Gefährliches Adressgedächtnis

Seite 2: Meine IP-Adresse gehört mir?

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Meine IP-Adresse gehört mir?

Der Datenschutz dient der Durchsetzung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung. Dieses wird nicht ausdrücklich im Grundgesetz erwähnt, wie etwa das Recht auf Meinungsfreiheit oder das Fernmeldegeheimnis, sondern es ist erst nachträglich vom Bundesverfassungsgericht (BverfG) entwickelt und im Rahmen des sogenannten Volkszählungsurteils 1983 formuliert worden [3]. Der einzelne Bürger, so die Karlsruher Richter, sei in seiner freien Entfaltung gehemmt, wenn er den Überblick darüber verlieren würde, wer was über ihn weiß. Die Warnungen aus der damaligen Urteilsbegründung erscheinen heutigen Lesern erstaunlich aktuell: "Wer unsicher ist, ob abweichende Verhaltensweisen jederzeit notiert und als Information dauerhaft gespeichert, verwendet oder weitergegeben werden, wird versuchen, nicht durch solche Verhaltensweisen aufzufallen." Freie Entfaltung der Persönlichkeit setze deshalb "unter den modernen Bedingungen der Datenverarbeitung den Schutz des Einzelnen gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten voraus." Diese Daten sind deshalb besonders schützenswert. Der Gesetzgeber hat speziell ihrer Sensibilität mit dem Bundesdatenschutzgesetz und den Datenschutzgesetzen der Länder Rechnung getragen. Naheliegenderweise unterliegen dabei nicht alle Arten von Daten dem gleichen Schutz: So betrifft etwa die Information darüber, dass in der vergangenen Stunde 200 Autos eine bestimmte Straße befahren haben, keine konkreten Personen. Dass aber Herr X mit seinem Wagen gestern um genau 20 Uhr dieselbe Straße befuhr, ist eine Angabe, die sich auf eine konkrete Person bezieht. Genau das meinen Juristen, wenn sie von personenbezogenen Daten sprechen.

Bezogen und beziehbar

Der Gesetzgeber erkannte, dass es nicht ausreicht, solche Daten zu schützen, die wie im angeführten Beispiel unmittelbar auf Personen bezogen sind. Deshalb gelten etwa nach § 3 BDSG nicht nur Daten einer "bestimmten", sondern auch Daten einer nur "bestimmbaren" Person als personenbezogene Daten. Doch damit beginnen bereits die Probleme. Die Frage, ob Daten von Haus aus auf eine Person bezogen sind oder nicht, ist noch eher leicht zu beantworten. Ob hingegen Daten personenbeziehbar sind, lässt sich nicht nur in der Praxis schwer entscheiden – vielmehr ist schon auf rechtlicher Ebene stark umstritten, welche Maßstäbe dabei gelten sollen. Ab wann Daten im Sinne des BDSG als personenbeziehbar gelten, ist so etwas wie die Gretchenfrage des Datenschutzes. Jede Information lässt sich von irgendjemandem mit beliebig hohem Aufwand einer Person zuordnen und sich somit auf diese beziehen. Wenn also jede theoretisch denkbare Möglichkeit in dieser Hinsicht relevant sein sollte, wäre beinahe jede Information ein personenbeziehbares Datum. Juristen sprechen bei diesem Verständnis von einer absoluten Beziehbarkeit: Jeder nur irgendwo irgendwie vorhandene Weg, einen Bezug zu einer Person herzustellen, reichte dann bereits aus, um die rechtlichen Einschränkungen des BDSG aktiv werden zu lassen. Sollte hingegen der Begriff der Personenbeziehbarkeit nur relativ verstanden werden, wäre die Anwendbarkeit des BDSG nicht uferlos, sondern eine Frage des Einzelfalls: Ob Informationen in den Händen von jemandem, der Daten erhebt, speichert oder sonst nutzt, auf eine Person beziehbar sind oder nicht, hinge beim relativen Personenbezug vom Wissen und den Fähigkeiten dieses mit den Daten umgehenden Jemand (oder der betreffenden Stelle, Behörde, Firma usw.) ab. Was demnach beispielsweise für einen institutionellen Betreiber einer vernetzten Datenbank mit Einwohnermelde-, Konten- und Telekommunikationsdatenbeständen durchaus als personenbezogenes Datum gelten müsste, bliebe etwa für einen privaten Website-Betreiber, der technische Besucherdaten keinen Personendaten zuordnen könnte, eine bloße anonyme Information. Über die Frage, welcher Maßstab für das Verständnis des Datenschutzes der richtige ist, haben sich Datenschützer, Gerichte und Unternehmen heillos zerstritten. Der Gesetzgeber hat diese Frage bei der Schaffung des BDSG durchaus erkannt – und sie gewissermaßen schulterzuckend offen gelassen.