Zweiter Frühling

Updates für ältere Windows-Mobile-Smartphones wird es wohl nicht mehr geben. Doch auf einigen Geräten kann man auch Android installieren.

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Windows-Mobile-Smartphones mit den Betriebssystem-Versionen 6.1 oder 6.5 gelten als hoffnungslos veraltet, ein Update auf Windows Phone 7 wird keins der Geräte erhalten. Doch zum Altmetall muss man die schicken Geräte nicht geben, denn mit etwas Aufwand lässt sich Android darauf installieren.

Die erste Anlaufstelle für eine verbesserte, wenn auch inoffizielle Firmware für ein Windows-Mobile-Smartphone ist die Webseite www.xda-developers.com. Die dortigen ROM-Köche nutzen ihre Kenntnisse der Smartphone-Hardware seit einiger Zeit auch für die Portierung von Android auf verschiedene Windows-Smartphones. Die Entwickler kümmern sich vor allem um die HTC-Smartphones Touch Diamond, Touch Diamond 2, Touch Pro, Pro 2 und Touch HD.

Es gibt Distributionen, die Windows Mobile komplett ersetzen und solche, die zusätzlich installiert werden – wir konzentrieren uns auf letztere; damit hat man auch bei Problemen immer noch ein funktionierendes Betriebssystem. Zum Start des alternativen Systems dient das Windows-Mobile-Programm haret.exe (Handheld Reverse Engineering Tool). Das ist ein Linux-Bootloader, der Windows Mobile beendet und ein auf der Speicherkarte oder dem internen Speicher liegendes Android startet.

XDAndroid besteht im Auslieferungszustand aus nur wenigen Dateien, die auf die SD-Karte zu kopieren sind.

Wir haben das auf vier HTC-Smartphones ausprobiert: Aus dem Jahr 2008 stammen das Touch Diamond, das Tastaturgerät Touch Pro und das Touch HD; das Touch Diamond 2 erschien erst im vergangenen Jahr. Für diese Smartphones existiert eine gemeinsame Distribution unter dem Namen XDAndroid, mitgelieferte Konfigurationsdateien dienen zur gerätespezifischen Anpassung. Nach dem Download von XDAndroid auf einen Windows-PC extrahiert man den Inhalt in das Stammverzeichnis einer mindestens 512 MByte fassenden SD-Karte – das Touch Diamond hat keinen Kartenslot, hier kopiert man die Daten vom PC aus in den internen Speicher.

Danach geht man in das Verzeichnis Startup Config und sucht das zum Handy passende Unterverzeichnis – diese tragen nicht die deutschen Namen der Smartphones, sondern deren US-Bezeichnung (siehe Vergleichstabelle). Daraus kopiert man nun die Datei Startup.txt ins Stammverzeichnis. Nach unseren Erfahrungen muss man sie, anders als in der Anleitung beschrieben, auch nach Startup Config kopieren. In das Verzeichnis AndroidApps kopiert man noch die zu installierenden Zusatzanwendungen, eine Auswahl liegt in den dortigen Unterverzeichnissen.

US-Bezeichnungen der HTC-Geräte
Deutschland USA
HTC Touch Diamond Diamond
HTC Touch Diamond 2 Topaz
HTC Touch HD Blackstone
HTC Touch Pro Raphael
HTC Touch Pro 2 Rhodium

Der erste Start von Android per haret.exe dauert einige Minuten. In dieser Zeit erzeugt das System aus den vorliegenden Dateien das Abbild einer Android-Installation (data.img), zwischendurch wird der Touchscreen kalibriert. Die diversen Fehlermeldungen des Linux-Bootvorgangs kann man getrost ignorieren. Erst wenn das System mehrere Minuten an der gleichen Stelle verharrt, ist ein Eingriff erforderlich. Bei einigen Geräten kommt etwa die Meldung, dass das System auf die SD-Karte wartet. Die einfachste Lösung liegt nach Entwickler-Angaben in der Verwendung einer schnelleren Speicherkarte, auch könne man versuchen, die Karte durch die Formatierung mit dem offiziellen Formatier-Tool der SD-Card-Association zur Mitarbeit zu überreden.

Nach dem Start, der zum Ende mit der vom Nexus One entliehenen Boot-Animation verschönert wird, fühlt sich das Handy wie von Android gewohnt an: Auf die Eingabe der PIN hin erhält man auf Wunsch eine Einführung in das Betriebssystem, nach der Eingabe eines Google-Accounts Zugriff auf Google-E-Mails und den Market. Die meisten Google-Anwendungen sind installiert; Maps fehlt, lässt sich aber aus dem Market nachinstallieren. Sofern eine deutsche SIM-Karte im Gerät steckt, erscheint die Benutzerführung gleich auf Deutsch.

Beim Starten des Systems fühlt man sich an eine Linux-Distribution auf dem Desktop erinnert.

