Was war. Was wird. Von homöopathischen Dosen und anderen Stilmitteln der Polemik
"Drecks Fotze" als Stilmittel verpackt und ein Klimapaket zum Klima-Päckchen umgepackt. Hoffentlich werde ich nicht palantirmäßig gepackt, denkt Hal Faber.
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.
Was war.
*** Als die Spitzenpolitiker der Regierungsparteien sich zu den Beratungen über ein Klimapaket trafen, lag ein Vorschlag des Regierungsberaters Ottmar Edenhofer auf dem Tisch, beim Emissionshandel von CO2 mit einem Einstiegspreis von 50 Euro pro Tonne zu beginnen und diesen Preis bis 2030 auf 130 Euro steigen zu lassen. Dann verhandelte man 18 oder 20 Stunden lang in die Nacht hinein, wie das bei allen wichtigen politischen Entscheidungen Usus ist: Schlafmangel muss sein. Dann war ein "kraftvolles Paket" geschnürt, wie es die SPD-Politikerin Malu Dreyer ausdrückte. Das Klimapäckchen beginnt im Jahre 2021 mit dem Emissionshandel, aber mit einem homöopathisch verwässerten Festpreis von 10 Euro pro Tonne, der bis 2025 irgendwo zwischen 35 und 60 Euro liegen soll. Zum Vergleich: Im europäischen Emissionshandelssystem liegt der Preis derzeit bei 25 Euro pro Tonne, wobei Strafzahlungen fällig werden, wenn ein Land unter dieser Marke bleibt. Zum Start des Klimapäckchens wäre das eine Belastung von 3 Cent pro Liter an der Tankstelle. "Wir fangen niedrig an, um die Menschen mitzunehmen", erklärte Bundeskanzlerin Merkel dazu. Ob damit diejenigen gemeint sind, denen Klimaschutz vor Wirtschaftswachstum geht? Das Kratzbuckeln vor dem Autofahrer mit dem Leckerli einer höheren Pendlerpauschale hinderte sie nicht daran, den Demonstranten beim Klimastreik für ihr Engagement zu danken. Life comes at you fast, Bundesregierung.
*** Doch die noch amtierende Regierung war auch in anderer Hinsicht sehr tätig. Sie veröffentlichte ein Strategiepapier zur Blockchain, das die einen als Bullshit-Bingo sehen, die anderen als brillianten Höhepunkt von Digital made in de. Wieder andere, die sich das Strategiepapier für den "Einstieg in die Token Ökonomie" in seiner ganzen digitalisierten Pracht auf ihre Rechner luden, konnten in den Metadaten lesen, dass es sich um einen "Entwurf des integrierten nationalen Energie- und Klimaplans" gehandelt haben muss. Irgendwie hängt ja alles mit allem zusammen und so kann es ein kleiner Schlag eines Schmetterlingsflügel sein, der das Dokument veränderte. An dieser Stelle sei auf den Vorschlag eines Heise-Foristen hingewiesen, die Blockchain-Technologie für Wahlkampfversprechen umzusetzen. Auch wenn dem Vorhaben die Gewissensfreiheit der gewählten Politiker entgegensteht, ist das ein hübscher Gedanke für eine wahrheitsliebende Datenbank.
*** Ob die Grünen im Wahlkampf davon profitieren werden, dass sich bei vielen Menschen das Lenor-Gewissen gemeldet hat, steht auf einem ganz anderen Blatt. In dieser Woche hat ein Berliner Gericht ein bemerkenswertes Urteil zu einem Auskunftsbegehren der Grünen-Politikerin Renate Künast gefällt. Es befand, dass üble Schimpfworte wie "Sondermüll" oder "Drecks Fotze" ein Stilmittel der Polemik sind und in einem Sachzusammenhang zu einer vor 33 Jahren gemachten Äußerung benutzt werden dürfen. Der Sprachmüll, der sich da auf Facebook angesammelt hatte, sei legitim, weil Politiker etwas härter im Nehmen sein müssen. Damit haben ein Richter und zwei Richterinnen den Persönlichkeitsschutz von PolitikerInnen auf Null gesetzt. Gegen sie darf man hetzen, wüten, ihre Worte verdrehen. Dieser Beschluss zeugt von einer Verachtung der politischen Klasse. Denn für den Hass im Netz wird man immer einen "Sachzusammenhang" konstruieren können, wenn die Ausgangslage ein verdreht wiedergegebenes Zitat sein darf. Wer hier von einem gehirnamputierten Gericht spricht, hat den Ernst der Lage erkannt.
*** Es war nicht nur die Woche der Greta Thunberg oder von Renate Künast, sondern auch die von Edward Snowden. Er veröffentlichte sein erstes Buch. Den längsten Auftritt mit dem größten Beifall hatte er hier, wo ihm der Snowden-Spezialist Holger Stark mit knallharten Fragen zum NSA-Komplex zusetzte. Snowdens Wandlung vom loyalen Mitarbeiter bei der CIA und NSA zum Whistleblower begann im Jahre 2009, als er ein Dokument in einem besonders geschützten Bereich für Exceptionally Controlled Information (ECI) fand, das TOPSECRET//STLW//HCS/COMINT//ORCON/NOFORN klassifiziert war, wie es auf Seite 225 der deutschen Ausgabe heißt. Mit dem Abdruck dieser Zeichenfolge soll Snowden gegen seine geschworenen Treuepflichten verstoßen haben, weswegen der Verkaufserlös am Buch wie auch die Honorare für seine Videoauftritte von der US-Regierung beschlagnahmt werden sollen. Man darf gespannt sein, ob diese Argumentation vor Gericht verfängt, denn solche Meta-Hinweise werden von der US-Regierung selbst nach dem Freedom of Information Act veröffentlicht und auf einschlägigen Seiten diskutiert. Wie sieht es beispielsweise mit TOP SECRET VRK11 TK AG DC MC N O F O R N aus, das die Geheimdienstkenner von Electrospaces gerade zu entschlüsseln versuchen?
