Kolumne: Warum viele IT-Unternehmen den Kampf um die Talente verlieren

Mit dem neuen Deutschland-Chef von Computacenter, Oliver Tuszik, unterhielt sich Heise-resale-Kolumnist Damian Sicking über ein entscheidendes Problem vieler IT-Firmen: Woher bekommen wir das Personal, das wir für unser geplantes Wachstum brauchen?

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Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Damian Sicking

Computacenter-Deutschlandchef Oliver Tuszik

(Bild: Computacenter)

Lieber Computacenter-Chef Oliver Tuszik,

am vergangenen Montag habe ich Sie im Computacenter-Stammsitz in Kerpen besucht. Wir sprachen unter anderem über die Hindernisse, die Computacenter überwinden muss, damit das Unternehmen seine Ziele erreicht. Als die drei wichtigsten Herausforderungen habe ich mir notiert:

1.Der zunehmende Preisdruck im Service-Bereich. Deutschland ist der härteste Markt in Europa, sagten Sie, im Computacenter-Mutterland Großbritannien lassen sich zehn Prozent höhere Preise erzielen. Aus diesem Grunde prüfen Sie verstärkt, welche Dienstleistungen Computacenter überhaupt noch wirtschaftlich sinnvoll anbieten kann und soll und bei welchen Sie nicht besser auf Drittanbieter zurückgreifen sollten.

2.Die abwartende Haltung der Kunden in Bezug auf langfristige Hardware- und Software-Investitionen. Vor allem die Finanzkrise mit ihren nun allmählich zunehmenden negativen Auswirkungen auf die Realwirtschaft lassen die Kundenunternehmen sehr vorsichtig werden, was Bestellungen betrifft.

3.Die Personalsituation. Die Liste der offenen Stellen auf Ihrer Homepage ist lang. Vor allem Engineers und Consultants werden gesucht. Aber woher nehmen und nicht stehlen? Der Markt ist leer. Bei anderen System- und Beratungshäusern ist es ähnlich. Wer kann und will, der kauft dem anderen einen dringend benötigten Spezialisten ab. Zu horrenden Gehältern. Sie selbst erzählten von einem ihrer ehemaligen Mitarbeiter, der sein Gehalt durch einen Wechsel mal eben auf 130.000 Euro fast verdoppelte. Und der Mann ist 27 Jahre alt! Irre!

Ich möchte Sie auf zwei Veröffentlichungen aufmerksam machen, die jetzt gerade zu diesem Thema erschienen sind. Zum einen auf einen Beitrag meines Kollegen Hadi Stiehl im Manager-Magazin, und zum zweiten auf die Ergebnisse einer Studie des Beratungs- und Softwarehauses PPI AG.

Zunächst ein paar Fakten: Im Rahmen ihrer Studie "IT-Jobscout Mai 2008" hat die PPI AG im April und Mai dieses Jahres insgesamt 429 Stellenangebote der 100 größten IT-Firmen in Deutschland analysiert. Dabei beschränkten die Forscher ihren Blick auf solche Job-Angebote, die sich an Einsteiger mit Hochschul- oder Fachhochschulabschluss oder mit höchstens zwei Jahren Berufserfahrung richten. Das wesentliche Ergebnis: Fast drei Viertel der ausgeschriebenen Stellen entfallen auf Anwendungsentwicklung und IT-Beratung. Interessant: Im Vertrieb scheint die Unternehmen der Schuh nicht sonderlich zu drücken. Lediglich ein Prozent der angebotenen Jobs betreffen IT-Vertriebspositionen – letzter Platz. Sogar im Bereich IT-Hardware werden mehr Leute gesucht.

Der Artikel im Manager-Magazin trägt die Überschrift "IT-Fachkräftemangel: Hausgemachtes Problem". Die Kernaussage: Aufgrund ihrer Hire-and-Fire-Mentalität haben sich vor allem die amerikanischen Firmen selbst in den Schlamassel gebracht. Sie haben vor Jahren nicht nur die Spezialisten gefeuert, die sie heute dringend brauchen, sondern sie haben damit auch dafür gesorgt, dass viele potenzielle Mitarbeiter sich von vornherein der IT-Branche abgewandt haben. Das ist ja auch einer der Punkte, den Sie, lieber Herr Tuszik, kritisch angemerkt haben. Darüber hinaus wiesen Sie darauf hin, dass wir heute noch an den Folgen der New Economy leiden. Genauer: an dem Zusammenbruch der New Economy mit seinen unzähligen Firmenzusammenbrüchen und zigtausenden von Entlassungen und Jobverlusten. Kann man es angesichts dieser Tatsachen einem jungen Menschen verdenken, der sich lieber für eine (vermeintlich) sicherere Branche als die IT entscheidet?