Die Testgeräte meldeten nach fast jedem Start Fehler, dass der eine oder andere Prozess nicht reagieren würde; zur Auswahl stehen „Schließen der Anwendung“ oder „Warten“. Letzteres klappte bei uns in jedem Fall. Die Entwickler vermuten, dass eine zu langsame Anbindung der SD-Karte der Grund für das übereilte Meckern des Betriebssystems sein könnte.

Bei der Bedienung muss man sich etwas umgewöhnen, denn Android braucht fünf Tasten, unsere Windows-Mobile-Smartphones bieten nur vier. Daher wird die Einschalttaste unter Android als Home-Button umgewidmet, längeres Drücken bringt die Liste der zuletzt geöffneten Anwendungen hervor. Die ursprüngliche Home-Taste öffnet das Kontext-Menü, die Back-Taste und die üblichen Telefonietasten behalten ihre Funktion. Die „Auflegen“-Taste dient zudem nun zum Abschalten des Geräts. Die Sensortasten des Touch HD funktionieren unter XDAndroid, allerdings lässt sich das Smartphone darüber nicht ausschalten – hier hilft nur das Entfernen des Akkus. Die Belegung von Back- und Home-Taste haben die Entwickler beim HD merkwürdigerweise vertauscht.

Die Hardware der HTC-Smartphones wird weitgehend unterstützt, doch einige Punkte haben die Entwickler noch nicht im Griff: Die Kameras funktionieren nicht, und um einen funktionierenden GPS-Empfänger zu erhalten muss man eine aktuelle Version des rootfs einspielen. Die Positionsbestimmung dauert dennoch rund zehn Minuten.

Per USB kann man nicht auf die Speicherkarte der Androiden (beziehungsweise den internen Speicher des Touch Diamond) zugreifen, weil die Smartphones sich gegenüber dem PC nicht als USB-Massenspeicher ausgeben.

Als Surfbrett für Notebook-Ausflüge eignen sich XDAndroid-Smartphones bislang noch nicht. Weder per USB noch per WLAN reichen die Geräte ihren Internet-Zugang weiter. Zwar existiert eine experimentelle Version des WLAN-Tethering-Programms android-wifi-tether, doch konnten wir diese nicht zum Weiterleiten der vom Notebook stammenden Anfragen überreden. Bluetooth funktioniert im Prinzip: Wir konnten über ein Headset telefonieren, Musik kam auf einem Stereo-Kopfhörer nur abgehackt an.

Mit XDAndroid kommt ein neuer Programmstarter namens Home++, der anders als das Original auch im Querformat bedienbar ist.

An Bord, aber nicht funktionsfähig ist die Sprachsuche: Sie quittierte ihren Aufruf lediglich mit einer Fehlermeldung. Auch die Sprachwahl funktioniert nicht wie erwartet. Beim Telefonieren konnten wir keine Qualitätsunterschiede zwischen Windows Mobile und Android feststellen, die Benutzung der Freisprechfunktion beendete allerdings das Gespräch.

Die Entwickler betonen, dass die Akkulaufzeit sehr kurz sein kann. Zum Vergleich haben wir unter den verschiedenen Betriebssystemen per WLAN wiederholt eine Datei von einem Webserver geladen und die Zeit gestoppt, bis der Akku leer war. Unter Windows Mobile lief das Touch Diamond zwei Stunden, unter Android war bereits eine halbe Stunde früher Schluss. Zudem ist die Akkuanzeige unter Android sehr ungenau – ein laut Android voll geladener Akku war laut Windows Mobile nur zu etwa drei Vierteln gefüllt.

Das Touch Diamond lief stabil, aber sehr langsam; gelegentlich mussten wir mehrere Sekunden auf den Start einer Anwendung oder das Erwachen aus dem Standby warten. Mit der schnelleren Hardware des Touch HD und des Pro macht Android mehr Spaß. Auf dem Touch Diamond 2 konnten wir Android zwar zum Starten bewegen, das System stürzte jedoch regelmäßig kurz nach dem Start ab. Eine Zusammenstellung eines anderen ROM-Kochs (Android for Topaz) lief etwas stabiler, allerdings funktionierte nicht einmal das WLAN.

Eine weitere Distribution für Geräte mit einer Bildschirmauflösung von mindestens 640 x 480 Pixel nennt sich Android 2.1 with HTC Sense. Sie enthält die von HTC-Geräten bekannte Bedienoberfläche Sense und stammt anscheinend vom HTC Hero – darauf weist zumindest der Boot-Bildschirm hin. Auch diese Version stürzte bei unseren Tests regelmäßig ab, zudem versprechen die vom Hero übernommenen Anwendungen zu viel: Das UKW-Radio etwa funktioniert nicht.

Nur mit diesen Einstellungen in der Registry von Windows Mobile lief der Bootmanager auf allen Testgeräten. Die letzten vier Werte müssen als dwords eingetragen werden.