*** In seinem Buch dankt Snowden seinen Anwälten wie dem mutigen Robert Tibbo und erzählt von der umwerfenden Hilfsbereitschaft einer Vanessa Rodel. Irgendwann möchte er all seine Helfer in Kanada in Sicherheit sehen. Schwer beeindruckt zeigt er sich auch von der Tatkraft der Journalistin Sarah Harrison, die ihn im Auftrag von Wikileaks in Hongkong aufsuchte und auf dem Flug nach Russland begleitete. Weniger gut kommt Julian Assange weg: Nach wenigen Wochen im Exil brach Snowden die Verbindung nach einem Streit ab. Aktuell ist Assange im britischen Gefängnis Bellmarsh untergebracht, in dem gerade die Haftbedingungen gelockert werden, wie Wikileaks-Sprecher Kristin Hranffson in diesem Interview erzählt. Bald soll sein Status geändert werden, vom Häftling zum Auslieferungskandidaten. Ob das ausreicht, sich auf die Verhandlung im Februar vorbereiten zu können, darf man bezweifeln.
Was wird.
Derweil laufen in den USA die Vorbereitungen beim Prozess gegen den an dieser Stelle schon einmal erwähnten Whistleblower Daniel Everett Hale weiter, der Details zum Drohnenprogramm der US-Armee weitergab. Während die Regierung Obama auf eine Anklage verzichtete, geht die Regierung Trump einen Schritt weiter und weist die Juristen an, die Motive eines Whistleblowers nicht zu beachten. Wer da mit seinem Gewissen argumentiere, lügt mit so einer Schutzbehauptung herum. Bleibt nur noch die Frage zu klären, was den noch unbekannten Whistleblower bewegte, der sich beim offiziellen Whistleblower-Kanal der Geheimdienste gemeldet hat, der aber von den Kongressabgeordneten ferngehalten wird. In Trumps Augen ist er ohnehin ein ehrloser Lump. Irgendetwas stimmt da nicht.
Sofort auf Bewährung freigelassen wurde der Iraker Deday A., wie das Oberlandesgericht Frankfurt/Main urteilte. Er bekam eine Jugendstrafe von zwei Jahren auf Bewährung, obwohl das Gericht im Laufe der Verhandlung seine Volljährigkeit feststellte. Er wurde für schuldig befunden, auf Facebook für eine terroristische Vereinigung geworben und via Messenger eine Anleitung zur Begehung einer schweren Straftat verbreitet zu haben. Außerdem soll er einen nicht näher konkretisierten Anschlag in Deutschland geplant und sich dafür Schwarzpulver in Gestalt von Chinaböllern besorgt haben. Soweit, so schlecht, doch eines fehlt: Deday A. ist der einzige islamistische Gefährder, der dank der Palantir-Software Hessendata "unmittelbar vor einem bevorstehenden Anschlag" verhaftet wurde, gewissermaßen vor der frischen Tat. Das jedenfalls behauptete Hessens Innenminister Beuth im Juli 2018, als im Wiesbadener Parlament über die Anschaffung der Software für die vorausschauende Polizeiarbeit diskutiert wurde. Derweil ist Palantir auf Geldsuche. Mindestens 1 bis 3 Milliarden Dollar sollten es schon sein, die man bei Wagniskapitalisten eintreiben will. Die neue Finanzierungsrunde ist notwendig, wenn man Software wie Hessendata zum symbolischen Preis von 1 Cent verkauft und der eigentliche Preis geheim bleiben muss, wie das zur Verleihung eines Big Brother Awards für Hessendata bekannt wurde.
Wäre nicht ein kostenloser öffentlicher Nahverkehr eine prima Klima-Sache, die den Autoverkehr eindämmt? Aber was wird dann aus dem Delikt des Schwarzfahrens, das unbedingt als Straftat verfolgt werden muss, wie die Deutsche Polizeigewerkschaft im Beamtenbund passend am Tag des Klimastreiks forderte? Schwarzfahren ist polizeimäßig gesehen ein erstklassiges Delikt, weil "die Tat den Täter gleich mitliefert", so ganz ohne Palantir-Software. Außerdem ist die Tat gut für den Bürgersinn: "Und gerade weil es sich um eine Straftat handelt, haben auch Kontrolleure und Bürger das sogenannte Jedermannsrecht, mit dem sie Täter festhalten können bis die Polizei kommt." Ja, so wünscht man sich den deutschen Bürger, ganz wie früher. "Sie! Bürger, kommen Sie sofort zurück! Das ist Ihre Pflicht!". (bme)