Fallrückzieher

Rechtzeitig zur EM sollte das mobile Digitalfernsehen DVB-H an den Start gehen, doch statt passender DVB-H-Handys verkaufen Mobilfunkshops und Provider Handys.

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Von
  • Rudolf Opitz
  • Sven Hansen
Inhaltsverzeichnis

Rechtzeitig zur EM sollte das mobile Digitalfernsehen DVB-H an den Start gehen, doch statt passender DVB-H-Handys verkaufen Mobilfunkshops und Provider mit dem HB620T von LG das erste DVB-T-fähige Fernsehtelefon – ein harter Schlag für die DVB-H-Betreiber.

Fußball zieht. Das wissen auch die Betreiber mobiler Fernsehangebote fürs Handy. So gab es schon zur Weltmeisterschaft 2006 ein Handy-TV-Angebot, das sich aber als Flop erwies. Die Anbieter wollen nun ein neues Paket nach EU-Standard DVB-H schnüren. Kunden sollen unterwegs Nachrichten oder ihre Lieblings-Soap und vor allem den Anpfiff eines EM-Matches schauen können, auch wenn sie noch auf dem Weg zum nächsten Public-Viewing-Event in der Straßenbahn oder im Stau sitzen.

Bisher hat Handy-TV vor allem durch Formatquerelen und Fehlstarts von sich reden gemacht. Das DVB-H-Betreiber-Konsortium Mobile 3.0 hat nun Anfang Juni den mobilen Fernsehdienst in den Ballungsräumen Frankfurt, Hamburg, Hannover und München starten. Viele Zuschauer wird DVB-H zur EM allerdings nicht gewinnen können, denn während der nun als Testbetrieb deklarierten Phase ist nicht ein einziges Endgerät im Handel verfügbar, auch die nötigen Vertriebswege fehlen.

Netzbetreiber und Reseller haben – rechtzeitig zur Fußball-EM – auf das als "Überall-Fernsehen" gepriesene DVB-T umgesattelt: Das LG HB620T empfängt digitale Fernsehprogramme nach dem DVB-T-Standard auch ohne Zusatzvertrag, außer den GEZ-Gebühren fallen keine weiteren Kosten an. Es ist bei T-Mobile und Vodafone erhältlich, aber auch Debitel, E-Plus und O2 wollen das TV-Handy anbieten. Vodafone hat zudem das Windows-Smartphone GSmart T600 mit DVB-T-Empfänger im Programm, ein bereits im März 2007 vorgestelltes Gerät mit einem 2,6-Zoll-Touchscreen und VGA-Auflösung.

Wer nicht auf das speziell angepasste Handy-TV warten will, greift also zum DVB-T-Handy HB 620T von LG. Dabei nimmt man zwar die Nachteile des älteren und nicht so ganz mobilen Digitalfernsehens in Kauf, dafür funktioniert es aber schon. Wir haben das Modell auf seine Tauglichkeit als mobiler Fernseher geprüft.

Das handliche, etwas breitere Klapphandy ist mit einem 2-Zoll-QVGA-Display ausgestattet, das LG zur besseren TV-Darstellung waagerecht eingebaut hat. Es spiegelt zwar etwas, doch stört das außer im direkten Sonnenlicht nicht beim Ablesen und Fernsehen. Die großflächigen Tasten lassen sich gut bedienen. Auf dem Klappdeckel gibt es eine einfache 2-Megapixel-Kamera und ein schmales Zweitdisplay.

Eine Zweitkamera über dem Hauptdisplay dient zum Videotelefonieren. Mit Triband-GSM und UMTS inklusive Datenturbo HSDPA, der bis 7,2 MBit/s brutto empfangen soll, ist das Handy sehr gut ausgestattet. Das HB620T nutzt als Wechselmedium microSD-Karten bis vier Gigabyte, zum Wechseln muss man jedoch den Akku entfernen.

Zum Fernschauen zieht man die kleine Teleskopantenne am oberen Ende des Tastaturteils heraus. Sie wirkt sehr filigran und zerbrechlich, übersteht Biegeversuche dank der hohen Flexibilität des Basisglieds aber ohne Schaden. Beim ersten Starten des TV-Empfangs sucht das Handy nach DVB-T-Sendern und zeigt die gefundenen Programme übersichtlich in einer Liste. Dabei fördert es nur Sender im UHF-Band zutage. In den DVB-T-Regionen Hannover, München und Würzburg muss man daher auf den Empfang des ARD-Bouquets im VHF-Band verzichten. In den Optionen finden sich auch Informationen zu laufenden und kommenden Sendungen (EPG).