Wer direkt beim Einschalten Android starten möchte, nutzt den Bootmanager Gen.Y DualBoot. Dieser klinkt sich in den Boot-Vorgang ein und präsentiert eine Auswahlmöglichkeit zwischen Windows Mobile und Android. Auch eine Auto-Boot-Option ist enthalten, die nach drei oder zehn Sekunden das vorab ausgewählte System startet.

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Weicher Umstieg

Der Exchange-Client ist für viele Windows-Mobile-Anwender die wichtigste Anwendung ihres Mobilgeräts, auch die Bearbeitung von Office-Dateien ist trotz der Schwächen von Office Mobile recht beliebt. Die Exchange-Anbindung hat Android seit der Version 2.0 eingebaut, lokale Synchronisation mit Outlook klappt nicht. Düster sieht es zudem für Umsteiger im Bereich Office aus. Im Android-Market finden sich nur zwei ausgewachsene Office-Anwendungen: das von diversen anderen Plattformen bekannte Documents to go und das nur für Android verfügbare Thinkfree Mobile (siehe Schreibmaschinchen). In beiden Fällen stehen Nutzern umgerüsteter Windows-Mobile-Smartphones lediglich die Demo-Versionen der Software, nicht jedoch die Kaufversionen zur Verfügung. Google beschränkt nämlich den Zugriff auf den Market: Die Suche nach dem Stichwort Documents bringt bei unseren Testgeräten lediglich 40 Treffer hervor, dem Market bekannte Geräte erhalten mehr als die doppelte Anzahl.

Auf einigen Testgeräten schrieb das Installationsprogramm die notwendigen Werte allerdings nicht in die Windows-Mobile-Registry, es war Nachhilfe durch einen Registry-Editor (etwa PHM Regedit) nötig. Das im Stammverzeichnis der SD-Karte liegende Android-System fand der Bootloader dennoch nicht, erst das Verschieben des Systems in einen eigenen Ordner (und Eintrag desselben in der Windows-Mobile-Registry) führte zum Erfolg. Der Bootmanager lässt sich rückstandsfrei deinstallieren, falls er auf dem gewünschten Gerät nicht funktioniert.

Googles Mobilbetriebssystem Android ist ein Open-Source-System, der Quellcode steht auch für Weiterentwicklungen und Portierungen auf andere Plattformen zur freien Verfügung. Die von Google entwickelten Anwendungen wie Maps oder Mail dürfen dagegen nur von Google beziehungsweise seinen Lizenznehmern verbreitet werden. Dennoch sind sie in XDAndroid enthalten. Eine ähnliche Situation gab es bereits bei der Android-Distribution CyanogenMod – hier hatte Google interveniert, der Programmierer nahm die Google-Anwendungen aus seinem Paket heraus.

Ähnlich sieht es mit der Distribution aus, die mit der von HTC entwickelten Bedienoberfläche Sense kommt. Sie stammt, wie aus dem Startbildschirm hervorgeht, aus dem HTC-Smartphone Hero. Eine Lizenz zur Verbreitung dürfte der Programmierer nicht besitzen. Anwender haben durch den Download und die Nutzung der in den Distributionen enthaltenen Anwendungen nach unserer Einschätzung nichts zu befürchten.

Mit XDAndroid haucht man älteren Windows-Mobile-Smartphones wieder ein neues Leben ein. Gegenüber dem als ressourcenhungrig verschrieenen Windows Mobile kann Android jedoch im derzeitigen Stadium kaum Boden gutmachen: Kamera-Funktionen fehlen, auf älteren Geräten läuft die Software nicht flüssig und auf einem unserer Testgeräte stürzte Android regelmäßig nach kurzer Zeit ab. Die Entwickler bauen jedoch wöchentlich neue Funktionen ein und drehen an diversen Schrauben; daher besteht gute Hoffnung, dass Android in naher Zukunft auch für den Alltagseinsatz auf diesen Smartphones taugt.

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Android auf weiteren Smartphones

Experimentierfreudige Programmierer haben die Android-Sourcen auch für andere Smartphones angepasst. Prominentester Neuzugang in der Android-Familie ist sicher Apples iPhone 3G, aber auch das erste iPhone, Nokias Internet-Tablet N900 und die ältere N800-Reihe sowie Sony Ericssons Xperia X1 sind dabei. Für all diese gilt aber noch mehr als für die im Artikel genannten HTC-Geräte, dass die Umsetzung noch nicht alltagstauglich ist.

Die Bedienung der umgerüsteten Geräte ist gewöhnungsbedürftig, auch weil der an ungünstiger Stelle liegende umfunktionierte Einschaltknopf doch recht häufig gebraucht wird. An der Stiftbedienung dürften mit den Geräten vertraute Anwender nichts auszusetzen haben – per Finger lassen sich die resistiven Touchscreens jedoch schlechter bedienen als die kapazitiven. Dennoch spricht nach unseren Erfahrungen nichts gegen einen kostenlosen Android-Spaziergang, da die Android-Installation die Windows-Mobile-Firmware nicht berührt. (ll)