Zahlen, bitte! Beteigeuze – Schwankender Überriese mit 20 Sonnenmassen

Stern Beteigeuze elektrisiert derzeit die Wissenschaft: Kündigt sein Helligkeitsverlust eine Supernova an, oder handelt es sich nur um eine stärkere Schwankung?

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Zahlen, bitte! -  Schwankende Beteigeuze mit 955 fachem Sonnenradius
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Inhaltsverzeichnis

Viel Wirbel herrscht derzeit um Beteigeuze, einen gigantischen Stern des Sternbilds Orion. Seit Oktober hat dieser Rote Überriese nämlich enorm an Leuchtkraft eingebüßt. Er ist von 0,3 bis 0,4 Magnituden (0 ist der Referenzwert der scheinbaren Helligkeit der Wega) bis auf 1,289 Magnituden abgefallen. Wenn man derzeit die Schlagzeilen betrachtet, so scheint daher die Wahrscheinlichkeit hoch zu sein, dass wir Zeuge eines besonderen Himmelsschauspiels werden: Eine Supernova wird erwartet.

Das Wintersechseck und -dreieck bestehend Sirius, Prokyon, Pollux, Capella, Aldebaran und Rigel außen sowie Beteigeuze. Inklusive Mond. Darstellung aus Stellarium.

(Bild: CC BY-SA 3.0 ,Elop using Stellarium )

Beteigeuze, beziehungsweise α Orionis (Bayer-Bezeichnung) ist schon länger einer der aussichtsreichen Kandidaten dafür. Als roter Überriese mit etwa 20 Sonnenmassen ist er bereits in einem sehr späten Sternenstadium und physikalisch instabil. Wenn Helium, Kohlenstoff und andere Atome zur Fusion aufgebraucht sind, wird er irgendwann kollabieren und vermutlich nach einer sehenswerten Supernova als Neutronenstern enden.

Und die Möglichkeit sehen manche Forscher nun gekommen, nachdem Beteigeuze seit Oktober rapide an Leuchtkraft abgenommen hat. Dabei ist er vergleichsweise blutjung: Gegenüber seinem Alter von nur etwa 10 Millionen Jahren ist das Alter der Sonne mit etwa 4,5 Milliarden Jahren geradezu biblisch.

Orion als visualisiertes Sternbild des Himmelsjägers in einer zeitgenössischen Darstellung von 1825. Der dargestellte Löwe hat keine tiefere Bedeutung. Orion wird auch oft mit Bogen dargestellt. Beteugeuze ist hier gut als Schulterstern der rechten Schulter des Orion dargestellt.

Er befindet sich oben links als rot strahlender Schulterstern des Orion-Sternbilds. Alleine das Sternbild selbst ist schon bemerkenswert: Mit Rigel und Beteigeuze beansprucht Orion im Ranking der zehn hellsten Sterne gleich zwei Plätze für sich. Mit M42 befindet sich der hellste Emissionsnebel im Orion: Eine Sternenkinderstube, die den Astronomen schon viele Einblicke in die Welt der entstehenden Protosterne gab.

Zahlen, bitte!

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblüffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natürlich der Mathematik vor.

Dank seiner nah am Äquator gelegenen Himmelsposition ist der Orion über das Jahr verteilt von der nördlichen wie auch südlichen Halbkugel zu sehen. Die alten Sumerer sahen in dem Sternbild ein Schaf, die Inka in Südamerika ein Lama. Für die Germanen ähnelte das Sternbild drei Fischern. Die Wikinger erkannten darin gar Thor. Die Griechen gaben dem Sternbild den noch heute geläufigen Namen: sie sahen den Jäger Orion, der dem Sternbild des Stier nachstellte, welches sich in unmittelbarer Nachbarschaft befindet.

Das vom Atacama Large Millimeter/submillimeter Array (ALMA) aufgenommene Bild zeigt kein Eidotter im Weltall, sondern Beteigeuze.

(Bild: ALMA (ESO/NAOJ/NRAO)/E. O’Gorman/P. Kervella)

Doch zurück zu Beteigeuze. Der Stern hat wahrlich gewaltige Ausmaße, gegen den die unsere Sonne geradezu winzig wirkt. Sein Radius schwankt als veränderlicher Stern zwischen 955 und 1200 Sonnenradien (Ein Sonnenradius: 6,96342 × 108 m = 696.342 km ± 65 km). Damit übertrifft die maximale physische Ausdehnung von Beteigeuze die Umlaufbahn des Jupiter. Im Schnitt erreicht er damit rund den 1000-fachen Durchmesser und eine 10.000-fache Leuchtkraft der Sonne. Zur Einordnung: Das Sonnenlicht benötigt mit Lichtgeschwindigkeit über eine halbe Stunde bis es den Jupiter erreicht. Der US-Astronom Bob Berman erklärte in seinem Buch "Die Wunder des Nachthimmels", wenn Beteigeuze ein Ball mit 25 Metern Durchmesser wäre, wäre die Erde im Vergleich so groß wie der Punkt am Ende dieses Satzes.

Die Größe hat Folgen: Normalerweise lassen sich Sterne aufgrund der enormen Distanzen nur als Lichtpunkt wahrnehmen, egal wie stark das dazu verwendete Teleskop ist. Beteigeuze teilt sich mit neben Mira und Altair als einer der wenigen Sterne die Eigenschaft, als Fläche wahrgenommen werden zu können. Dadurch war er auch der erste Stern, dessen Radius via Interferometrie gemessen werden konnte.

