ITK-Handel 2012: Wenn der Hahn kräht auf dem Mist…

Das Jahr 2012 wird für den ITK-Handel super. Kann aber auch sein, dass es grottenschlecht wird. Oder irgendwas dazwischen. Man muss mit allem rechnen.

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Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Damian Sicking

Bitkom-Vize Heinz-Paul Bonn

(Bild: GUS Group)

Lieber Softwareunternehmer und Bitkom-Vizepräsident Heinz-Paul Bonn,

wenn es etwas gibt, das noch langweiliger und überflüssiger ist als Jahresrückblicke, dann sind es Jahresvorschauen. Die braucht kein Mensch. Zum Jahreswechsel fühlen sich ja immer wieder jede Menge Leute berufen, einen Blick auf die kommenden Monate zu werfen und schon mal zu sagen, was da auf uns zukommt. Ich meine jetzt nicht die Jahresvorschauen, die eher terminlichen Charakter haben, also etwa 6. bis 10. März: Cebit in Hannover, 20. April: Also-Actebis-Hausmesse "Channel Trends+Visions" in Bochum oder 22. Mai: Ingram-Micro-Hausmesse "IM.TOP" in München (Achtung: nicht mehr im Océ-Eventcenter in Poing!) oder 9. Mai: Geburtstag Heinz-Paul Bonn. Das sind ja hilfreiche Informationen, die man in seinem Kalender abspeichern und dann entsprechend abarbeiten kann. Nein, diese Art Jahresvorschau meine ich nicht, sondern jene Glasperlenspiele im Sinne von "Wie wird das Jahr 2012?"

In unserem Fall lautet die Frage natürlich "Wie wird das Jahr 2012 in geschäftlicher Hinsicht, und zwar vor allem für die IT-Branche?" Diese Beiträge, die einem dann immer aus den Presseerzeugnissen entgegenspringen, sind sowohl vom Informationswert, als auch – was noch schlimmer ist – von ihrem Unterhaltungswert nicht zu ertragen. Denn sagen wir doch, wie es ist: Erstens weiß niemand, was in den kommenden zwölf Monaten passieren wird, und zweitens wird in diesen Ergüssen gelogen, dass die Schwarte kracht. Letzteres vor allem in den Fällen, in denen ein Geschäftsführer oder Vorstand irgendeines Unternehmens etwas zu seinen Erwartungen sagt. Ich will hier gar nicht jemanden Speziellen schief angucken, da sind alle gleich. In diesen Artikeln heißt es dann immer: "Wir sind zuversichtlich und auch ganz toll aufgestellt, und selbst wenn die Konjunktur ausfällt oder gleich die gesamte Weltwirtschaft zusammenkracht, dann sind wir auch darauf vorbereitet. Und außerdem wollen wir stärker wachsen als der Markt." So ungefähr lassen sich sämtliche Statements zusammenfassen. Vom zeitökonomischen Standpunkt aus würde es völlig ausreichen, einfach diesen Satz zu veröffentlichen und von allen Firmenchefs der Branche unterschreiben zu lassen. Aber das geht natürlich nicht, weil die Zeitungen und Online-Dienste ihre Seiten füllen müssen.

Dass da mal jemand sagt: "Mir graust´s vor dem kommenden Jahr, ich fürchte, dass uns die gesamte Wirtschaft um die Ohren fliegt, und deshalb werde ich in den nächsten Monaten 20 Prozent der Belegschaft abbauen", so etwas sagt ja niemand. Also zumindest nicht öffentlich. Öffentlich ist man immer super aufgestellt und optimistisch, selbst Firmen, die schon halb am Fliegenfänger hängen, sind noch immer "verhalten optimistisch". Wenn doch wenigstens jemand sagen würde "Woher soll ich wissen, wie das nächste Jahr wird, bin ich Jesus?". Das wäre doch mal was! Sagt aber niemand.

