Ausgang offen

Weltweit suchen Forscher seit Jahren nach der Antwort auf die Frage nach der Gesundheitsgefährdung elektromagnetischer Felder. Neuere Forschungsergebnisse nähren den Verdacht, dass die Grenze tiefer als bisher angenommen liegen könnte.

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Von
  • Angela Meyer

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Mit dem Boom der Funktechniken hat die Frage, ab welcher Stärke elektromagnetische Felder die Gesundheit gefährden können, an Brisanz gewonnen. Nach der Antwort darauf suchen Forscher weltweit seit Jahren. Neuere Forschungsergebnisse nähren den Verdacht, dass die Grenze tiefer als bisher angenommen liegen könnte – ohne ihn klar zu bestätigen.

Elektromagnetische Felder - kurz EMF - sind keine Erfindung des Menschen und auch mit ihren technisch erzeugten Varianten leben wir inzwischen seit etlichen Jahrzehnten. Allerdings erhöhen wir mit schöner Regelmäßigkeit die Hintergrundbelastung – derzeit liefern die im Alltag immer beliebteren Funktechniken Jahr um Jahr zahlreiche zusätzliche Quellen, die immer neue Nischen im Funkspektrum ausnutzen (siehe Kabel kappen). Damit wächst die Bedeutung eventueller Auswirkungen niederenergetischer EMF auf die Gesundheit:

Bei einer sehr breiten Nutzung können auch bei nur sehr selten auftretenden Erkrankungen immer noch eine nennenswerte Anzahl von Personen betroffen sein und selbst vorübergehende Beeinträchtigungen fallen mehr ins Gewicht. Das Spektrum der vermuteten Wirkungen ist ähnlich breit wie bei chemischen Umwelteinwirkungen: Es reicht von Konzentrations- und Schlafstörungen über allergische Reaktionen und Beeinflussungen der Blut-Hirn-Schranke bis hin zu Krebs [1, 2, 3, 4].

Keine dieser Vermutungen ist bisher wissenschaftlich unangreifbar bewiesen worden, obwohl es zu Gesundheitsgefährdungen schon seit Jahrzehnten Forschungen gibt. Zunächst konzentrierten sich diese vorrangig auf die Gefährdungen durch hochenergetische elektromagnetische Felder. Die Ergebnisse führten zu unterschiedlichen frequenzabhängigen Grenzwerten, die die von gewerblichen Anlagen verursachten Emissionen sowie Belastungen am Arbeitsplatz auf ungefährliche Werte beschränken sollen.

Andauernde Zweifel

Die Zweifel, ob das wirklich ausreicht, verstummten aber nicht: Epidemiologische Studien nährten den Verdacht, dass niedrigfrequente magnetische Felder, wie sie unser Stromnetz erzeugt, bei kleinen Kindern Leukämie fördern können. Dies war der Ausgangspunkt für das von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) geförderte EMF-Projekt, das sich seit 1996 darum bemüht, eine Risikoabschätzung zu möglichen gesundheitlichen Auswirkungen bei Frequenzen von 0 bis 300 GHz zu erarbeiten und globale Standards zu EMF zu entwickeln und durchzusetzen. Aktuell hat die WHO auf der Website des EMF-Projektes einen Vorschlag für ein Regelwerk veröffentlicht, mit dem sich das Vorsorgeprinzip im Gesundheitsschutz umsetzen ließe, und nimmt hierzu bis zum 15. Januar 2005 noch Kommentare entgegen.

Die bisherige entscheidende Erkenntnis der WHO aus den verfügbaren Forschungsergebnissen ist, dass EM-Felder zwar abhängig von Stärke und Frequenz das Gewebe erwärmen und dadurch beeinträchtigen oder schädigen können, aber unterhalb der Grenzwerte, die die International Commission on Non-Ionizing Radiation Protection (ICNIRP) vor ein paar Jahren daraus abgeleitet hat, "anscheinend keine bekannten Auswirkungen auf die Gesundheit haben" [5]. Die ICNIRP-Empfehlungen nutzen seitdem viele Staaten als Richtschnur für ihre Gesetzgebung, an der sich wiederum die Hersteller elektronischer Geräte bei ihren Entwicklungen ausrichten.

