Konkurrent Nummer 1

Das Motorola Xoom ist der erste ernstzunehmende Konkurrent für den Tablet-Marktführer Apple iPad und löst manche Probleme sogar eleganter.

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Einen Tag, nachdem Google die Tablet-Version von Android fertiggestellt hatte, begann in den USA der Verkauf des ersten Geräts damit, des Motorola Xoom. Es ist der erste ernstzunehmende Konkurrent für den Tablet-Marktführer Apple iPad und löst manche Probleme sogar eleganter.

Android 3.0 kommt ohne mechanische Tasten und Sensorfelder aus, indem es am unteren Bildrand ständig Knöpfe für Zurück, Home, Taskmanager und Menü einblendet, unabhängig von der Ausrichtung des Geräts. Mit Tipp auf die Uhrzeit hat der Anwender wichtige Optionen aus jeder App ständig im Zugriff.

Wohltuend fällt der Verzicht auf einen Fullscreen-Modus auf, aus dem gerade Anfänger nicht immer zurückfinden. Die Steuer- und Statuszeile bleibt auch bei Spielen oder im Browser eingeblendet, Apps haben lediglich die Möglichkeit, sie auf vier unauffällige dunkle Punkte zu reduzieren, die voll funktionsfähig bleiben – die Apps zum Anzeigen von Büchern, Videos, Diashows und YouTube-Filmchen machen das so.

Der Zurück-Schalter funktioniert App-übergreifend, man kommt also nach dem Aufrufen des Browsers durch Tippen eines Links in einer Mail darüber wieder zurück ins Mail-Programm. Der Taskwechsel-Knopf erlaubt einen schnellen Wechsel zwischen den fünf zuletzt gestarteten Apps, wobei sie im Hintergrund nicht weiterlaufen.

Auch das Bedienkonzept der Apps ist neu: Sie können Inhalte nun in nebeneinanderliegenden Bereichen anzeigen und blenden am oberen Bildschirmrand eine Aktionsleiste ein. Die Bereiche ähneln der geteilten Sicht von iPad-Anwendungen, sind aber in Breite und Inhalten flexibler angelegt. Die Aktionsleiste zeigt rechts Knöpfe für Programmaktionen wie Termin anlegen, Mail löschen oder suchen. In der Mitte blenden einige Apps Reiter zum Umschalten der Ansicht ein, beispielsweise wechselt die Kalender-App so zwischen Tages-, Wochen- und Monatssicht. Das Icon links in der Aktionsleiste wechselt innerhalb der App eine Ebene hoch.

Angepasste Apps sind unter anderem Mail (IMAP und POP3) und Google Mail, der jetzt sehr übersichtliche Kalender, Kontakte, Maps, Market und YouTube. Der Browser synchronisiert nun Bookmarks mit dem Desktop-Chrome. Die Talk-App unterstützt Videochats. Movie Studio ist ein einfaches Schnittprogramm für Videos. Books zeigt die Google-Bücher an und bietet viele Optionen zum Anpassen des Schriftbilds, allerdings fehlen die vom iPad bekannten Möglichkeiten für Lesezeichen und Anmerkungen.

Die meisten nicht an Android 3.0 angepassten Apps laufen zuverlässig, allerdings stürzen einige wie die Facebook-App häufig ab. Apps, die mit den verschiedenen Display-Auflösungen der Smartphones umgehen können, liefern anders als iPhone-Apps auf dem iPad eine nicht interpolierte Anzeige über die gesamte Displaygröße. Einige Apps wie Spiele lassen sich vernünftig bedienen, andere wie Twitter, RSS-Reader oder Mail-Programme profitieren ohne die Aufteilung in nebeneinanderliegende Bereiche wenig vom großen Display.

An Android 3.0 angepasste Apps lassen sich über die Aktionsleiste oben steuern. Die Statuszeile unten ist immer sichtbar.

Die Tasten der Displaytastatur sind im Hoch- und Querformat etwas kleiner als die des iPad. Umlaute erreicht man über längeres Drücken auf a, o, u und ß, Apples den Schreibfluss weniger störende Wischgeste fehlt.

Ganz fehlerfrei läuft das System nicht, ab und zu stürzen (auch an Android 3.0 angepasste) Apps ab oder zeigen ein schwarzes Bild. Die Pufferung in YouTube funktioniert schlecht, die meisten Videos laufen erst nach mehreren Versuchen fehlerfrei durch. Der Browser meldet sich als Mobil-Browser, sodass viele Internetseiten nur in den eingeschränkten Mobi-Versionen sichtbar sind. Flash fehlt und ist für ein Update versprochen.

Größter Nachteil der Google-Plattform gegenüber der iPad-Welt sind die fehlenden Inhalte. Apps und Spiele werden wohl am schnellsten kommen, immerhin gibt es wenige Wochen nach SDK-Veröffentlichung schon ein paar. Doch es fehlen Musik, Filme, TV-Serien, Bücher, Magazine und Zeitschriften. Einiges lässt sich per App nachrüsten, so hat man per Epub- und Kindle-App Zugriff auf Lesestoff, per Amazon-MP3-App auf Musik.

