Klatsche für Fallensteller

Das OLG in Frankfurt a. M. hat eine jahrelang klaffende Lücke in der Rechtsprechung zu sogenannten Vertrags- oder Abofallen geschlossen. Künftig werden immer mehr Web-Nepper sich wohl auch strafrechtlich verantworten müssen.

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Lesezeit: 12 Min.
Von
  • Matthias Parbel
Inhaltsverzeichnis

Legionen ahnungsloser Websurfer sind bereits auf scheinbar kostenlose Service-Angebote hereingefallen, die tatsächlich sehr unauffällig und versteckt als kostenpflichtig gekennzeichnet waren. Deren Betreiber spielen sehr geschickt mit der selektiven Aufmerksamkeit und den Erwartungen der Nutzer, um diese dann in unfreiwillige Vertragsverhältnisse zu locken. Meist betrifft dies teure Abonnements der vermeintlich kostenlosen Leistungen, zu denen Freeware-Downloads, Routenberechnungen oder Allerweltsverzeichnisse gehören.

Wenn ein Nutzer sich weigerte, die überraschend eintreffende Rechnung über Beträge von 90 Euro oder mehr zu begleichen, landeten die Forderungen der Web-Nepper allerdings nur selten vor Gericht: Die Aussichten, dort siegreich zu sein, waren für sie gar zu schlecht. Wenn Zivilgerichte Forderungen von Abofallenbetreibern abschmetterten, geißelten sie deren Praktiken nicht selten mit scharfen Worten [1]. Wer hingegen mit einer Strafanzeige gegen das Unwesen des Web-Nepps vorgehen wollte, hatte bislang keinen Erfolg: Zu hoch setzte die Strafjustiz die Hürden für die in Frage kommenden Delikte an; Richter sahen die notwendige Täuschungsabsicht nicht als gesichert an und mochten ein legales Geschäftsmodell nie ausschließen. Oft mussten Staatsanwaltschaften Ermittlungsverfahren einstellen, weil in den allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) oder in Randbereichen von Webseiten bei den fraglichen Angeboten irgendwo Hinweise auf anfallende Kosten versteckt waren. Auf diese hätten aufmerksame Kunden stoßen können.

Eine gefühlte Ewigkeit musste vergehen, bis ein Obergericht sich aus strafrechtlicher Sicht einmal näher mit den Praktiken der Abofallenbetreiber auseinandersetzte. Im Dezember 2010 tat dies das OLG Frankfurt [2]. Mit seinem Beschluss stellte es unmissverständlich klar: Das Betreiben einer Abofalle im Web mit absichtlich leicht zu übersehenden Kostenhinweisen erfüllt den Tatbestand des gewerbsmäßigen Betrugs im Sinne des Paragrafen 263 des Strafgesetzbuchs (StGB). Die Vorgeschichte dieser Gerichtsentscheidung ist allerdings bemerkenswert und spiegelt wider, wie vertrackt das Problem des Web-Nepps aus Sicht der Strafjustiz ist.

Die Staatsanwaltschaft in Frankfurt hatte beim Landgericht (LG) am selben Ort bereits im Frühjahr 2008 beantragt, das Hauptverfahren gegen zwei Abofallenbetreiber zu eröffnen. Dabei ging es um insgesamt 34 Fälle, in denen die Angeschuldigten von August 2006 bis April 2008 nach dem üblichen Muster vorgegangen waren; in einigen der Fälle sollen sie die Taten gemeinschaftlich begangen haben. Das LG lehnte jedoch am 5. März 2009 die Eröffnung des Hauptverfahrens ab.

Die Staatsanwaltschaft legte gegen diese Entscheidung sofort Beschwerde ein, und so landete die Angelegenheit schließlich beim OLG. Dieses konnte die beiden mutmaßlichen Täter zwar nicht verurteilen, sondern verwies die Entscheidung für den konkreten Fall zurück ans LG mit der Anordnung, das Hauptverfahren zu eröffnen. Es schien aber so, als habe der zuständige Senat des OLG nur auf einen solchen Anlass gewartet, um den massenhaft stattfindenden Web-Nepp einmal ganz eindeutig strafrechtlich einzuordnen, denn in dieser Hinsicht lässt der Beschluss keine Fragen offen.