Anders als Medikamente müssen elektronische Geräte nur die Grenzwerte einhalten, nicht aber vorab auf etwaige langfristige gesundheitliche Auswirkungen geprüft werden. Daher zogen auch die Mobilfunkhersteller dies nicht in Betracht, obwohl es beim Aufkommen des Mobilfunks noch keine umfassenden Untersuchungen speziell zu dieser dicht am Gehirn genutzten Technik gab.

Mit dem Boom des Mobilfunks ist das Interesse der Öffentlichkeit an Forschungen zur Gesundheitsgefährdung durch niederenergetische elektromagnetische Felder auch unterhalb der Grenzwerte jedoch deutlich gewachsen. Dies ist inzwischen auch bis zu den Mobilfunkherstellern durchgedrungen: Zwar berufen sie sich bei der Herstellung immer noch auf die vorhandenen Grenzwerte, aber angesichts einer zunehmend heftiger werdenden Diskussion über deren möglicherweise notwendige Senkung erklärten sie sich doch bereit, das vom Bundesamt für Strahlenschutz betreute deutsche Mobilfunkforschungsprogramm mitzufinanzieren. Die darin von 2002 bis 2006 geplanten 52 Forschungsprojekte gehören zu einer Vielzahl von Untersuchungen, die weltweit in den vergangenen Jahren gestartet sind.

Unklare Antworten

Untersucht wird auf mehreren Ebenen: Mikrobiologische Experimente mit Zellen im Reagenzglas sollen klären, ob es überhaupt potenziell schädigende Wirkungsmechanismen gibt und, falls ja, wie diese aussehen. Epidemiologische Studien versuchen dagegen mit statistischen Methoden herauszufinden, ob langjährig Belastete häufiger erkranken als Unbelastete sowie gegebenenfalls, woran und welche Art der Belastung besonders problematisch erscheint. Beide Methoden können aber allein nur mehr oder weniger konkrete Hinweise für die weitere Forschung liefern und müssen sich zumindest in Tierversuchen oder – soweit möglich – bei Experimenten an Freiwilligen bestätigen.

Im Laufe der Jahre hat es etliche Versuche gegeben, in Literaturstudien den Stand der Forschung zu sichten und auszuwerten. Ende 1999/Anfang 2000 suchte sich T-Mobile vier unterschiedlich ausgerichtete Partner für ein ungewöhnliches Projekt: Das Ecolog-Institut, Professor Jiri Silny von der RWTH Aachen, das Öko-Institut sowie der inzwischen emeritierte Professor Roland Glaser von der Humboldt-Universität sollten parallel die vorhandene Literatur sichten, die ihrer Ansicht nach wichtigsten 100 Untersuchungen auswählen, jede einzeln bewerten und daraus eine Risikobewertung erarbeiten. Anschließend sollten die vier ihre Ergebnisse in einem so genannten Risikodialog diskutieren [6].

Auch dieses 2002 abgeschlossene Projekt brachte keine endgültige Klarheit: Die Gutachter stimmten zwar darin überein, dass sich aus der bis 2001 verfügbaren Forschungsliteratur kein Nachweis eines gesundheitlichen Risikos für den Menschen bei Expositionen unterhalb der Grenzwerte ergibt. Sie unterschieden sich jedoch in der Bewertung, inwieweit sich aus den Studien Verdachtsmomente ergeben und welche Maßnahmen daraus folgen sollten: Während Silny gar keine Veränderungen der Grenzwerte und Glaser nur Detailkorrekturen für notwendig hielt, plädierte das Öko-Institut zumindest für eine gewisse Vorsorge. Unter anderem schlug es die Einführung eines Minimierungsgebots im Bundesimmissionsschutzgesetz vor, das die Unternehmen verpflichtet hätte, jeweils die am geringsten belastende verfügbare Technik einzusetzen. Das Ecolog-Institut forderte dagegen die Einführung von Vorsorgewerten, die deutlich unter den geltenden Grenzwerten liegen, solange die in einigen Studien gefundenen Verdachtsmomente nicht sicher entkräftet sind.

