Quatschen Sie keine Opern, erzählen Sie Geschichten!

Gegen den Winterblues hilft bekanntlich Johanneskraut. Oder der "Lightframe"-Monitor 220X1SW von Philips. Behaupten jedenfalls die Marketingleute. Keine Ahnung, ob´s stimmt, aber es ist ein gute Geschichte. Und darum geht´s doch beim Marketing, oder?

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht
Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Damian Sicking

Thomas Schade, VP Europe, MMD

(Bild: MMD)

Lieber Thomas Schade, Chefvermarkter für Philips-Monitore,

der Verband mit dem fetzigen Namen "Organisation Werbungtreibende im Markenverband" (OWM) blickt dem Jahr 2010 mit Zuversicht und Optimismus entgegen. Der OWM erwartet nämlich, dass die Firmen im kommenden Jahr wieder deutlich mehr Geld in die Werbung stecken als 2009. Immerhin 39 Prozent der vom OWM befragten Unternehmen geben an, im kommenden Jahr ihre Ausgaben für Marketing und Werbung zu erhöhen. Das teilte der Verband gestern mit.

Dies ist zweifelsohne eine gute Nachricht, vor allem für die Medien. Trotzdem: Geld ist nicht alles, es kommt auch darauf an, gute Ideen zu haben. Und das heißt im Marketing vor allem: gute Geschichten zu erzählen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass gute Marketingleute meistens auch gute Geschichtenerzähler sind. Und wenn ich mir das Marketing der Firma MMD Monitors & Displays anschaue – MMD ist seit diesem Jahr für die Vermarktung der Philips-Displays zuständig und besteht aus vielen ehemaligen Philips-Leuten –, dann habe ich den starken Eindruck, dass bei Ihnen, lieber Herr Schade, und bei Philips ganz besonders gute Geschichtenerzähler am Werk sind. Man sollte an dieser Stelle vielleicht erwähnen, dass eine Geschichte etwas anderes ist als ein Märchen. Da gibt es einen großen Unterschied. Im Gegensatz zum Märchen nämlich können Geschichten wahr sein, müssen es aber nicht. Brutal gesagt: Märchen sind immer gelogen, Geschichten dagegen nehmen es mit der Wahrheit nur nicht so übertrieben genau. Und genau das ist ja Marketing, nämlich der sparsame Umgang mit der Wahrheit. Oder ist es etwa nicht so, dass es im Marketing in erster Linie darauf ankommt, unterhaltend zu sein und zu wirken?

Philips-Monitor mit Blaulicht

(Bild: Philips/MMD)

Nehmen wir mal ein Beispiel. Im Sommer dieses Jahres brachte MMD/Philips den PC-Monitor 220X1SW auf den Markt. Das Besondere daran: Es handelt sich um einen so genannten "Lightframe LCD". Wie der Name schon sagt, leuchtet der Rahmen des Monitors, und zwar in einem blauen Licht. Die Geschichte, welche die MMD/Philips-Marketingleute bei der Einführung des Bildschirms im Sommer dazu erzählten, lautete, dass durch das Blaulicht am Rande des Monitors (aktueller Straßenpreis: um die 200 Euro) die Augen weniger schnell ermüden und man also länger und konzentrierter arbeiten könne. Ein schönes Versprechen. Es gab anschließend ein paar Tests, unter anderem durch die für ihre knallharten Tests bekannten Redakteure der Zeitschrift MensHealth, die vor allem davon begeistert waren, dass der Monitor bei den Kollegen echt starke Neidgefühle auslöste.

Nun ist der Sommer leider vorbei, doch das ist kein Problem für die Geschichtenerzähler von MMD/Philips. Die Kreativlinge dachten sich einfach eine neue Geschichte aus, passend zur Jahreszeit. Und diese Geschichte lautet: "Philips präsentiert Monitor gegen Winterdepression." Jetzt versprechen die "Storyteller" von MMD/Philips, dass der Monitor das Gemüt seiner User im wahrsten Sinne des Wortes aufhellen soll. Also ein tolles Mittel gegen den so genannten Winterblues. Natürlich darf in dieser Geschichte die Wissenschaft nicht fehlen. Die MMD/Philips-Leute berufen sich auf eine Studie der niederländischen Universität Groningen, wonach "fast die Hälfte der Probanden von weniger Konzentrations- sowie Motivationsproblemen und Müdigkeit berichten, wenn sie auf einen LightFrame blickten" als andere. Fast die Hälfte, soso, immerhin! Die Erwähnung der Tatsache, dass mehr als die Hälfte der Studienteilnehmer einen solchen positiven Effekt nicht empfunden haben, würde eine gute Geschichte nur unnötig verkomplizieren ("Marketing ist der sparsame Umgang mit der Wahrheit.").

Ich jedenfalls finde die Lightframe-Geschichte großartig und bin absolut bereit, sie zu glauben. Hey, jemand wie ich, der morgens erst mal im Internet nachschaut, wie das Biowetter ist, damit er weiß, wie er sich fühlt, der bei Vollmond gar nicht ins Bett zu gehen braucht, weil er sowieso nicht schlafen kann und der sich nach jeder Placebo-Pille schon viel besser fühlt, der glaubt auch daran, dass Blaulicht gut gegen Winterdepressionen und schlechte Stimmung ist. Was kümmert mich denn das Geschwätz von gestern, demzufolge mindestens eine Lichtstärke von 2500, besser von 10 000 Lux nötig ist, um irgendeinen lichttherapeutischen Effekt zu erzielen (der 220X1SW bietet 200 Lux)?! Das ist schließlich eine völlig andere gute Geschichte von anderen Philips-Leuten, nämlich von denjenigen, die für die Vermarktung der superhellen "EnergyLight"-Lampe zuständig sind ("Fühlen Sie sich voller Energie wie an einem sonnigen Tag"). Diese Lampe strahlt so hell, dass damit zur Not auch Fußballstadien beleuchtet werden können, falls das Flutlicht ausfällt. Diese Lampe wurde und wird als Antidepressionslampe verkauft. Doch die Wissenschaft macht permanent Fortschritte, und wie man weiß, sind die Erkenntnisse von heute die Irrtümer von morgen. Heute braucht man vielleicht gar nicht mehr dieses helle Licht für eine wirksame Winterblues-Lichttherapie. Und außerdem sprechen wir bei dem Lightframe-Monitor ja auch nicht von irgendeinem Licht, das uns aus dem Rahmen des Monitors anstrahlt, nein, es handelt sich um blaues Licht. Blaues Licht ist etwas ganz Besonders und hat geradezu magische Fähigkeiten, wie jeder bestätigen kann, der schon mal auf dem Münchner Mittleren Ring plötzlich von einem dunklen BMW mit einem Blaulicht auf dem Dach überholt und angehalten worden ist.

Lieber Herr Schade, ich freue mich auf weitere Geschichten aus Ihrem Hause. Und wirklich: Diese Geschichten müssen nicht wahr sein, sie müssen nur gut sein.

Beste Grüße!

Damian Sicking

Weitere Beiträge von Damian Sicking finden Sie im Speakers Corner auf heise resale ()