Die Angeschuldigten waren als Prokurist und Geschäftsführerin eines Unternehmens tätig, das mehrere verdeckt kostenpflichtige Websites betrieb. Das OLG Frankfurt a. M. stellte fest, dass sie dadurch Täuschungshandlungen im Sinne des Betrugstatbestandes aus Paragraf 263 StGB begangen hatten.

Diese Hürde hatten die zuvor mit Abofallenbetreibern befassten Strafverfolgungsorgane nicht genommen. Eine Täuschungshandlung wurde immer wieder verneint, wie es auch das LG Frankfurt tat, als es die Aufnahme des Hauptverfahrens im selben Fall ablehnte.

Das OLG gibt diese Haltung wie folgt wieder: "Nach Ansicht des Landgerichts vermag alleine der Umstand, dass die Kostenpflichtigkeit möglicherweise nicht auf den ersten Blick erkennbar sei, die Annahme einer Täuschung nicht zu tragen. Es gebe weder einen allgemeinen Vertrauensschutz dahin, dass man bei Dienstleistungen deren Kostenpflichtigkeit auf Anhieb erkennen müsse, noch, dass jegliche Information im Internet kostenlos zur Verfügung gestellt wird. Auch hätten Hinweise auf die Kostenpflichtigkeit problemlos zur Kenntnis genommen werden können, zumal aufgrund der erforderlichen Eingabe der persönlichen Daten auch aus Sicht eines durchschnittlichen Internetnutzers eine sorgfältige Befassung mit den Inhalten der Webseite angezeigt gewesen sei. Damit sei das Vorgehen der Angeschuldigten zwar sozialethisch fragwürdig, verbraucherfeindlich und zivil- und wettbewerbsrechtlich angreifbar, jedoch sei das sich in einer rechtlichen Grauzone bewegende Verhalten nicht strafrechtlich relevant."

Eine ausdrückliche Täuschung will auch das OLG den Angeschuldigten nicht vorwerfen. Die Websites, um die es geht, enthielten ja immerhin an zwei Stellen versteckte Hinweise zur Kostenpflichtigkeit. Entscheidend sei aber vielmehr der Umstand, dass der Gesamteindruck für einen durchschnittlichen Internetnutzer darauf schließen ließe, dass die dort angebotenen Leistungen kostenlos seien. Das wiederum sei als konkludente Täuschung zu werten.

Eine Täuschung kann nicht nur durch eine ausdrückliche Aussage erfolgen, sondern auch durch irreführendes Verhalten, das nach allgemeiner Anschauung als stillschweigende Erklärung zu werten ist. Das wiederum ist der Fall, wenn ein Täter die Unwahrheit zwar nicht ausdrücklich erklärt, sie aber durch sein Verhalten gewissermaßen unter der Hand, also konkludent, miterklärt.

Die Angeschuldigten, die ja geschäftsmäßig Leistungen an Verbraucher anboten, waren an die Preisangabenverordnung (PAngV) gebunden, wie sie zum Zeitpunkt der Gerichtsentscheidung galt. Paragraf 1 Abs. 6 S. 2 PAngV verpflichtete sie dazu, die Endpreise (einschließlich Umsatzsteuer und sonstiger Preisbestandteile) der angebotenen Leistungen leicht erkennbar und deutlich lesbar zuzuordnen.