Nicht viel besser sind die Jahresvorschauen von Journalisten, Marktexperten oder Wirtschaftssachverständigen. Je nachdem, wen man gerade fragt, wird das kommenden Jahr entweder super oder ein Desaster. Oder irgendetwas dazwischen. So nach dem Motto: Fünf Experten, sechs Ansichten. Häufig ist dieser Fall zu beobachten: Spätestens wenn drei Artikel mit optimistischer Tendenz veröffentlicht worden sind, folgt ein vierter, der mindestens den wirtschaftlichen Untergang des Abendlandes verkündet. Also im besten Fall. Wieso das so ist? Ganz einfach: Wenn vier Leute sagen "alles super", und der fünfte sagt ebenfalls "alles super", dann kann sich der fünfte ja gar nicht mehr differenzieren und wird daher auch nicht mehr wahrgenommen. Da muss man schon die übliche Meinung "gegen den Strich bürsten", wie man zu sagen pflegt und das gerade Gegenteil behaupten: Alles wird ganz schrecklich. (Funktioniert natürlich auch umgekehrt: Wenn sich alle vor dem bevorstehenden Bankrott der Wirtschaft in die Hose machen, meldet man sich mit starker Stimme zu Wort und verkündet, dass alles gar nicht so schlimm wird, sondern dass die besten Zeiten erst noch vor uns liegen.) Spiegel-online brachte jetzt gerade so einen Artikel mit der Headline "Hallo Krise!". Weil´s so schön ist, zitiere ich hier mal den Vorspann in voller Länge: "Sie hoffen auf den Aufschwung? Vergessen Sie's! Im kommenden Jahr bekommt die deutsche Wirtschaft die Euro-Krise mit voller Wucht zu spüren. Mit Glück ist noch ein Mini-Wachstum drin – wenn die Dinge schlecht laufen, droht der tiefste Absturz seit Jahrzehnten.“ Na, lieber Herr Bonn, Angst gekriegt? Solche Artikel werden von den zuständigen Redakteuren übrigens gerne als "Debattenbeitrag" oder so bezeichnet, wohl weil sie selber wissen, um was für einen Dünnpfiff es sich dabei handelt.

Und außerdem, was nützt einem das, wenn man irgendwo liest oder hört, dass zum Beispiel das Wirtschaftswachstum im neuen Jahr bei 1,5 oder 0,5 oder 0,346 Prozent oder so liegen wird. Macht man dann am nächsten Tag seinen Laden eine halbe Stunde später auf? Oder früher? Verschiebt man seinen Urlaub oder verzichtet auf den Zucker im Kaffee? Das ist so ein bisschen wie die Wettervorhersage für Deutschland. Es nützt mir einfach verdammt wenig, wenn die Aussichten auf Sonne und hohe Temperaturen in ganz Deutschland hervorragend sind, ich aber in einem Regenloch wohne.

Lieber Herr Bonn, nun habe ich Sie ja nicht zufällig angeschrieben. Denn Sie sind ja – neben Ihrem Hauptberuf als Vorstandschef der GUS Group AG – einer der Vizepräsidenten unseres Branchenverbandes Bitkom. Und eben dieser Bitkom hat jetzt eine Prognose für die ITK-Branche 2012 veröffentlicht. Nun wäre der Bitkom nicht der Bitkom, wenn er für das neue Jahr nicht "sehr zuversichtlich" wäre (Präsident Prof. Dieter Kempf). Wenn es nach dem Bitkom geht, dann wird 2012 glänzend, dann wird der ITK-Markt in Deutschland ein neues Allzeithoch erreichen. Erstmals werden die Umsätze über 150 Milliarden Euro liegen, nämlich exakt bei 151,3 Milliarden Euro. Donnerwetter! Ich hätte den Umsatz lediglich bei 151,2 Milliarden erwartet, nach zwei Gläsern Wein vielleicht sogar noch bei 151,24 Milliarden. Lieber Herr Bonn, kennen Sie diesen Cartoon, auf dem der Reporter den Marktforscher fragt, wie dieser immer zu seinen Prognosen kommt, und der Marktforscher hält hinter seinem Rücken einen großen Würfel versteckt? Ich liebe diesen Cartoon, dumm nur, dass ich ihn nicht mehr finden kann.

Lieber Herr Bonn, machen wir uns doch nichts vor: In Bezug auf die Aussichten für das Jahr 2012 kann jeder alles voraussagen, es ist auf jeden Fall falsch. Oder richtig. Auf jeden Fall völlig egal. Denn spätestens eine Woche später denkt sowieso niemand mehr daran. Und wenn doch, hat man sich eben geirrt. So what, ist doch menschlich.

Deshalb sage ich: Lieber Herr Bonn, das neue Jahr 2012 wird großartig, sensationell und stellt alles jemals Dagewesene in den Schatten.

Beste Grüße!

Damian Sicking

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