Prinzipiell lässt sich eine Unschädlichkeit nicht beweisen, denn Klarheit ließe sich nur gewinnen, wenn alle Vorgänge im Körper und ihre mögliche Beeinflussung durch alle Arten von EMF restlos aufgeklärt wären. Doch wie soll man bestimmen, ob dieser Punkt erreicht ist? Derzeit ist die Forschung davon noch sehr weit entfernt. Angesichts der unklaren Datenlage bestimmen unterschiedliche Einschätzungen und Herangehensweisen bis heute die Diskussion.

Vor allem die Ergebnisse einiger großer, parallel angelegter Projekte werden daher mit Spannung erwartet, denn durch Wiederholungen von Untersuchungen in verschiedenen Forschungsinstituten erhofft man sich etwas, was die Einzelstudien trotz ihrer inzwischen hohen Anzahl bisher nicht liefern konnten: wissenschaftlich abgesicherte, reproduzierbare Befunde mit grundsätzlichen Aussagen. Auch das EMF-Projekt der WHO hofft darauf und hat angekündigt, eine erneute Einschätzung der Situation erst nach Abschluss einiger der jetzt laufenden Projekte zu veröffentlichen – geplant ist dies nun für das Jahr 2007.

Langwierige Detailarbeit

Ob die Projekte die in sie gesetzten Hoffnungen tatsächlich erfüllen, bleibt abzuwarten. Einige erste Ergebnisse deuten eher auf weitere, langwierige Forschungen hin, auch wenn sie dazu beitragen könnten, die Richtung der Forschung zu präzisieren.

Die von dem WHO-Krebsforschungsinstitut International Agency for Research of Cancer (IARC) koordinierte Interphone-Studie konzentriert sich auf die Frage, ob mobil zu telefonieren das Krebsrisiko erhöht. In 13 Ländern mit langjähriger Mobiltelefonnutzung einschließlich Deutschland laufen dazu parallele epidemiologische Studien nach dem gleichen Muster: Bei zwei Gruppen mit einigen hundert Personen jeweils mit und ohne Erkrankung wird der Einfluss einer Handynutzung untersucht. Die ersten Teilergebnisse sind nicht eindeutig: So fand eine schwedische Teilstudie bei den untersuchten Personen, die mehr als zehn Jahre mobil telefonierten, ein erhöhtes Risiko für ein Akustikusneurinom, eine gutartige Nervenfasergeschwulst am Hör- und Gleichgewichtsnerv, die bei Betroffenen häufig Ohrgeräusche (Tinnitus) und einseitige Schwerhörigkeit auslöst. In der parallelen dänischen Untersuchung war dieser Zusammenhang nicht gefunden worden. Einen Hinweis auf ein erhöhtes Krebsrisiko gab es bisher nicht. Eine abschließende Bewertung soll es 2005 nach dem Abschluss aller Teilstudien geben.

Auch die Perform-A-Studie, die mit Tierversuchen klären will, ob hochfrequente EMF Krebs auslösen können, soll 2005 Ergebnisse liefern. Versuche des australischen Biophysikers Michael Repacholi hatten bereits 1997 diesen Verdacht genährt, sind aber bisher noch nicht bestätigt worden.

Unerwartete Wirkungen

Wie schwierig Forschung in diesem Feld ist, zeigt unter anderem die Geschichte der im Februar 2000 gestarteten REFLEX-Studie, die eine "Risikobeurteilung potenzieller Umweltgefahren durch die Einwirkung elektromagnetischer Felder niedriger Energie unter Einsatz empfindlicher in-vitro-Methoden" bringen sollte. Der Ansatz war: Wenn sich bei einer systematischen Suche mit Reagenzglas-Experimenten zeigen sollte, dass genschädigende Auswirkungen auf molekularer oder zellulärer Ebene gar nicht möglich sind, dann könnte man sich weitere aufwendige tierexperimentelle oder epidemiologische Studien sparen.