Das war aufgrund der Gestaltung ihrer Websites nicht der Fall – jedenfalls dann nicht, wenn ein Websurfer einen handelsüblichen 19-Zoll-Monitor mit der Standardauflösung 1280 x 1024 oder gar einen Bildschirm mit noch geringerer Auflösung verwendete. Ansonsten hätte ein Nutzer, der die Kostenpflichtigkeit zur Kenntnis nehmen wollte, einem Sternchenhinweis auf der Anmeldemaske nachgehen oder die ebenso umfangreichen wie unübersichtlichen AGB nahezu komplett durchlesen müssen. Zu all dem hätte ein gewöhnlicher Websurfer aber gar keinen Anlass gesehen, denn – so das Gericht – er habe ja nicht damit rechnen müssen, dass Angebote der betreffenden Art kostenpflichtig wären. Insgesamt könne man nicht behaupten, dass die Preisauszeichnung leicht erkennbar gewesen sei und eine klare Zuordnung der Preise zu den angebotenen Leistungen vorgelegen habe.

Auch zum häufigen Einwand, niemand dürfe im Web kostenlose Dienste erwarten, nahm das OLG deutlich Stellung: Ein durchschnittlicher Internetnutzer müsse in der Regel nicht damit rechnen, dass online angebotene Leistungen wie Routenplaner, Gedichte-, Grußkarten- oder Rezeptearchive, Hausaufgabenangebote und so weiter kostenpflichtig seien. Es gebe nämlich unzählige Websites, die dergleichen gratis verfügbar machten: "Der Durchschnittsverbraucher ist es … gewohnt, im Internet zahlreiche kostenlose Dienstleistungs- und Downloadangebote anzutreffen, ohne den Grund für deren Unentgeltlichkeit … zu kennen. Insoweit kann der Nutzer, dem problemlos der Weg zu kostenfreien Alternativangeboten eröffnet ist, erwarten, dass ihm bereits bei Aufruf der Seite die zentrale Information der Kostenpflichtigkeit der Nutzung gleich zu Beginn der Nutzung an hervorgehobener Stelle mitgeteilt wird, und er nicht erst nach dieser Information in Fußnoten oder über das Anklicken weiterer Seitenteile suchen muss …, zu mal die situationsadäquate Aufmerksamkeit eines im Internet 'surfenden' Durchschnittsverbrauchers gering ist … Aufgrund des … unzureichenden Hinweises auf die Entgeltlichkeit der Leistung ist daher ein konkludentes Miterklären der Unentgeltlichkeit zu bejahen."

Den Einwand, der Nutzer hätte durch genauere Prüfung durchaus erkennen können, dass eine angebotene Leistung kostenpflichtig ist, lässt das Gericht nicht gelten: Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) sei eine Täuschung auch dann grundsätzlich nicht auszuschließen, wenn sich das Opfer ausgesprochen leichtgläubig verhält und der betreffende Täuschungsversuch leicht zu erkennen sein müsste [3].

Vielmehr bescheinigt das OLG den Angeschuldigten ganz deutlich, dass sie durch die Gestaltung ihrer Websites gezielt einen Irrtum beim Nutzer hervorrufen wollten und eine Täuschung der Zweck ihrer planmäßigen Handlung war: "Vorliegend ist eine planvolle Vorgehensweise der Angeschuldigten zu bejahen, weil die gesamten von ihnen betriebenen Websites ihrer Gestaltung nach darauf angelegt sind, die Kostenpflicht und vertragliche Bindung zu verschleiern. Dies folgt bereits daraus, dass der eine Hinweis auf die Kostenpflicht in einem Text enthalten ist, zu deren Lektüre man nur gelangt, wenn man dem Sternchenhinweis über der Anmeldemaske nachgeht … Hätten die Angeschuldigten wirklich die Kenntnisnahme der Nutzer von der Kostenpflichtigkeit bezweckt, so hätte es nahe gelegen, wenn sie … direkt bei den bei Aufruf der Seite sichtbar werdenden Informationen über die Leistung auch gleich Angaben zu deren Entgeltlichkeit angebracht hätten … Letztlich ist die beschriebene Gestaltung des Internetauftritts nur so zu erklären, dass die Angeschuldigten einzig in der Absicht handelten, den größten Teil der betroffenen Verbraucher über die Entgeltlichkeit ihres Angebots zu täuschen."

