Was war. Was wird. Nach dem Lysol-Moment der Geschichte.

Auch in den aktuellen Debatten wünscht man sich oft, jemand würfe Hirn vom Himmel, barmt Hal Faber. Bei manchen hilfts aber nicht, sie wissen es eh schon besser

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Was war. Was wird. Nach dem Lysol-Moment der Geschichte.

Hilfe, Aliens! Ach nee, nur ein Käfer aus Borneo. Das Andere scheint vielen Angst zu machen, nur weil es anders ist. (Es ist übrigens eine palimna annulata.)

(Bild: SIMON SHIM / Shutterstock.com)

Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

*** Da hat er sich das Maul zerrissen, der Orangene. Als solche Äußerung kannten schon die alten Griechen den Sarkasmus, mit dem der US-Präsident hochgradigen Unsinn über Desinfektions- und Bleichmittel vor versammelter Presse erzählte. Bemerkenswert dabei, dass in der deutschen wie der englischen Wikipedia Sarkasmus als eine sprachliche Äußerung beschrieben wird, bei der die beiden Hirnhälften zusammenarbeiten müssen, um den Sarkasmus zum Klingen zu bringen. Sarkastisch könnte man sagen, dass so etwas bei Donald Trump gar nicht funktionieren kann. Was aber ist dann die Erklärung der anwesenden Ärztin Deborah Birx? "Wenn der Präsident neue Informationen erhält, denkt er gern laut über sie nach und spricht mit sich selbst in einer Art Dialog. Das war also ein Dialog. Ich denke, er sah diese Informationen (über Desinfektions- und Bleichmittel) und war dann dabei, diese Informationen zu verdauen." Auch so eine Erklärung muss man erst einmal verdauen, mit beiden Gehirnhälften. Wir haben dem Präsidenten der abstürzenden Weltmacht USA bei einem inneren Monolog zugehört, bei dem er Informationen verdaute, wie das Virus auf den meisten Oberflächen weggeputzt werden kann? Glücklicherweise wurde sofort eine wissenschaftliche Studie veröffentlicht.

*** Was bei uns unter dem Namen Sagrotan vertrieben wird, heißt im Vereinten Königreich Dettol, im Reich von Präsident Trump Lysol. Dementsprechend wird der Unsinn von Trump als der "Lysol-Moment" in die Geschichte eingehen und vielleicht der Anfang vom Ende der 45. US-Präsidentschaft sein. Kurz nach der sarkastischen Fernsehansprache wurde in vielen Nachrichten die dringende Warnung verbreitet, Lysol oder Dettol nicht zu injizieren oder zu trinken. Dabei gab es eine Zeit, in der in Frauenzeitschriften schamhaft für die Lysol-Tinktur geworben wurde, mit der die "frauliche Hygiene" verbessert werden kann. Was sich anhört, als würden genitale Gerüche gemeint sein, war der Euphemismus, mit Lsysol einen Schwangerschaftsabbruch einzuleiten. Was als "Germ-Killer" beworben wurde, wurde in Wahrheit als Sperm-Killer für die vergessliche oder "nachlässige" Frau gepriesen. Ganz ohne Werbung war diese gefährliche Praxis natürlich auch in Europa bekannt.

*** Das bringt uns jenseits aller Lockerungsphantasien zu einem anderen ärztlichen Streit, gewissermaßen als Fortsetzung der letzten Wochenschau, die sich mit der Differenz von Journalismus und Public Relations beschäftigte. Gegen Ende des Ersten Weltkrieges, als die aus den USA stammende "Spanische Grippe" in drei Infektionswellen wütete, schrieb der US-amerikanische Journalist Henry L. Mencken im Dezember 1917 über die Erfolgsgeschichte der Badewanne. Nach seinen Angaben wurde sie erst ein akzeptierter Teil des Hausstandes, als der US-amerikanische Präsident Millard Fillmore eine Badewanne im Weißen Haus installieren ließ. Zuvor hatten Ärzte lang und breit über die Schädlichkeit des Zu-Bade-Gehens diskutiert, jedenfalls berichtet Mencken davon, dass nach den Aufzeichnungen eines "Western Medical Repository" vor "phthisic, rheumatic fevers, inflammation of the lungs and the whole category of zymotic diseases" gewarnt wurde.

*** Erst mit einer gehörigen Verspätung von acht Jahren deckte Mencken in "Melancholischen Betrachtungen" auf, dass der Artikel über das vergessene Jubiläum der Badewanne von A-Z eine einzige Erfindung war, allein geschrieben, um kriegsmüde Leser etwas aufzuheitern. Was ihn danach beunruhigte, war die Leichtigkeit, wie diese "Fake News" ihren Weg ins Allgemeinwissen machten, ohne dass jemand jemals die von ihm gemachten Angaben überprüfte. Auch dieses Geständnis von Mencken half nicht weiter, wie die Auflistung zur Sittengeschichte der Badewanne zeigt: Im September 1952 war es der US-Präsident Harry S. Truman selbst, der die Geschichte von der Badewanne im Weißen Haus zum Besten gab. Dabei war Henry L. Mencken ein großer Journalist, der nicht nur in die Vergangenheit schauen konnte, sondern auch in die Zukunft. Ihm verdanken wir den erhellenden Kommentar zum Amt des US-Präsidenten, gedruckt in der in Baltimore erscheinenden Evening Sun vom 26. Juli 1920: "Alle Chancen liegen bei dem Mann, der eigentlich der abwegigste und mittelmäßigste ist – der die Ahnung, dass sein Geist ein virtuelles Vakuum ist, am geschicktesten zerstreuen kann. Das Präsidentenamt neigt Jahr um Jahr mehr zu solchen Männern. Mit der Vervollkommnung der Demokratie widerspiegelt dieses Amt mehr und mehr die innere Seele des Volkes. Wir nähern uns einem erhabenen Ideal. Eines großen und glorreichen Tages wird sich der Herzenswunsch der einfachen Leute des Landes letztendlich erfüllen und das Weiße Haus mit einem wahren Idioten geschmückt sein."

