Im Abseits

Wie der Sport braucht eine Marktwirtschaft eindeutige Spielregeln. Die Kartell- und Wettbewerbsbehörden setzen sie quasi als Schiedsrichter durch. Es drohen Bußgelder oder Haftstrafen. Wer die Grundregeln kennt, kann Fallstricken aus dem Weg gehen.

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Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Matthias Parbel
Inhaltsverzeichnis

In einem vielbeachteten Urteil hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) jüngst entschieden, dass ein Verbot der Nutzung ausländischer Decoder-Karten für den Empfang von Fußballspielen im Pay-TV gegen das EU-Recht verstößt (Az.ˇC-403/08 und C-429/08). Eine südenglische Kneipenbesitzerin war von der Media Protection Services Ltd., dem britischen Pendant zur GVU, verklagt worden, weil sie Fernsehübertragungen mit importierten griechischen Decoder-Karten anbot. Diese Karten waren mehrere Tausend Pfund billiger als die der britischen Anbieter.

Die Richter kritisieren in ihrem Urteil die künstlichen Preisunterschiede zwischen den abgeschotteten nationalen Märkten der einzelnen EU-Staaten. Diese seien nicht mit dem Ziel eines einheitlichen Binnenmarkts vereinbar. Ein solches Lizenzsystem unterbindet nämlich den Wettbewerb zwischen den europäischen Rundfunkanstalten, denn diese verfügen nur über Vertriebsrechte für ihr jeweiliges geografisches Territorium. Die einzelnen Lizenzgebiete sind regelrecht voneinander abgeschottet, ein grenzüberschreitender Preiswettbewerb findet nicht statt.

Das Urteil wirft ein Licht auf einen wesentlichen Grundsatz der EU. Es soll ein einheitlicher Binnenmarkt im gesamten EU-Gebiet bestehen, der frei von wettbewerbs- und kartellrechtswidrigen Beschränkungen ist. Daraus folgt das Verbot von Kartellen, das Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung und die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen.

Ziel ist es sicherzustellen, dass Unternehmen nicht den Wettbewerb beschränken, verfälschen oder verhindern. Um dies zu erreichen, gilt innerhalb der EU ein einheitliches Wettbewerbsrecht. Es ist immer dann anwendbar, wenn sich Verhaltensweisen von Unternehmen über die jeweiligen Landesgrenzen hinaus auf andere Mitgliedsstaaten auswirken oder auswirken können.

Fusionskontrollen bei Unternehmenszusammenschlüssen sollen bewirken, dass der freie Wettbewerb nicht durch eine zu starke Konzentration unternehmerischer Aktivitäten behindert wird. So musste beispielsweise die DoubleClick-Übernahme durch Google oder jüngst die Übernahme von Skype durch Microsoft zunächst die EU-Kommission passieren.

In manchen Fällen wird eine Übernahme nur unter Auflagen genehmigt. Das war bei der Übernahme von McAfee durch Intel der Fall. Um der Gefahr entgegenzuwirken, dass Intel nach dem Zusammenschluss die eigenen IT-Sicherheits-Lösungen an seine Chips und Chipsätze koppelt, musste sich das Unternehmen dazu verpflichten, "dass es die Interoperabilität der Produkte des zusammengeschlossenen Unternehmens mit den Produkten der Wettbewerber gewährleisten wird".

Die Fusionskontrolle der EU betrifft in der Regel nur größere Transaktionen, da sie erst bei Erreichen bestimmter Umsatzschwellen der betroffenen Unternehmen erfolgt, die mindestens im mehrstelligen Millionenbereich liegen. Auch unterhalb dieser Werte kann schon eine Fusionskontrolle auf EU-Länderebene durchgeführt werden, denn nachrangig zu den EU-Vorgaben existieren diejenigen der nationalen Fusionskontrollen.