Das kleine 4:3-Display liefert ein winziges, aber gestochen scharfes Bild – bei 16:9-Sendungen muss man allerdings schwarze Streifen in Kauf nehmen. Während es mit T-DMB- und DVB-H-Handys bei schnellen Bewegungen oft zu Klötzchen-Artefakten kam und man bei Aufnahmen aus der Totalen raten musste, ob das weiße Rechteck den Ball oder einen Spieler darstellt, schrumpft der Ball beim DVB-T-Telefon zu einem hellen Pixel zusammen, ist aber jederzeit als solcher zu erkennen. Erst bei schlechtem Empfang friert das Bild ein oder zeigt Klötzchen. Grundsätzlich aber profitiert das HB620T klar von der vergleichsweise hohen DVB-T-Videobandbreite; durch das Herunterskalieren bleiben zwar einige Details, aber auch Bildfehler auf der Strecke.

Ein Kritikpunkt der DVB-H-Befürworter besagt, DVB-T tauge nicht zum Einsatz in Fahrzeugen. Bei unseren Tests konnten wir bei einer Reisegeschwindigkeit von 120 km/h dagegen keine Aussetzer beim Fernsehempfang feststellen. Die Akkulaufzeit soll laut Hersteller etwa zwei Stunden betragen, mit aktiviertem Mobilfunk erreichten wir im Test sogar eine Fernsehlaufzeit von 2 Stunden und 20 Minuten. Bei DVB-H-Telefonen liegt die Laufzeit im TV-Betrieb zwischen drei und fünf Stunden. Bei aktiviertem Flugzeugmodus funktioniert der TV-Empfang des LG-Handys nicht, da der DVB-T-Betrieb seltsamerweise eine aktivierte und im Netz angemeldete SIM-Karte voraussetzt.

Auch sonst ist das HB620T multimedial gut ausgerüstet: Der Musikplayer spielt die Formate MP3, AAC, M4A und WMA ab, zum Klangregeln stellt es eine Auswahl an Presets zur Verfügung. Das mitgelieferte Stereo-Headset mit proprietärem Stecker liefert jedoch einen dünnen, bassarmen Klang. Auch Videoclips im 3GP- und MPEG-4-Format gibt das Handy ruckelfrei wieder.

Das Gsmart T600, einen Funk-PDA mit Windows Mobile 6 Professional, gibt es nur bei Vodafone. Es soll ohne Vertrag knapp 600 Euro kosten. Dafür bietet es ein einfaches Dualband-GSM-Telefon, WLAN und ein 2,6-Zoll-Display mit VGA-Auflösung. Anders als das TV-Handy von LG empfängt das T600 auch Sender im VHF-Band und funktioniert ohne aktive SIM-Karte.

Die für die TV-Wiedergabe verantwortliche Video-Software von CyberLink hält in puncto Bildqualität nicht mit dem LG-Telefon mit. Negativ fallen gelegentliches Bildruckeln und Kammartefakte wegen schlechtem Deinterlacing auf. Immerhin gibt es einen EPG und eine übersichtliche Senderliste. Das Gsmart T600 erwärmt sich im TV-Betrieb auf etwa 40 Grad Celsius. Die maximale Akkulaufzeit liegt – auch bei abgeschaltetem Mobilfunk – bei maximal zwei Stunden.

Im Vergleich zum LG-TV-Handy bedient sich das T600 eher wie ein etwas behäbiger Pocket-PC. Die Fernseh-Antenne gleich als PDA-Stift zu nutzen immerhin eine originelle Idee – sie lässt sich komplett aus dem Gerät ziehen. Fußball-Interessierten in den DVB-T-Regionen mit VHF-Kanälen bleibt dennoch nur der Griff zum T600.

DVB-T wurde jedoch für ausgewachsene Fernseher konzipiert und nicht für die kleinen Handy-Displays, die üblicherweise nur QVGA-Auflösung (320 × 240 Bildpunkte) bieten. Das mit etwa 3 MBit/s ausgestrahlte Videosignal muss daher von der TV-Auflösung (704 × 576) auf die geringere Auflösung der QVGA-Displays herunterskaliert werden.

Das Handyfernsehen DVB-H ist dagegen an die kleinen Mobilgeräte angepasst: So kommt statt des MPEG-2-Standards MPEG-4 Advanced Video Coding (H.264) zum Einsatz, das im Vergleich zum MPEG-2-Codec rund dreimal so effizient kodiert, was aber auch zwei- bis dreimal so hohen Rechenaufwand erfordert. Allerdings liefern die Sender Bilder in QVGA-Auflösung, das Herunterskalieren entfällt somit. Ein DVB-H-Programm begnügt sich mit Datenraten von 300 bis 400 kBit/s. Während bei DVB-T nur vier Programme auf einen TV-Kanal passen, sind es bei DVB-H etwa 30.

