E-Mail in Wartestellung

Das Schöne an E-Mail-Korrespondenz ist, dass sie unabhängig von Briefkastenleerungen und selbst zu nachtschlafender Zeit stattfinden kann. Das verführt dazu, die digitalen Botschaften als Jederzeit-Kommunikationsmittel zu überschätzen, beispielsweise wenn es um rechtsverbindliche Willenserklärungen gegenüber Geschäftspartnern geht.

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Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Matthias Parbel

Auch wenn es nicht immer guten Stil verrät: Vom Liebesschwur bis zur Erklärung der Kaufabsicht für ein Aktienpaket lässt sich so ziemlich alles per E-Mail erledigen. Ein wichtiger Trumpf neben Bequemlichkeit und Kostenvorteilen ist vor allem die Geschwindigkeit: Man tippt eine Nachricht, drückt den Absende-Button des Mailers, lehnt sich entspannt zurück – und schwups, ist die Mitteilung bereits beim Empfänger.

Dass man sich als Absender gerade darauf eben nicht verlassen darf, hat vor einiger Zeit das Amtsgericht im schleswig-holsteinischen Meldorf mit einer Entscheidung deutlich gemacht, die auf den ersten Blick zum Schmunzeln reizt, auf den zweiten aber schon fast selbstverständlich wirkt: Auch E-Mail hat Geschäftszeiten zu beachten.

Ein Kunde hatte ein Reisebüro damit beauftragt, eine Reise bei einem Veranstalter für ihn zu buchen, sobald der Preis dafür unter eine bestimmte Schwelle rutschen würde. Die Preise bei diesem Veranstalter, der sowohl die direkte Online-Buchung durch Privatpersonen als auch die durch Reisebüros erlaubte, änderten sich je nach aktuellen Gegebenheiten. Der Mann hatte jedoch nicht die Geduld, darauf zu warten, dass das Reisebüro für ihn aktiv werden würde. Er verfolgte das Ganze selbst im Internet und entdeckte seine Wunschreise am Abend des 29. September 2010 zu dem Preis, der seiner Vorgabe entsprach. Kurz entschlossen buchte er sie gleich beim Veranstalter online und vertauschte dabei auch noch vor lauter Eile seinen Vor- und Nachnamen.

Was würde aber geschehen, wenn das beauftragte Reisebüro ebenfalls merkte, dass der Wunschpreis erreicht war? Um eine Doppelbuchung zu verhindern, setzte der schnelle Kunde flugs eine E-Mail auf, die er um 20:38 Uhr abschickte. Es kam jedoch anders als erwartet: Die Reisevermittlerin war am kommenden Morgen bereits kurz nach acht Uhr in ihren Geschäftsräumen. Die Geschäftszeiten begannen um neun. Noch bevor sie einen Blick auf eingegangene E-Mail warf, stellte sie fest, dass die von dem Kunden gewünschte Reise jetzt zum passenden Preis zu haben war, und buchte sie für ihn. Erst anschließend ging sie ihren E-Mail-Eingang durch und entdeckte die Nachricht vom Vorabend.

Die Notiz auf der Webseite des AG Meldorf hat mit dem Urteil zur E-Mail-Kenntnisnahme nichts zu tun – oder doch? Vielleicht möchten ja digital-verwöhnte Bürger online zu jeder Tages- und Nachtzeit Klagen einreichen, Beschwerden erheben oder andere mailmäßige Schnellschüsse abgeben.

Der Veranstalter verlangte für das Stornieren der einen oder der anderen Buchung stolze 881 Euro. Der Kunde entschied sich dafür, die direkt erfolgte Online-Buchung zu streichen – schon weil er dabei seinen Vor- und Nachnamen verwechselt hatte. Die Stornokosten wollte er sich wiederum von der Reisevermittlerin erstatten lassen. Die spielte jedoch nicht mit, und so klagte er vor dem Amtsgericht (AG) Meldorf. Sein Argument: Er habe nicht damit rechnen müssen, dass seine abendliche E-Mail erst nach vollendeter Auftragsausführung am nächsten Morgen zur Kenntnis genommen würde.