Das deutsche Bundeskartellamt ist beispielsweise schon dann zuständig, wenn die an einem Zusammenschluss beteiligten Unternehmen weltweit Umsatzerlöse von mehr als 500 Millionen Euro und von diesen in Deutschland mindestens 25 Millionen Euro beim ersten und 5 Millionen Euro beim zweiten beteiligten Unternehmen betragen. Ein Beispiel für eine gescheiterte Transaktion wegen einer Untersagung durch das Bundeskartellamt war die geplante Übernahme von ProSiebenSat1 Media durch den Axel Springer Verlag.

Verboten ist auch der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung. Gerade IT-Unternehmen sind in der Vergangenheit häufig mit den zuständigen Kartellbehörden in Konflikt geraten. Das betrifft alle namhaften Spieler in diesem Bereich, von Microsoft über Apple bis hin zu Intel, Google und vielen anderen. Allen Verfahren ist gemein, dass es sich um Unternehmen handelt, die in einem bestimmten Marktsegment einen hohen Marktanteil haben und dadurch keinem oder nur geringem Wettbewerb ausgesetzt sind. Besonderes Augenmerk legen die Behörden in den letzten Jahren auf die Tarifgestaltung der großen Telekommunikationsanbieter wie Telekom, Vodafone & Co., aber auch auf den diskriminierungsfreien Zugang zu großen Netzwerken und bedeutenden Softwareprogrammen und Betriebssystemen.

In den USA gibt es zur Vermeidung von marktbeherrschenden Stellungen nach dem Sherman Antitrust Act sogar die Möglichkeit der zwangsweisen "Entflechtung" von Unternehmen. Auf diesem Wege wurden schon einige Großkonzerne zerschlagen, beispielsweise AT&T in den 80er-Jahren. Von alltäglicher Brisanz für Unternehmen sind die Einschränkungen im Kartellbereich. Während beim Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung meist nur ein Unternehmen im Fokus steht, sind an Kartellen stets zwei oder mehr Unternehmen beteiligt.

Den Grundsatz stellt Artikel 101 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, kurz AEU-Vertrag, auf. Dort heißt es: "Mit dem Binnenmarkt unvereinbar und verboten sind alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, welche den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind." Verboten sind grundsätzlich alle Formen von Kartellabsprachen. Hierzu zählen Preisabsprachen, Wettbewerbsverbote, Einkaufskooperationen, Marktaufteilungen und ausschließliche Bezugs- oder Lieferpflichten.

Aber auch in diesem Bereich gilt: Keine Regel ohne Ausnahme. In sogenannten Gruppenfreistellungsverordnungen (GVO) werden bestimmte Gruppen von Vereinbarungen zwischen Unternehmen aus dem generellen Kartellverbot ausgenommen. Diese Ausnahmeregelungen greifen aber in der Regel nicht, wenn es sich um Vereinbarungen zwischen Unternehmen handelt, die eine beherrschende oder zumindest größere Marktstellung in ihrem Bereich haben. Wichtige GVO bestehen für vertikale Vereinbarungen, also für Vereinbarungen zwischen Unternehmen auf unterschiedlichen Ebenen der Vertriebskette, sowie für den Technologietransfer und Forschung und Entwicklung. Für die Versicherungsbranche und die Kfz-Industrie gibt es aufgrund ihrer Bedeutungen und spezifischen Branchengegebenheiten eigene Regelwerke.

Besonders bedeutsam ist die GVO für die vertikalen Vereinbarungen. Hat jede der Vertragsparteien weniger als 30 Prozent Marktanteil auf ihrer jeweiligen Stufe der Wertschöpfungskette, sind etliche, in anderen Fällen verbotene marktbeschränkende Klauseln zulässig. Von der Neufassung der Vertikal-GVO aus dem Dezember 2010 ist beispielsweise der Internetvertrieb betroffen. Unzulässig ist es, einen Händler langfristig zu verpflichten, durch IP-Blocking-Maßnahmen den Zugriff von Kunden aus anderen Gebieten auf Onlineshops zu verhindern.