Ein Weiteres kommt hinzu: Es gab eine Zeit, da glaubten die Hochschulen und einige Hochschullehrer im Bereich Informationstechnologie, sie müssten ihre Reputation dadurch steigern, dass sie möglichst viele Studenten durch die Prüfungen rasseln ließen. So etwas spricht sich natürlich auch bei den Abiturienten herum. Sie entschieden sich im Zweifel dann doch lieber für ein Alternativstudium.

Bernd Bischoff, Präsident der Initiative D21

(Bild: Fujitsu Siemens Computers)

Eine baldige Entspannung der Situation an der Personalfront ist unwahrscheinlich. Zumindest dann nicht, wenn der Markt nicht total zusammenbricht. Was kann man tun? Die Unternehmen müssen sich selbst helfen. Eigene Ausbildungsprogramme wie das duale Studium an den Berufsakademien (BA) in Süddeutschland (Bayern, Baden-Württemberg) sind ein guter Weg, um Abiturienten früh an Bord zu holen und an das eigene Unternehmen zu binden. Wichtig ist aber auch: Wer den Kandidaten nicht mehr als einen Arbeitsplatz zu bieten hat, der hat definitiv zu wenig zu bieten. Ich bin immer wieder überrascht, wie schwer es einige Firmen ihren Mitarbeitern machen, sich in dem Unternehmen wohl zu fühlen oder sogar stolz darauf zu sein, dazu zu gehören. Als wenn es ihnen egal wäre.

Ich selbst hatte mal das zweifelhafte Vergnügen, für ein Unternehmen zu arbeiten, dessen Vorstand zwar immer von den Bedürfnissen der "amerikanischen Gesellschafter" sprach, dem die Bedürfnisse der Mitarbeiter aus seinem Verantwortungsbereich aber am Allerwertesten vorbei gingen. Das ist nicht nur menschlich nicht nett, sondern auch taktisch unklug. Denn die Mitarbeiter sprechen mit ihren Freunden, Bekannten, ehemaligen Kommilitonen und Arbeitskollegen über ihre Firma und prägen damit ganz erheblich das Image des Unternehmen und seine Attraktivität als Arbeitgeber für andere. Diese "Flüsterpropaganda" stellt jede Hochglanzbroschüren der Personalabteilungen in den Schatten, was Wirksamkeit auf mögliche Bewerber betrifft. Blöd für die Unternehmen, wenn beides nicht zueinander passt.

Deshalb stoßen nach meiner Überzeugung irgendwelche Inszenierungen und Imagekampagnen des Branchenverbandes Bitkom schnell an ihre Grenzen. Auch das, was die Initiative D21 macht, ist gut und richtig. Allerdings: Wenn D21-Präsident Bernd Bischoff ausgerechnet in der Handelsblatt-Beilage "Karriere" (01.08.2008) von den "großen Chancen" für die jungen Menschen dieses Landes in der IT- und TK-Branche schwärmt und ihnen zuruft, dass es nur "an ihnen liegt, etwas daraus zu machen", dann ist das vor allem eins: gut gemeint, aber wenig überzeugend, vor allem, wenn man bedenkt, dass Bernd Bischoff im Hauptberuf Vorstandschef von Fujitsu Siemens Computers ist, eines Unternehmens also, dessen Zukunft momentan sehr ungewiss ist.

Lieber Herr Tuszik, Sie sind seit dem 1. Juni dieses Jahres Vorstandsvorsitzender von Computacenter und damit entscheidend für das Wohl der rund 4.000 Mitarbeiter in Deutschland verantwortlich. Ich wünsche Ihnen, dass Sie bei Ihren Entscheidungen immer ein glückliches Händchen haben und mit dazu beitragen, die Attraktivität der IT-Branche für Berufsanfänger zu erhöhen.

Beste Grüße

Damian Sicking

Und hier die die Antwort von Oliver Tuszik.

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