Kolumne: Alle Mitarbeiter sind gut, und alle Vorgesetzen sind schlecht - oder?

Jedes Jahr im Januar veröffentlicht das Beratungsunternehmen Gallup seine gleichnamige Studie. Interessant wird die Lektüre der "Gallup-Studie" erst, wenn man liest, was nicht in ihr steht.

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Damian Sicking

Kyocera-Mita-Geschäftsführer Reinhold Schlierkamp

(Bild: Kyocera-Mita)

Lieber Kyocera-Mita-Geschäftsführer Reinhold Schlierkamp,

genauso regelmäßig wie das Jahr mit dem Januar beginnt, genauso regelmäßig beklagt das Beratungsunternehmen Gallup im Januar die Zustände in den deutschen Unternehmen. Das macht Gallup schon seit Jahren, und immer steht mehr oder weniger dasselbe darin. Die einzigen, die sich über die Gallup-Mitteilungen freuen, sind die Journalisten, die wieder was zu schreiben haben. Dabei würde kopieren völlig reichen – nämlich den Artikel aus dem Vorjahr. (Insgeheim habe ich den Verdacht, dass Gallup nur BEHAUPTET, jedes Jahr eine erkleckliche Anzahl von Angestellten in den Unternehmen zu befragen, in Wirklichkeit aber immer nur die Zahlen aus dem Vorjahr geringfügig verändert. Ich kann es bisher nur noch nicht beweisen.)

Na ja, auf jeden Fall sind die Ergebnisse auch in diesem Jahr wieder ganz schlimm niederschmetternd, und ich sage voraus, dass sie auch im nächsten Januar wieder ganz schlimm und niederschmetternd sein werden. Kurz gefasst sagen sie: Der Großteil der Angestellten ist nicht wirklich mit dem Herzen bei der Arbeit, zwei Drittel machen Dienst nach Vorschrift, und jeder Fünfte hat sogar innerlich gekündigt. Schuld daran sind natürlich im Wesentlichen die bösen, bösen Vorgesetzten, die sich zum einen nicht genug um die Mitarbeiter kümmern und zum anderen für ihren Job völlig unqualifiziert sind, dafür aber die fette Kohle kassieren und dicke Autos durch die Gegend fahren.

Es fällt mir nicht im Traum ein, mich hier zum Anwalt der Manager, Führungskräfte und Vorgesetzten zu machen, zumindest so lange nicht, wie mich niemand mit viel Geld dazu zwingt. Aber Fakt ist: Genauso wie die Mehrzahl der Deutschen ein viel besserer Fußballbundestrainer wäre als derjenige, der gerade das Amt innehat, genau aus dem gleichen Grunde halten die Deutschen auch ihre Vorgesetzen für Pfeifen und Versager. Dass Sie selber vielleicht auch nicht gerade die großen Leuchten und Vorbilder an ihren Arbeitsplätzen sind, kommt ihnen nicht einmal ansatzweise in den Sinn.

Ich möchte an dieser Stelle gerne auf zwei sehr lesenswerte Beiträge hinweisen. Der erste ist rein zufällig von mir selbst und wurde bereits Anfang September an dieser Stelle veröffentlicht. Er trägt den Titel "Wie wird man ein guter Mitarbeiter?". Der andere Artikel stammt von Dagmar Deckstein, Redakteurin im Wirtschaftsressort der Süddeutschen Zeitung, und hat die Überschrift "Immer ist der Chef schuld". Beide Autoren – hochgebildete, messerscharf denkende und kunstvoll formulierende Vertreter ihrer Zunft – beschäftigen sich mit dem gleichen Thema: Alle reden von der Unfähigkeit der Führungskräfte, wer aber stellt die Frage nach der Unfähigkeit der Mitarbeiter? Immer nur stehen die Vorgesetzten am Pranger, aber nie die Angestellten. Auch in der Gallup-Studie wird dies wieder offensichtlich: Dass so viele der Befragten angeben, sie hätten keinen oder so gut wie keinen Bock auf ihre Arbeit, liegt nicht an ihnen und an ihrer korrekturbedürftigen Einstellung, oh nein. Sondern daran sind immer nur die Vorgesetzten schuld. Die Frage ist: Soll man das einfach so kommentar- und widerspruchslos stehen lassen? Ich für meinen Teil will dies nicht.

Die Kollegin Deckstein schreibt ganz prima dazu: "Führungskräfte können sich kaum noch retten vor Führungskräfteschulungen. Aber wo finden wir Workshops zum Thema: Wie überwinde ich den inneren Schweinehund, der alles, was von oben kommt, erst mal grundsätzlich anzweifelt? Die Kunst eben, sich führen zu lassen." Gute Frage, finden Sie nicht?

Beste Grüße

Damian Sicking

Weitere Beiträge von Damian Sicking finden Sie im Speakers Corner auf heise resale. ()