Java-Hacker und Zwillingsmama: Aus meinem Alltag zwischen zwei Welten

Seite 2: Wieder raus in die Welt

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Nach und nach wurde mir auch bewusst, was ich an meinem Beruf eigentlich am meisten vermisst hatte: die Inbetriebnahme der Software in der Anlage, vor Ort mit dem Kunden weltweit. Wenn ich nach der Entwicklungsphase endlich die Software mit SPS und Fördertechnik testen kann und sehe, wie die Behälter oder Paletten in echt fahren. Oder wenn ich mitbekomme, wie das Personal mit der Software arbeitet, mit den Arbeitsplatzdialogen oder mit Handhelds oder Staplerterminals. Also habe ich bei meinem Teamleiter den Wunsch geäußert, bei nächster Gelegenheit bei der Inbetriebnahme des aktuellen Projekts mitarbeiten zu wollen. Ich könnte jedoch maximal drei nicht unmittelbar aufeinander folgende Blöcke zu je zehn Tagen insgesamt leisten, damit die Kinder nicht zu lange am Stück auf ihre Mutter verzichten müssten. Von der Geschäftsführung wurde der Vorschlag zunächst abgelehnt, da er bei meinem Zeitmodell einen massiven Aufbau von Überstunden zur Folge hätte. Dank des Einsatzes meines Abteilungsleiters wurde ich schließlich trotzdem Teil des Inbetriebnahmeteams.

Privat habe ich organisiert, dass der Papa und die beiden Omas während meiner Abwesenheit die Kinderbetreuung übernehmen. Die zeitliche Abstimmung und konkrete Organisation erledigten die drei selbst. Daher ergab sich folgender Ablauf: Ich flog nach Großbritannien zur Inbetriebnahme – sprich Bugs fixen, Abläufe umbauen oder ergänzen – und die Kinder hatten eine lange Papa-Omas-Woche. Auch wenn das gut geklappt hat, war es zugegebenermaßen eine ziemliche Umstellung, plötzlich wieder zehn statt vier Stunden am Tag zu arbeiten – und das auch noch samstags.

Trotz der Anstrengung war es befriedigend, durch meinen Einsatz das Projekt vor Ort voranzubringen. Für die Kinder war es auch kein Problem: Ich habe ihnen in der Zeit viele Bilder geschickt und ihnen vor und nach der Reise viel von meiner Arbeit erzählt. Für mich war nach dem ersten Experiment klar, dass ich bei künftigen Projekten wieder bei der Inbetriebnahme dabei sein wollte.

Im Januar 2018 bin ich zusammen mit vielen Kollegen und Vorgesetzten zum neuen Arbeitgeber in Oberviechtach gewechselt und hacke auch hier wieder als Java-Software-Developer für Intralogistik. Nach anfänglich 16 Wochenstunden habe ich nach fünf Monaten auf 20 aufgestockt. Angenehm ist, dass ich auf der neuen Stelle mit denselben Team- und Abteilungsleitern wie zuvor arbeite und sich meine Aufgaben kaum geändert haben.

Für Inbetriebnahmephasen bin ich ebenso wieder eingeplant. Allerdings ist jetzt die Teamstruktur anders: Im IT Project Core Team gibt es einen Lead Developer Project, einen Lead Logistics Consultant, einen IT Project Manager und weitere Softwareentwickler. An den Planungsmeetings nehmen nur die Leads teil, die schließlich den Entwicklern die Programmieraufgaben zuteilen. Das war für den Einstieg in Ordnung, aber durch die Vorgehensweise konnte ich bei vielen Spezifikationen mein über Jahre erworbenes Logistik-Know-how nicht einbringen. Persönlich empfand ich es als unbefriedigend, wieder "nur" die Software zu programmieren.

In dieser unangenehmen Situation hat sich Scrum als gelungener Ausweg herauskristallisiert. Zuerst war es für ein anderes Projekt als Versuch gestartet und wurde anschließend für unseres übernommen. Durch Scrum bin ich trotz Teilzeit immer hinsichtlich des Projektstands auf dem Laufenden und es geht keine wertvolle Zeit für lange Status-Meetings drauf. Die Daily-Stand-up-Meetings finden immer nachmittags statt, wenn ich im Büro bin. Falls das nicht klappt, bin ich per Videokonferenz zugeschaltet. Bei der Sprintplanung bespricht das komplett anwesende Team grobe Ideen und Schnittstellen kurz und hält das Ergebnis fest. Im Sprint-Board ist immer ersichtlich, wer woran arbeitet, sodass jeder für seine Schnittstellen den Ansprechpartner kennt. Der Backlog ist eine weitere nützliche Quelle, aus dem ich mich bedienen kann, wenn mein Arbeitsvorrat aufgebraucht ist, aber kein Kollege mehr im Büro ist, um mit mir die nächsten Schritte abzustimmen.

Höhere Positionen sind als Teilzeitkraft kaum erreichbar. An dem Punkt bin ich ab und zu ein bisschen neidisch auf zwei meiner männlichen Kollegen: gleicher Jahrgang, gleiches Studium, einer war sogar mein Klassenkamerad in der Schule. Beide haben Familie und sind jetzt Abteilungsleiter für Produktentwicklung in verschiedenen Firmen. Sie haben den Vorteil, dass sich jeweils ihre Frauen hauptsächlich um die Kinder kümmern. Wer keinen Partner hat, der für die Kinder beruflich zurücktreten kann oder will, hat an der Stelle das Nachsehen. An dem Punkt steht wirklich irgendwann die Entscheidung zwischen Kindern und Karriere an. Selbst mit der Gelegenheit, die Kinder in einer Ganztagsbetreuung zu haben, wäre es für mich vermutlich schwierig gewesen, solch eine Position ohne familiäre Unterstützung gut auszufüllen.

Insgesamt bin ich mit meinem Job und meiner gewählten Situation äußerst zufrieden. Jedoch denke ich manchmal, dass ich eigentlich fachlich mehr könnte, als lediglich reine Softwareentwicklerin zu sein. Gerne wäre ich für ein Projekt der Lead-Developer, der Terminabstimmungen und Aufwandsabschätzungen trifft, sein kleines Softwareteam leitet und zusätzlich mitentwickelt. Mit 20 Wochenstunden ist das aber für unsere aktuellen Logistikprojekte aufgrund der Größe und Komplexität schlicht undenkbar. Für 2019 steht jedoch ein kleineres Projekt an, und vielleicht ergibt sich die Chance auszuprobieren, ob ich die Aufgabe auch in Teilzeit managen kann. Bis dahin freue ich mich auf eine geplante Inbetriebnahme in Mexiko.