Das Gericht schmetterte die Klage ab [1]: Der Kläger habe keine Kenntnisnahme seiner Mail vor neun Uhr am 30. September erwarten dürfen. Auf der anderen Seite habe für die Reisevermittlerin nichts dagegen gesprochen, die dem ursprünglichen Auftrag entsprechende Buchung auch schon vor neun vorzunehmen. Die Urteilsbegründung verweist auf verschiedene Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (BGH). "Eine unter Abwesenden abgegebene Willenserklärung geht nach der Rechtsprechung zu, wenn sie so in den Bereich des Empfängers gelangt ist, dass eine Kenntnisnahme … möglich … und … zu erwarten ist … Maßgeblich ist insoweit, wann eine Kenntnisnahme üblicherweise erwartet werden kann …".

Dazu hat der BGH 1993 festgestellt, "der Zugang eines außerhalb der Geschäftsstunden zugetragenen Schriftstücks sei grundsätzlich nicht vor Beginn der Geschäftsstunden am nächsten Arbeitstag anzunehmen …“ [2]. E-Mail-Kommunikation, so das Gericht, genieße in dieser Hinsicht keine Sonderrechte. Dem Landgericht (LG) Hamburg zufolge darf man sogar nur damit rechnen, dass ein Mailempfänger eine eingegangene Nachricht innerhalb von einem oder zwei Arbeitstagen zur Kenntnis nimmt.

In der Fachliteratur erscheint hingegen verbreitet die Ansicht, dass man von einem Unternehmen, das auf E-Mail setzt, durchaus den täglichen Abruf von Nachrichten erwarten könne. Auf jeden Fall, so das AG Meldorf, wäre es mit der Berufsfreiheit eines Mail empfangenden Unternehmers unvereinbar, wenn dieser jederzeit auf digitale Nachrichten reagieren müsste. "Die Berufsfreiheit gewährleistet grundsätzlich auch das Recht, über die Reihenfolge der Bearbeitung verschiedener Geschäftsvorgänge frei zu entscheiden … Auch muss ein Unternehmer nicht ohne besonderen Anlass ständig mit dem Eingang eiliger Willenserklärungen rechnen."

Die Meldorfer Entscheidung als solche ist für andere Gerichte nicht maßgeblich. Dennoch lassen sich einige berechtigte Schlüsse daraus ziehen. Geschäftszeiten zu beachten erscheint im Zeitalter von Online-Einkauf und Homebanking anachronistisch. Dennoch darf man auch bei Gewerbetreibenden, die ausdrücklich eine E-Mail-Adresse zur Abwicklung von Geschäften nennen, nicht erwarten, dass sie Mails außerhalb der üblichen Zeiten lesen. Das lässt sich getrost auch auf solche Geschäftspartner beziehen, von denen man weiß, dass sie prinzipiell anwesend sind oder E-Mail selbst von unterwegs abrufen können.

Speziell freien Dienstleistern im IT-Bereich unterstellen Auftraggeber gern, dass sie jederzeit auf digitale Ansprache zu reagieren hätten. Eine solche Erwartung steht rechtlich auf wackligen Füßen, sofern sie sich nicht auf eine ausdrückliche Vereinbarung stützen kann. Und was rechtlich bindende Willenserklärungen betrifft, ist E-Mail-Kommunikation ohnehin bekanntermaßen mit einem Makel behaftet: Bei einem Rechtsstreit lässt sich der Zugang im Zweifelsfall nicht nachweisen. Es bedarf also stets einer Bestätigung durch den Mailempfänger [3]. (psz)

Literatur

  1. AG Meldorf, Urteil vom 29. 3. 2011, Az. 81 C 1601/10 (rechtskräftig); K&R 7/8/2011, 529
  2. BGH, Beschluss vom 10. 2. 1994, Az. IX ZR 7/93; WM 94, 903
  3. Kai Mielke, Tanz auf dünnem Eis, E-Mail-Korrespondenz taugt vor Gericht als Beweis wenig, c’t 10/04, S. 170

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