Beteigeuze und Orion (7 Bilder)

Das Sternbild Orion. Den Kopf bildet der Stern Meissa. Er gehört zu Sternhaufen Cr69.
Der rotleuchtende Stern links der Mitte ist die Beteigeuze. Rechts davon Bellatrix.
Die drei Sterne in der Mitte bilden Alnitak, Alnilam und Mintaka und gehören zum offenen Sternenhaufen Cr70.
Darunter befindet sich im sogenannten "Schwertgehänge" unter anderem der Emissionsnebel M42. In dem Bereich befindet sich auch der weltberühmte Pferdekopfnebel B 33.
Den Abschluss bilden unten die Sterne Saiph (links) und Rigel.

Dass Beteigeuze als variabler Stern in regelmäßigen Zyklen in der scheinbaren Helligkeit abnimmt und wieder zulegt ist allerdings schon lange bekannt. Der deutsche Astronom Joseph Plassmann berichtete 1931 in seiner Publikation "Studien über den Lichtwechsel von α Orionis" in der Fachzeitschrift "Das Weltall" davon, dass Wilhelm Grimm, einer der Gebrüder Grimm, schon 1825 ein Indiz für die Veränderlichkeit von Beteigeuze lieferte. Grimm beschrieb in einem Briefverkehr mit Jenny von Droste-Hülshoff, das Sternbild Orion.

Dabei berichtete Grimm von der Schönheit und Struktur von Orion und nannte dabei "die zwei großen Sterne Rigel und Bellatrix", während er Beteigeuze gar nicht als besonders lichtstark wahrzunehmen schien. Selbst in seiner Darstellung, die ein frühes Werk von Typewriter-Art darstellt, ist die Beteigeuze ein Stern wie die anderen. Dabei ist sie normalerweise fast genauso hell und die anderen Sterne überstrahlend, wie Rigel.

Die Beschreibung des Sternbilds Orion durch Wilhelm Grimm. Beteigeuze wird keine außerordentliche Beachtung zuteil, vermutlich, weil er zu der Zeit eine schwache scheinbare Helligkeit aufwies.
Aus: "Briefe der Brüder Grimm an Freundinnen: Aus der Zeit ihres Lebens in Kassel"

Damit erbrachte Grimm, mit der Nichtbeachtung des womöglich schwach leuchtenden Beteigeuze, unbewusst bereits 11 Jahre vor dem deutsch-britischen Astronom William Herschel einen ersten Hinweis auf die Veränderlichkeit des Beteigeuze. Herschel beschäftigte sich ab 1836 als erster Astronom mit der Veränderlichkeit von Beteigeuze.

Schwankungen in der Leuchtintensität sind somit bei dem Stern somit nichts ungewöhnliches. Es sind sogar zwei Arten von Zyklen bekannt. 2100 Tage und 423 Tage. Was die Wissenschaftler aufhorchen lässt, ist die enorme Abdunklung: Von Platz 6-7 der hellsten Sterne rauschte Beteigeuze auf Platz 21 herunter. So eine schwache scheinbare Helligkeit wurde bei ihm noch nie gemessen. Andererseits: Da zwei der Zyklen ihren niedrigsten Punkt erreicht haben, kann es auch sehr gut sein, dass Beteugeuze bald in altem Glanz erstrahlt. Durchschnittlich war bis Dezember 0,42 Magnitude die scheinbare Helligkeit Beteigeuze. Kein Wunder, dass es als Heimatsystem von Ford Prefect und Zaphod Beeblebrox gilt, den beiden Figuren aus der Per Anhalter durch die Galaxis-Romanreihe.

Die Supernova wäre aufgrund der hohen Entfernung von ungefähr 640 Lichtjahren höchstwahrscheinlich ungefährlich, aber sicherlich ein spannendes Schauspiel: Über Wochen stünde sie so hell am Himmel wie der Halbmond, selbst tagsüber. Und für die Wissenschaftler wäre es ein Gabelfrühstück, da sie aus einer so komfortabel zu erforschenden Supernova viele Erkenntnisse beziehen könnten: Zum einen, über die Prozesse innerhalb eines solches Himmelsereignis, zum anderen über Begleiteffekte wie Neutrinos und Co. Die letzte Supernova, die mit bloßem Auge zuerkennen war, fand im Jahr 1604 statt.

Mehr Infos

Entfernung: ca. 640 Lichtjahre (± 150 Lichtjahre)
Scheinbare Helligkeit : 0,42 (0 bis 1,3) mag
Masse: Rund 20 Sonnemassen
Radius: Zirka 950-1200 Sonnenradien
Winkeldurchmesser: 0,05 Bogensekunden
Leuchtkraft: ca. 55.000 Sonnen
Radialgeschwindigkeit: 21 km/sek
Spektralklasse: M2
Rotationsdauer: 2070 bis 2355 Tage

Genauer betrachtet ist es somit eher wahrscheinlich, dass Beteigeuze in ein paar Monaten wieder in alter Helligkeit erstrahlt und der Helligkeitsabfall nur eine sehr starke dunkle Periode gewesen ist. Aber Restzweifel bleiben: Somit könnte es in 28 Minuten, ein paar Tagen, oder auch erst in 100.000 Jahren so weit sein (wobei die Zeitfrage eh relativ zu sehen ist – alles was wir jetzt bei Beteigeuze beobachten hat vor rund 640 Jahren stattgefunden, als das Licht auf die Reise ging.).

Eines ist aber gewiss: Es lohnt sich so oder so stets auf Orion einen Blick zu werfen. Schon durch einem normalen Fernglas betrachtet gibt der Orion viele faszinierende Details preis. (mawi)