Zu einem Betrug gehört nicht nur eine Täuschung, sondern auch eine Schädigung des Opfers. Wodurch aber wird jemand, der unfreiwillig einen Vertrag über Dienste im Web schließt, geschädigt? Schließlich, so könnte man argumentieren, bekommt er doch etwas für sein Geld. Das Gericht nahm auch hierzu Stellung: "Vorliegend wird die täuschungsbedingte Entstehung der Verbindlichkeit durch den wirtschaftlichen Wert der Gegenleistung nicht ausgeglichen, weil die abonnementweise Beziehung der angebotenen Leistung für die Nutzer wirtschaftlich sinnlos ist. Es handelt sich bei den angebotenen Leistungen durchweg um solche, die entweder einmalig (Gehaltsrechner) oder allenfalls gelegentlich und dann anlassbezogen genutzt werden (z. B. Routenplaner, Grußkarten-Archiv, Gedichte- Archiv, Tattoo-Archiv). Sofern bei einzelnen Archiven oder Datenbanken auch ein häufigeres oder regelmäßiges Nutzungsbedürfnis denkbar sein kann, läge – vor dem Hintergrund, dass dieselben Leistungen auch unentgeltlich im Netz angeboten werden – der Erwerb entsprechender Software mit einmaliger Kaufpreiszahlung wirtschaftlich näher."

Was das OLG Frankfurt a. M. in seinem Beschluss festgehalten hat, ist nicht nur unmissverständlich, sondern auch so ausführlich, dass es sich gut als Blaupause für Überlegungen anderer Strafgerichte zu Fällen typischer Web-Nepp-Angebote eignet. Wenn man die Argumentation ernst nimmt, kann für angeschuldigte Fallensteller kaum noch etwas anderes als gewerbsmäßiger Betrug im Raum stehen. Man darf annehmen, dass die Frankfurter Richter diese Gelegenheit sehr bewusst wahrgenommen haben, um den Schutz der Verbraucher vor der überhandnehmenden Abofallenmasche zu stärken – und spätestens hier kommen auch die Anwälte in den Blick, die mit Abmahnungen im Auftrag der Abofallenbetreiber deren Geschäft befördern und kräftig daran mitverdienen.

Das befürchtete offenbar auch der berühmt-berüchtigte Abmahnanwalt Olaf Tank, der im Dezember 2010 verkünden ließ, alle Abmahnmandate der Abofallenbetreiber Redcio OHG, Content Services Ltd. und Antassia GmbH niedergelegt zu haben. Mittlerweile hat er seine Osnabrücker Kanzlei aufgelöst [4]. Vor dem Hintergrund, dass allein bei der Staatsanwaltschaft Osnabrück rund 4000 Anzeigen gegen ihn eingegangen sind, verwundert dieser Schritt nicht. Aber auch für die Angeschuldigten bereits eingestellter Verfahren dürfte der Beschluss des OLG Frankfurt a. M. von Bedeutung sein, da den Staatsanwaltschaften bei einer Einstellung des Verfahrens wegen Fehlens eines hinreichenden Tatverdachtes gemäß Paragraf 170 Absatz 2 der Strafprozessordnung (StPO) grundsätzlich die Möglichkeit bleibt, die Tat erneut anzuklagen. Welche Folgen der Beschluss tatsächlich haben wird, lässt sich natürlich nicht vorhersehen. Der Umstand, dass bereits wenige Wochen nach seiner Verkündung bundesweite Durchsuchungen bei Abofallenbetreibern stattfanden [5], berechtigt aber zur Hoffnung, dass er auf fruchtbaren Boden fällt. (psz)

Die Autorin Panagiota Brachou ist Rechtsanwältin in Hannover. / (psz)

[1] Kai Mielke, Web-Nepper auf dünnem Eis, Neues von der juristischen Front in Sachen Vertragsfallen, c’t 17/10, S. 134
[2] OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 17. 12. 2010, Az. 1 Ws 29/09
[3] BGH, Urteil vom 4. 12. 2003, Az. BGH 5 StR 308/03
[4] Meldung der Neuen Osnabrücker Zeitung vom 5. 1. 2011
[5] Pressemitteilung der Hamburger Polizei vom 7. 2. 2011 (map)