Sind Boni mit schuld am Preisverfall in der IT-Branche?

Boni sind bäh! Jetzt hat sogar die schwedische Regierung Bonus-Zahlungen in staatlichen Betrieben verboten. Auch das Bonus-System zwischen IT-Herstellern und ihren Vertriebspartnern gehört auf den Prüfstand.

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Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Damian Sicking

Lieber Vertriebstrainer und Channel-Experte Stephan Heinrich,

in schwedischen Staatsunternehmen wird es in Zukunft für die leitenden Manager keine Boni mehr geben. Das hat die Regierung des skandinavischen Landes jetzt beschlossen. Zum Hintergrund muss man sicher nicht mehr viel sagen: Das auf Boni-Versprechen und Boni-Auszahlungen gestützte Anreiz- und Vergütungssystem in den Unternehmen wird verantwortlich gemacht für die Bankenskandale und die Wirtschaftskrise. "Bonus malus est", sagt der Lateiner, oder auf Deutsch: Boni sind bäh.

Channel-Experte Stephan Heinrich

(Bild: HMC)

Lieber Herr Heinrich, Sie haben in Ihrem Blog Visionselling eine Diskussion über die Frage angestoßen, ob Führen über Zielvorgaben heute noch zeitgemäß ist. Dabei beziehen Sie sich auf einen bereits im Dezember 2007 (!) erschienenen Aufsatz des T-Systems-Managers Christian Stein in der Zeitschrift Harvard Business Manager mit dem Titel "Führen ohne Ziele". Der Autor wendet sich in dem Beitrag nicht pauschal gegen Zielvereinbarungen, sondern gegen ein auf Zielvereinbarungen und Zielerreichungen basierendes Vergütungssystem. Mit anderen Worten: gegen Bonuszahlungen. Stein ist der Ansicht, dass diese Systeme "nicht nur wenig nutzen, sondern sogar großen Schaden anrichten können". Ein sehr schwieriges Thema, aber es ist gut und richtig, dass heute darüber diskutiert wird.

Ich möchte an dieser Stelle gar nicht näher auf die Thematik der individuellen Ziele und Boni eingehen, sondern auf einen anderen Aspekt, der meines Wissens bisher noch gar nicht angesprochen worden ist. Ich frage mich, ob Boni, welche die IT-Hersteller an ihre Handelspartner zahlen, nicht ebenfalls "nicht nur wenig nutzen, sondern sogar großen Schaden anrichten können". Was meine ich damit?

Heute ist es ja gängige Praxis, dass die Vertriebspartner von ihren Herstellern am Jahresende eine Rückvergütung bekommen, wenn sie eine bestimmte, vorher vereinbarte Menge einer Produktgruppe (zum Beispiel PCs) abnehmen. Diese Rückvergütung ist nichts anderes als ein Bonus. Nun ist es leider nicht so, dass die Händler mit dem von ihrem Hersteller am Jahresende erhaltenen Scheck eine tolle Party feiern oder den Teppichboden in ihren Büros erneuern lassen. Sondern es hat sich eingebürgert, dass Händler diesen am Jahresende zu erwartenden Bonusbetrag bereits vorher in ihre Preiskalkulationen miteinfließen lassen. In der Praxis bedeutet dies, dass sie die Produktpreise senken, um sich so gegenüber ihren Mitbewerbern einen Marktvorteil zu verschaffen. Die momentan geringere Marge nehmen sie in Kauf, weil sie ja durch den am Jahresende kommenden Geldfluss (Bonus) kompensiert wird (so zumindest die Hoffnung). Wie Sie wissen, lieber Herr Heinrich, läuten bei zahlreichen Handelsunternehmen am Ende eines Quartals und vor allem gegen Jahresende die Alarmglocken, wenn sich abzeichnet, dass man möglicherweise die mit dem Hersteller vereinbarte Abnahmemenge nicht erreicht. Dann reißen die letzten Dämme, und alles muss raus, ohne Rücksicht auf Verluste, nur um den Bonus nicht zu gefährden.

Muss man sich vor dem Hintergrund dieser Praxis nicht fragen, ob da nicht etwas grundsätzlich falsch läuft? Ich frage mich wirklich, ob dieses Bonus-System zwischen Hersteller und Vertriebspartner nicht in hohem Maße für den anhaltenden Preisverfall in der Branche verantwortlich ist. Für den Preisverfall, der ja von sämtlichen Marktteilnehmern beklagt wird, an dem aber immer die anderen schuld sind. Mit ihrem Vorwurf, die Händler allein seien für die permanente Preiserosion verantwortlich, machen es sich die Hersteller auf jeden Fall viel zu einfach. Sie müssen sich schon an die eigene Nase fassen – mit ihren Backend-Boni verführt die Industrie die Händler erst zu dem Verhalten. Wir haben es hier mit einem Fehler im System zu tun, der dazu führt, dass die Branche sich selbst ruiniert? Ich denke, wir müssen uns ernsthaft mit der Frage auseinandersetzen, ob das konventionelle Bonus-/Rückvergütungssystem nicht überholt ist.

Der einfachste Ausweg aus diesem Dilemma wäre sicherlich: gar keine Boni, keine Rückvergütung. Es gibt in diesem Szenario nur eine Lösung: für alle Partner denselben Einkaufspreis pro Einheit (zum Beispiel PC), unabhängig von der Abnahmemenge und der Abnahmeverpflichtung des Partners. Boni für erreichte Abnahmemengen am Jahresende sind nicht mehr erforderlich. Der Verdienst des Händlers liegt in der beim Verkauf erzielten Marge. Wer mehr verkauft, verdient absolut mehr, wer weniger verkauft, verdient absolut weniger. Ist das ein realistisches Szenario? Sicher werden jetzt einige sagen: "Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis." Okay, das mag sein. Aber die gängige Praxis, so wie wir sie heute vorfinden, die taugt ja wohl auch nicht für die Praxis. Oder? So weitermachen wie bisher kann keine Lösung sein.

Beste Grüße

Damian Sicking

Vertriebstrainer Stephan Heinrich antwortet: "Der Tunnelblick auf die Zahlen unter Missachtung des gesunden Menschenverstands kann nur in den Untergang führen".

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