Das Gleiche gilt, wenn der Händler eine Transaktion abbrechen muss, weil der Kunde eine Adresse angibt, die nicht aus dem ihm zugewiesenen räumlichen Vertriebsbereich stammt. Dies gilt aber wiederum nicht, wenn es sich um ein selektives Vertriebssystem handelt, bei dem der Hersteller nur diskriminierungsfrei ausgewählte Händler mit Waren beliefert.

Bedeutung im IT-Sektor haben auch Technologietransfers. Hierzu zählen viele Softwareüberlassungsverträge zwischen Unternehmen. Leider ist gerade die Anwendung dieser GVO auf Softwarevertriebslizenzen umstritten. Das hängt davon ab, ob die Lizenz erteilt wird, um "die Produktion von Vertragsprodukten" zu ermöglichen. Vermutlich reicht die bloße Herstellung von Datenträgern mit Kopien der lizenzierten Software hierfür nicht aus.

Ansonsten sind wettbewerbsbeschränkende Klauseln erlaubt, wenn es sich nicht um eine sogenannte "Kernbeschränkung" handelt. Hierunter fallen zwischen Konkurrenten beispielsweise Preisabsprachen, bestimmte Markt- und Kundenabsprachen oder Einschränkungen im Bereich Forschung und Entwicklung. In eine ähnliche Richtung zielen Klauselverbote, die auch bei Vereinbarungen zwischen nicht konkurrierenden Parteien wirksam sind. Greifen solche Ausnahmen der Gruppenfreistellungsvereinbarungen nicht, gilt wie im Fall der Fußballübertragungsrechte das ausschließliche Kartellverbot.

Verstöße gegen das Kartellrecht können folgenreich sein. Neben häufig negativer PR nach der Aufdeckung kartellrechtswidriger Verhaltensweisen können Bußgelder bis zu einem hohen dreistelligen Millionen- oder gar im Milliardenbereich ins Haus stehen. Die EU-Kommission verhängte gegen Microsoft 2004 ein Bußgeld in Höhe von fast 500 Millionen Euro. 2008 wurde wegen Nichterfüllung der Auflage, Konkurrenten Schnittstelleninformationen zur Verfügung zu stellen, eine weitere Strafzahlung in Höhe von fast 900 Millionen Euro verhängt. Angesichts eines drohenden hohen Bußgelds scheint sich IBM im Verfahren um den Missbrauch seiner Marktmacht durch unangemessene Lieferbedingungen bei Mainframe-Wartungsdiensten mit den betroffenen Unternehmen zu einigen, was die EU-Kommission möglicherweise von einer Strafe absehen lässt.

In den USA drohen Teilnehmern an kartellrechtswidrigen Absprachen zudem hohe Haftstrafen. In Deutschland und der EU wird über die Einführung solcher Sanktionen noch diskutiert. Viele sind der Ansicht, dass die ausgesprochenen Bußgelder nicht abschreckend wirken, weil sie in der Regel von den Unternehmen und nicht den handelnden Personen bezahlt werden. Eine Ausnahme besteht bislang nur bei der Beschaffung durch die öffentliche Hand.

Ein wesentlicher Eckpfeiler der Europäischen Union ist die Schaffung eines gemeinsamen Binnenmarktes. Deswegen gibt es gemeinschaftsweite Regelungen, die dies sicherstellen sollen. Grundsätzlich gibt es kein Recht darauf, für die gleiche Leistung in verschiedenen EU-Staaten unterschiedliche Preise zu verlangen. Eine Marktabschottung ist meist rechtswidrig, wie der EuGH erst kürzlich für den Bereich der Codekarten für den Fußballempfang im Pay-TV entschieden hat. Brisant für den IT-Sektor sind Softwarelizenz- und -wartungsverträge, aber auch Regelungen zum Internetvertrieb oder Hardwareverkauf.

Der Autor Tobias Haar, LL.M., ist Syndikusanwalt und Rechtsanwalt mit Schwerpunkt IT-Recht. / (ur)
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