Düster sieht es bei Filmen und TV-Serien aus, da gibt es keine legale Quelle, die annähernd mit Angebotsumfang und Komfort von iTunes mithalten kann. Angeblich will Google bald Filme, Musik und Bücher über den Market vertreiben, der Buchladen ist in den USA schon gestartet.

Motorola konnte nur so schnell auf dem Markt kommen, weil das Xoom in enger Zusammenarbeit mit Google entstand – bei fast jeder Android-Generation hat Google einen Hersteller für eine ähnliche Kooperation gewählt. Die US-Version hat ein hier nicht nutzbares CDMA-Mobilfunkmodul, das sich nicht gegen UMTS austauschen lässt. In Deutschland will die Telekom eine UMTS-Version ab Ende April für 700 Euro exklusiv verkaufen – ohne SIM-Lock und Vertragszwang. Eine reine WLAN-Version dürfte für 600 Euro dann auch bei anderen Händlern erhältlich sein.

Tippt man auf die Uhr in der Statuszeile, öffnet sich ein Info-Fensterchen und eine Liste aller Meldungen, nochmaliges Tippen gibt Zugriff auf wichtige Kontrollen.

Das Display erreicht eine angenehm hohe Helligkeit (fast 300 cd/m²) und hat einen großen Blickwinkelbereich. Die Punktdichte liegt bei 149 dpi, enger als beim iPad. Im Alltag macht sich das 16:10-Display positiv bemerkbar, und zwar nicht nur bei Breitbild-Videos im 720p-Format: Im Querformat wird beim Browsen fast jede Seite dank der 256 Pixel mehr als beim iPad unskaliert dargestellt, auch andere Apps wie Mail oder Kalender bringen spürbar mehr Informationen unter. Im Hochformat sind mehr Inhalte sichtbar, selbst DIN-A4-Seiten sind ein wenig besser aufgelöst.

Das Xoom wiegt 729 Gramm, genauso viel wie das erste iPad mit UMTS, 50 Gramm mehr als dessen WLAN-Version. Gerade im Hochformat zieht das ganz schön an den Fingern, noch größer dürfte der Unterschied im Vergleich zum noch leichteren iPad 2 sein. Etwas dicker als das erste iPad ist es, zwei Zentimeter schmaler und einen halben Zentimeter länger. Gehäuse und Verarbeitung wirken wertig.

Der Akku hält bei voller Display-Helligkeit, aktivem WLAN und leichter Hintergrundaktivität etwas über acht Stunden, bei auf 200 cd/m² gedimmtem Display neuneinhalb. Geladen ist es in unter zweieinhalb Stunden.

Der Einschalter ist unpraktisch an der Rückseite angebracht, auch die fummeligen Lautstärketasten an der Seite erreicht man schwer. Die Stereolautsprecher liegen an der Rückseite und klingen verhältnismäßig gut. Die Rückkamera liefert vergleichsweise brauchbare Fotos.

An der Unterseite sitzen eine MicroUSB-, eine Micro-HDMI- und eine Strombuchse sowie Kontakte zum Laden in Docking-Stationen. Der SD-Karten-Slot wird erst von einem zukünftigen Update zum Leben erweckt. Der HDMI-Ausgang gibt eine Auflösung von 1280 × 720 Punkten aus und zeigt das gleiche Bild wie das Display, lediglich die Android-Menüzeile fehlt. Der USB-Anschluss gewährt wie bei Android-Telefonen Zugriff auf den internen Speicher. Laden lässt sich das Xoom ungewöhnlicherweise nicht per USB, sondern nur mit dem Steckernetzteil. Motorola hat zwei Docking-Stationen im Angebot, eine davon mit HDMI.

Googles Tablet-System ist jetzt ungefähr da, wo Apple vor einem Jahr war, in einigen Punkten wie dem Bedienkonzept aber sogar dem iPad 2 wichtige Schritte voraus, in anderen wiederum deutlich zurück. Einiges wie das Fehlen von Flash wird zum Deutschlandstart behoben sein, anderes wie der nicht funktionierende SD-Schacht allerdings wohl nicht. Vor allem der Rückstand an Filmen, TV-Serien, Magazinen und Zeitschriften dürfte nicht so schnell aufzuholen sein.

Den Vergleich mit den Tablets unter Android 2 gewinnt das Tablet-Android deutlich, es ist in allen Punkten überlegen. Samsung hat voriges Jahr beim ersten Galaxy Tab die Bedienoberfläche und einige Apps zwar ebenfalls sinnvoll angepasst, doch Google geht nun darüber hinaus.

Bei der Hardware hat Motorola gute Arbeit geleistet, ein großer Nachteil ist aber die Unfähigkeit, über USB zu laden. Wie gut es sich im Vergleich mit den Android-Tablets von Acer, Asus, LG, Samsung und Konsorten schlägt, wird sich in den nächsten Monaten zeigen – ein spannender Tablet-Sommer steht bevor. Und vielleicht wird gar nicht Google die Androiden mit Filmen, Musik und Lesestoff versorgen, sondern ein anderer Anbieter wie Amazon füllt die Lücke. Konkurrenz belebt ja das Geschäft. (jow)