundheit/Krankheit zu tun hat, ist ganz einfach: Minister Jens Spahn hat die guten Hacker eingeladen, das nunmehr ihm unterstehende Projekt auf Herz und Nieren zu prüfen. Diese fühlten sich am Kopf gestoßen. Es geht voran, sangen einstmals die Fehlfarben. Tralala. (jk)