Ein Problem mobiler Empfangsgeräte ist deren begrenzte Akkukapazität. Ein DVB-T-Empfänger belastet den Mobiltelefon-Akku deutlich stärker als einer mit DVB-H. Das Handy-TV erreicht dies durch ein Zeitmultiplexverfahren, Time Slicing genannt. Wie beim GSM-Mobilfunknetz werden die Daten einzelner Programme in regelmäßig wiederkehrenden Bursts gesendet. Das DVB-H-Empfangsteil braucht daher nur zu bestimmten Zeitpunkten aktiv zu sein und schaltet in der übrigen Zeit ab. Ein Zwischenspeicher für die komprimierten Daten versorgt den Decoder-Baustein mit einem konstanten Datenstrom. Im Vergleich zu DVB-T soll das eine erhebliche Verlängerung der Akkulaufzeit bewirken.

Für einen mobilen Dienst spielt der unterbrechungsfreie Wechsel zwischen zwei benachbarten Funkstationen, das Handover, eine wichtige Rolle. DVB-H-Sender besitzen dazu eine spezielle Kennung, den Cell Identifier, mit dem TV-Handys den Datenstrom des gerade empfangenen Programms im Multiplexsignal eines Nachbarsenders schnell auffinden und so die Wiedergabe fortsetzen können. Bei DVB-T muss man beim Wechsel zu einem anderen Sender üblicherweise einen neuen Programm-Scan starten.

Während die DVB-H-Angebote auf sich warten lassen, existieren passende Handys schon lange, zum Teil bereits in der dritten Modellgeneration. In Deutschland tauchen sie wegen der fehlenden Dienste auf dem Markt gar nicht erst auf. Nokias TV-Smartphone N92 kam hierzulande nur bei DVB-H-Tests wie in Berlin vereinzelt zum Einsatz, während in Italien, wo es das Mobil-TV im Regelbetrieb gibt, DVB-H-Handys wie Samsungs P910 oder das U900 von LG schon länger im Handel sind.

Gerade die koreanischen Hersteller LG und Samsung besitzen bereits viel Erfahrung mit TV-Handys, zumal das in Deutschland gescheiterte DMB-Fernsehen in Südkorea Erfolge feiern konnte – was sicherlich auch daran liegt, dass man es dort ohne Vertrag kostenlos empfangen kann. Auch DVB-H-Geräte fehlen nicht in den Portfolios: Samsung hat das schicke Videohandy SGH-F510 Ultra Movie 2007 nicht in Deutschland angeboten, will es aber in diesem Jahr mit dem aktuellen Schiebemodell SGH-P960 versuchen.

Auch Sagem steht bereits mit seinem zweiten DVB-H-Modell my750C (myMobileTV II) in den Startlöchern. Nokia hat das Multimedia-Smartphone N96 mit TV-Empfänger für das dritte Quartal 2008 angekündigt. Interessant für Besitzer eines Nokia-Smartphones, die sich zum Fernsehschauen unterwegs kein neues Handy zulegen wollen, ist der Mobile-TV-Receiver SU-33W, der die DVB-H-Daten per Bluetooth an ein Gerät mit passender Abspielsoftware weiterreichen kann.

Wer die Ausgabe für ein neues, fernsehtaugliches Handy scheut und bereits ein UMTS-Modell besitzt, kann Bilder von der EM auch als Videostreams empfangen, wie sie die Netzbetreiber schon seit der Einführung des Mobilfunknetzes der dritten Generation anbieten. Die Qualität der Live-Streams hält dem Vergleich mit einer DVB-Sendung jedoch nicht stand. Sie hängt stark von der Auslastung der Funkzelle ab, häufig kommt es zu Blockartefakten oder das Bild friert mitunter minutenlang ein. Wenn das Bild wieder flüssig läuft, ist das Elfmeterschießen vielleicht schon vorbei.

Auch die deutliche Zeitverzögerung stört. Während auf dem Handy-Display noch die Ecke vorbereitet wird, hört man oft schon den Torjubel aus den offenen Fenstern rundum. Abgesehen von Live-Events und Nachrichten-Kanälen bieten die Netzbetreiber nur ältere TV-Inhalte wie Soaps oder Comedy-Ausschnitte, die als Schleife gestreamt werden und sich meist nach einer Stunde wiederholen.

Das DVB-T-Handy von LG könnte den Kampf um Fernsehen per Mobiltelefon vorzeitig entscheiden. Das DVB-H-System hat zwar deutliche Vorteile wie längere Akkulaufzeit, größere Mobilität durch Handover-Technik oder leistungsfähigeren Codec. Die gute Bildqualität des HB620T spricht momentan jedoch für sich. Prinzipiell kann auch DVB-H – auf Kosten der Programmanzahl pro Sendekanal – hohe Bildqualitäten liefern. Ob Mobile 3 die mühsam ausgehandelten Belegungspläne dafür wieder umbaut, bleibt abzuwarten.

