Bitkom macht sich wieder Sorgen um Deutschland
Können Sie die Ventile Ihres Autos einstellen? Nein? Macht nichts. Denn trotzdem ist Deutschland das "Silicon Valley" der globalen Automobilindustrie. Deshalb muss man es auch gar nicht schlimm finden, dass nicht alle Deutschen eine Programmiersprache beherrschen. Auch der Bitkom nicht.
Bitkom-Geschäftsführer Dr. Bernd Rohleder
(Bild: Bitkom)
Lieber Bitkom-Geschäftsführer Dr. Bernd Rohleder,
müssen Sie uns immer so einen Schrecken einjagen?! Erst hauen Sie eine Meldung mit der schockierenden Nachricht raus, dass Deutschland im internationalen Vergleich immer weiter zurückfällt, was die PC-Kenntnisse seiner Einwohner betrifft. Und als ob das nicht schon schlimm genug wäre, schockieren Sie uns wenig später mit der Warnung, dass wir Deutsche auch in Bezug auf die IT-Nutzung am Arbeitsplatz "nur noch Mittelmaß" seien. Das sind keine guten Nachrichten, gerade jetzt, in einer Zeit, in der wir gute Nachrichten wirklich gut gebrauchen könnten.
Doch der Reihe nach. Die erste Meldung hat die Überschrift "PC-Kenntnisse: Deutschland fällt zurück". Danach ist Deutschland von Platz vier im Jahr 2008 auf Rang zehn zurückgefallen (vgl. Grafik). Nur noch 58 Prozent der Bundesbürger verfügen über mittlere bis gute Computer-Kenntnisse. Vor vier Jahren waren es noch 60 Prozent. Gleichzeitig haben sich andere Nationen verbessert und sind an uns vorbeigezogen. Kriterien der EU-weiten Untersuchung waren unter anderem die Nutzung von Kalkulationstabellen sowie das Erstellen eines Computerprogramms mit Hilfe einer speziellen Programmiersprache.
Anteil der Bevölkerung mit mittleren und guten PC-Kenntnissen in Europa
(Bild: Bitkom)
Das Ergebnis ist schlimm. Oder besser, es wäre schlimm. Dann nämlich, wenn die Umfrage ausschließlich unter IT-Profis durchgeführt worden wäre. Da wäre ein Anteil von 61 Prozent Know-how-Trägern wirklich beunruhigend gering. Aber wenn ich es richtig verstehe, wurde ja jeder gefragt, vom Waldarbeiter bis zum Theologieprofessor, also ganz normale Leute, so wie Sie und ich.
Und jetzt mal Hand aufs Herz, lieber Herr Dr. Rohleder: Wie sieht es denn mit Ihren eigenen PC-Kenntnissen aus? Wann haben Sie beispielsweise zuletzt mit Hilfe einer speziellen Programmiersprache ein Computerprogramm erstellt? Schon seeehr lange her? Also wenn das Beherrschen einer Programmiersprache ein Kriterium ist, dann finde ich, dass das Ergebnis – 58 Prozent der Deutschen verfügen über mittlere bis gute Computerkenntnisse – ziemlich gut ist. Blicken wir doch mal über den Tellerrand der IT-Branche hinaus: Wie viele Deutsche sind in der Lage, an ihrem Auto eine Zündkerze zu wechseln oder die Ventile einzustellen? Über den Daumen gepeilt, würde ich sagen, sehr wenige. Die meisten tun sich ja schon schwer, einen Reifen oder das Öl zu wechseln. Und trotz dieser Ahnungslosigkeit der meisten Deutschen in Punkto ihres fahrbaren Untersatzes ist Deutschland die weltweit führende Automobilnation; mancher sagt sogar, Deutschland sei das "Silicon Valley der globalen Automobilindustrie".
Insofern bin ich auch nicht sicher, ob man aus dem Ergebnis der besagten Studie eine Verbindung zum Fachkräftemangel in der der IT-Branche ziehen kann, wie Sie es getan haben, lieber Herr Dr. Rohleder. Aber andererseits ist auch richtig: Aus einer großen Breite erwächst meistens auch eine hohe Spitze, wie man dies etwa aus dem Sport kennt (je mehr Menschen Fußball spielen, desto größer die Chance, dass darunter auch einige Supertalente zum Vorschein kommen).
Im Übrigen, lieber Herr Dr. Rohleder, gibt es Hoffnung. Die Jugend in Deutschland steht der IT-Technologie sehr aufgeschlossen gegenüber. Ach was, die Jugend, schon die Kinder! Von Technologiefeindlichkeit keine Spur. Berührungsängste? Nicht die Bohne. Als Beweis habe ich Ihnen hier ein Foto meiner zweieinhalbjährigen Tochter beigelegt. Lisa kann nicht nur die Puzzels und andere Spiele auf ihrem "Patsch-Pad" spielen, sondern diesen auch ein- und ausschalten oder die Lautstärke regulieren. Sicher, Programmiersprachen beherrscht sie noch nicht – sie bemüht sich noch mit der Primärsprache –, aber wenn Sie "Compliter" sagt, wissen wir, was sie meint.
Keine Berührungsängste vor der IT-Technologie
(Bild: privat)
Jetzt noch ein paar Worte zu Ihrer zweiten Meldung. Diese trägt die Überschrift "IT-Nutzung an deutschen Arbeitsplätzen nur noch Mittelmaß". Damit ist nicht gemeint, dass die deutschen Arbeitnehmer ihren PC nicht mehr so gut beherrschen wie früher, sondern dass der prozentuale Anteil der PC-Arbeitsplätze am Gesamtvolumen der Arbeitsplätze stagniert. Und Stagnation, das ist ja so ein Denkreflex, dem wir alle unterliegen, ist per se etwas Negatives. "Stillstand ist Rückschritt", heißt es dazu passend.
Aber sieht es wirklich so schlecht aus? Der Anteil der PC-Arbeitsplätze liegt in Deutschland bei 61 Prozent. Höher ist er in Europa lediglich in Finnland, Schweden, Norwegen, den Niederlanden und Belgien – alles Länder mit einer deutlich geringeren Bevölkerungszahl und auch einer niedrigeren Industrieproduktion als Deutschland. Die großen EU-Nationen Großbritannien, Frankreich, Spanien, Italien liegen zum Teil deutlich hinter Deutschland.
Interessant wäre in diesem Zusammenhang nicht nur der prozentuale Anteil, sondern die absoluten Zahlen. Denn bekanntlich ist die Zahl der Arbeitsplätze in Deutschland in den vergangenen Jahren erfreulicherweise signifikant gestiegen, so dass ein konstanter oder stagnierender Anteil der PC-Arbeitsplätze in Prozent in absoluten Zahlen eine Ausweitung bedeutet.
Also, lieber Herr Dr. Rohleder, alles nur halb so schlimm. Der Untergang des Abendlandes steht nicht unmittelbar bevor.
Beste GrĂĽĂźe!
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