Ein Vierteljahr vor dem geplanten Abschluss des Projektes erklärten Projektleiter Franz Adlkofer (VERUM-Stiftung) und Hugo Rüdiger (Uni Wien) auf der 25. Jahrestagung der Bioelectromagnetics Society (BEMS) im Juni 2003, es sei anders als erwartet nach ihren Untersuchungen klar erwiesen, dass nieder- und hochfrequente elektromagnetische Felder genschädigende Effekte in verschiedenen Zellsystemen hervorrufen, ohne eine Erklärung zu liefern, wie dies geschieht. Dies löste tumultartige Proteste aus. Etliche der Konferenzteilnehmer äußerten massive Zweifel an der methodischen Zuverlässigkeit der Untersuchungen und der Zulässigkeit der daraus gezogenen Schlüsse [7].

Nach einer Verlängerung des Projektes bis zum Mai 2004 für ergänzende Untersuchungen legten die Forscher des Verbundes jetzt Anfang Dezember einen mit dem Hauptsponsor EU-Kommission abgestimmten Abschlussbericht vor. Das aus den gefundenen Ergebnissen gezogene Fazit ist nun zurückhaltender formuliert als vor anderthalb Jahren: Die Ergebnisse sprächen dafür, dass elektromagnetische Felder genschädigende Wirkungen haben könnten. Die Studie scheint nun zumindest Ansätze für weitere Forschungen nach einem Wirkungsmechanismus zu liefern [8].

Ergebnisse aus Forschungen wie der REFLEX-Studie bedeuten nicht zwingend, dass die Krebsraten in ein paar Jahren explosionsartig ansteigen werden – prinzipiell sind selbst Genschädigungen normal und werden bis zu einem gewissen Grad in den Zellen repariert. Ein direkter Automatismus "EMF macht alle krank" wird sich daher auch bei einer Bestätigung mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nicht finden lassen. Auch Adlkofer betont, dass Angstmacherei nicht gerechtfertigt sei. Aber weitere Forschungen müssten jetzt dringend klären, ob und unter welchen Umständen die im Reagenzglas gefundenen Reaktionen auch bei Menschen und Tieren auftreten.

Vorsorge als Prinzip

Falls dies der Fall ist, wäre zu untersuchen, ob sie tatsächlich über das im Körper normale Maß hinausgehen – und, falls auch dies zutreffen sollte, wie technische Geräte beschaffen sein müssten, damit die Belastung von Organismen und damit die Wahrscheinlichkeit von Erkrankungen so gering wie möglich ist.

Solange nicht klar ist, ob und wo man da ansetzen müsste, bleibt Vorsichtigen nur die pauschale Vorsorge, wie sie unter anderem vom Bundesamt für Strahlenschutz empfohlen wird [9]. (anm)

Literatur
[1]laufend aktualisierte Informationsseite mit umfangreicher Linkliste, www.ralf-woelfle.de/elektrosmog
[2]Richard Sietmann, Störfunk fürs Gehirn, c't 14/00, S. 218, www.heise.de/ct/00/14/218
[3]Stefan Gneiting, Simon Demmelhuber, Strahleninferno oder Öko-Funk?, UMTS und die Strahlendebatte, c't 3/02, S. 82
[4]Angela Meyer, Nebenwirkungen, WLAN und die Elektrosmogdebatte, c't 25/02, S. 204
[5]EMF-Projekt der WHO, www.who.int/peh-emf/en
[6]Risikodialog, www.emf-risiko.de
[7]Forschungsgemeinschaft Funk zur Reflex-Studie, www.fgf.de/fup/publikat/news_einzel/...
[8]Abschlussbericht der REFLEX-Studie, www.verum-foundation.de
[9]Broschüre des Bundesamt für Strahlenschutz, www.bfs.de/elektro/papiere/brosch_mobilfunk.html