*** Ist das eigentlich auch Sarkasmus, was die radikale Linke da als "Corona-Kritik" verkündet? Mit einer gewissen Ratlosigkeit scrollt man in der Zeitung herum, die "grundgesetzlich abgesichert" erscheint. Da wird von der "Panikmache überalterter Eliten" gesprochen, von einer "Rekalibrierung des kapitalistischen Herrschaftssystems", gegen die protestiert werden müsse. In einer Volksfront trifft man sich dann auf "Hygienedemos" mit Verschwörungstheoretikern und AfD-Demonstranten zum Querfront-Marsch und veröffentlicht ein Plädoyer für den lebenslangen Generalstreik und einen "Widerstand mit Stil". Ist das schon Kunst oder kann das weg? Das geht dann zusammen mit Forderungen der AfD, alle Corona-Infizierten in eine Fahndungsdatenbank zu stecken und alle Beschränkungen aufzuheben. Geht nicht? Nun, Sachsen-Anhalt ist auf diesem Weg ein großes Stück vorangekommen und das ganz ohne AfD.

*** Beunruhigend ist die Geschwindigkeit, mit der in dieser Woche in der Diskussion um die Corona-App zwei Dinge zusammengeworfen wurden. Eigentlich ging es um die Ermittlung möglicher Kontakte mit Hilfe des Smartphones, natürlich so datensparsam und privatsphärenschonend wie möglich. Dabei rutschte eine Server-Lösung auf die Zielgerade, vor der nicht nur der Chaos Computer Club warnte. Das wurde dann auch noch ziemlich oberflächlich als Streit um kryptografische Eleganz verhöhnt. Unter der Hand wurde aus dem "Contact-Tracing" die Feststellung von Infektionsketten nach den Forderungen der Epidemiologen, die mit einer Server-Lösung besser möglich ist. Nimmt man zu dieser Forderung noch die App-Pflicht für medizinisches Personal, die ein Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages für machbar hält, wird der "opportunistic turn" vollends deutlich. Dann ist es auf einmal der Chaos Computer Club, der "Scheuklappen" trägt und der in Kommentaren herbeigesehnte Überwachungsstaat, der fröhliche Urständ feiert: "Was wohl die Gesundheitsämter dazu sagten, wenn bei ihrer verzweifelten Suche nach Infektionsketten Datenschutz vor Infektionsschutz ginge?" Was, wenn es gar nicht um eine App für Gesundheitsämter geht und beides zwei Paar Schuhe sind? Die Krone der Verdrehung ist dann ein ahnungsloser Gesundheitsminister, der den datensparsamen Ansatz von Apple und Google so kommentiert: "Dieser Grundglaube daran, dass Daten, die bei Apple und Google aufgehoben sind, bei amerikanischen Großkonzernen, besser geschützt sind als Daten, die in Deutschland auf Servern auch staatlich kontrolliert liegen, diesen Glauben verstehe ich manchmal nicht." Da müsste jemand was vom Himmel werfen.

*** Wer das nicht braucht, ist wohl Al Pacino. Dafür ist er 80 geworden, und auch ich verneige mich in tiefer Verehrung vor ihm. Guter Anlass, mal wieder alle drei Teile des "Paten" zu sehen – der eigentlich Star als Michael Corleone, dem Paten aller Paten, ist doch Pacino, auch wenn Marlon Brandos Vito Corleone in seiner allseits bewunderten nuschelnden Art die Zitate fürs Leben geliefert hat. Aber man muss ja nicht nur an all seine herausragenden Filme in der Vergangenheit erinnern, auch heute noch glänzt er, etwa als Jimmy Hoffa in "The Irishman", als Marvin Schwarz in "Once Upon a Time in Hollywood" – oder als Meyer Offerman in "The Hunters" (das mich, trotz aller Kritik, die die Serie auslöste, doch mitgenommen hat, in jeder Bedeutung des Wortes). Feiern wir also Al Pacino. Es heißt, er möchte noch den König Lear spielen (Shakespeare ist Pacino nicht fremd, im Gegenteil). Ja, bitte! Wir möchten das sehen! Bis dahin schauen wir uns alle seine Filme noch einmal an. Es wird uns nicht langweilig werden dabei. Und wir werden nie enttäuscht sein.

Unter leeren Himmeln aber auch in einer leeren "Station Berlin" wird die diesjährige Ausgabe der re:publica nur online stattfinden. Gespannt darf man sein, wie das Gewimmel im Innenhof der Station Berlin abgebildet wird. re:publicaTV kann auf die ersten Blogger-Treffen zurückgreifen und die Frage aufwerfen, die damals die Teilnehmer bewegte: Geld verdienen mit Bloggen, wie geht das? Im Zeitalter von Corona, YouTube und der Influencer ist es Zeit, eine Bilanz zu ziehen. Auch die Lehren aus dem Homeschooling dürften interessant sein. Man lernt ja so viel dieser Tage. Was waren noch einmal die Lehren aus Tschernobyl vor 34 Jahren? Aber so etwas bitte doch nicht heute, am Tag der Außerirdischen, benannt nach dem Planeten LV-426. Sie sind unter uns, immer mit 2 Metern Abstand.

(jk)