DVB-T erlaubt mangels Rückkanal keine interaktiven Sendeformen, eine weitere Spezialität der DVB-H-Technik. Damit ließen sich etwa Fußballwetten oder verbesserte TV-Shops einrichten. Doch lässt sich auf solche DVB-H-Spezialitäten leicht verzichten, da jedes TV-fähige Handy auch einen Webbrowser mit Internetzugang enthalten dürfte.

Nicht zuletzt über die Kosten könnte die Entscheidung zwischen dem ambitionierten DVB-H und dem einfacheren, aber bereits weiträumig verfügbaren DVB-T fallen: Warum sollte der Kunde für etwas zahlen wollen, was er auch kostenlos empfangen kann? Wenn die DVB-H-Betreiber keinen deutlich erkennbaren Mehrwert liefern, dürfte die Antwort eindeutig ausfallen.

[1] Sven-Olaf Suhl, Dr. Volker Zota, Mini-Glotze, Erfahrungen mit Fernsehen auf dem Handy, c't 13/06, S. 32

[2] Michael Kornfeld, Gunther May, Peter Schlegel, Fernsehen für die Kleinen, Die Technik hinter DVB-H, c't 20/06, S. 206

Zur aktuellen Lage beim Handy-TV siehe auch:

Zur Weltmeisterschaft 2006 startete der Provider Debitel zusammen mit der Mobiles Fernsehen Deutschland GmbH (MFD) Handy-TV unter dem Namen "watcha" [1]. Für je nach Handyvertrag 10 bis 15 Euro im Monat konnte man in fünf Großstädten vier verschiedene Programme auf einem speziellen Handy empfangen. Das "watcha"-Angebot setzte nicht auf DVB-H (Digital Video Broadcasting for Handhelds), sondern auf die in Südkorea erfolgreiche Konkurrenz T-DMB (Terrestrial Digital Multimedia Broadcasting), eine Erweiterung des Digitalradios DAB. Der erhoffte Boom blieb aus: Im April 2007 konnte Debitel trotz deutlicher Preissenkungen gerade einmal 10.000 Nutzer mit DMB-Handy melden, zum ersten Mai 2008 stellte MFD den Betrieb ein.

Im Oktober 2007 erhielt MFD, das inzwischen zusammen mit den Verlagshäusern Burda und Holtzbrinck ein eigenes Konsortium unter dem Namen "Mobile 3.0" gegründet hatte, den Zuschlag zum Betrieb eines DVB-H-Angebots. Noch zum Jahresende 2007 stritt man sich mit öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern um die Belegung der Kanäle, wobei jeder den Verhandlungspartnern die Schuld an den zu erwartenden Verzögerungen zuschob. Der Start zur EM 2008 stand auf der Kippe. Statt der geplanten 16 TV-Kanäle sind nun so genannten "Soft-Launch" Anfang Juni nur 9 Sender zu empfangen: Außer ARD und ZDF sind die Privatsender Pro Sieben, RTL, SAT1, Vox, Comedy Central sowie die Nachrichtenkanäle N24 und n-tv dabei. Hinzu kommen drei Radiostationen. Da Vertriebspartner fehlen und keine passenden DVB-H-Geräte im Handel erhältlich sind, spielt es keine Rolle, dass auch die Preise nicht feststehen.

In Österreich erhielt Ende Februar 2008 die Media Broadcast GmbH, eine Tochter des französischen Rundfunkbetreibers TDF, den Zuschlag zum Aufbau und Betrieb eines DVB-H-Netzes mit der Auflage, bis Ende 2008 die Hälfte der österreichischen Bevölkerung zu erreichen. Zum EM-Start will man bereits 45 Prozent der Österreicher mit dem Handy-TV versorgen – so sie sich im Freien aufhalten. Bis Jahresende sollen 40 Prozent auch im Inneren von Gebäuden mobil fernsehen können. Interessenten müssen dazu Kunden der Netzbetreiber One oder 3 sein. Die Grundgebühr soll etwa zehn Euro pro Monat betragen. Die Swisscom Broadcast AG ist DVB-H-Lizenzinhaberin für den Betrieb von Mobile TV in der Schweiz und hat den Dienst unter dem Namen Bluewin TV mobile bereits am 13. Mai gestartet; um den Netzaufbau kümmert sich NEC. Zum EM-Start wollen Ausrüster und Betreiber die Bereiche um Basel, Bern, Genf und Zürich versorgen. Pro Monat kassiert die Swisscom von ihren Mobile-TV-Kunden 16 Franken oder 2 Franken pro Tag. (ll)