Tür auf für Softwarepatente

Ist in Deutschland ab sofort nahezu jede Software patentierbar? Der Bundesgerichtshof zumindest hat in gleich zwei Verfahren einer gesetzlich eigentlich ausgeschlossenen Patentierbarkeit von Softwarelösungen weit die Tür geöffnet. Entwickler müssen sich nun mit Chancen und Risiken patentgeschützter Software beschäftigen.

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Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Georg Schnurer

Ein Patent schützt eine neu erfundene, technische Lösung eines technischen Problems. Der Erfinder genießt damit nicht direkt Schutz für die konkrete technische Vorkehrung oder Maschine, sondern für die dahinterstehende Idee – so sie denn neu ist. Ein typisches Patent ist etwa der Fischer-Dübel: die abstrakte Idee, wie sich eine Schraube in einem Bohrloch fixieren lässt. Unabhängig davon schützt das Urheberrecht geistige Werke, etwa den Text eines Buches, ein Musikstück oder auch Softwarecode. Schutz genießt dabei nur das konkrete, fertig ausgestaltete Werk, etwa der konkrete Text oder der konkrete Programmcode. Die einzelnen Harry-Potter-Bände sind deshalb genauso urheberrechtlich geschützt wie der Programmcode jeder Microsoft-Word-Version. Hingegen schützt das Urheberrecht nicht die dahinterstehenden Einfälle. Deshalb ist die abstrakte Idee, Erlebnisse eines Schülers in einem Zauberinternat zu erzählen, ebenso wenig urheberrechtlich geschützt wie der Ansatz, Text am Bildschirm auf einer virtuellen Seite zu bearbeiten.

Ringen um Softwarepatente

Dieses in Deutschland und anderen EU-Staaten bestehende Nebeneinander von Patentschutz und Urheberrecht sorgte schon lange für Diskussionen: Software wäre noch besser geschützt, wenn neben dem urheberrechtlichen Schutz zusätzlich auch ein Patentschutz möglich wäre.

Artur Fischer hat in den vergangenen 60 Jahren mehr als 1100 Erfindungen angemeldet – sein wohl bekanntestes Produkt ist der Fischer-Dübel.

(Bild: Fischer)

Die Befürworter eines solchen Patentschutzes von Software sprechen von „computerimplementierten Erfindungen“. Und die müssten im Interesse des Investitionsschutzes durch Patente abgesichert werden können. Und warum sollten Erfindungen im Bereich von Software schlechter als andere Erfindungen behandelt werden? Man müsste aufhören, den technischen Charakter von Problem und Lösung – die sogenannte Technizität – so streng zu sehen. Im digitalen Zeitalter sei es nicht mehr angemessen, die Beherrschung von Naturkräften, also ein Klappern, Rattern oder Zischen zu verlangen.

Nach Auffassung der Kritiker eines Patentschutzes für Software ist das Kriterium der Technizität aber entscheidend wichtig. Denn ohne technischen Charakter von Problem und Lösung fürchten sie eine Monopolisierung von bloßen Ideen. Gewinner der Möglichkeit, Software patentieren zu lassen, wären vor allem die wenigen ganz großen internationalen Player. Verlierer hingegen die Unternehmen aus dem Mittelstand und insbesondere auch Entwickler oder Nutzer von Open-Source-Software. Denn solchen Entwicklern dürfte die vor allem finanzielle Schlagkraft fehlen, sich geschickt über das Minenfeld fremder Softwarepatente zu bewegen.
Und ohnehin zeige doch insbesondere das US-amerikanische System mit ebenso fruchtlosen wie millionenschweren Patentschlachten einerseits und mitunter hanebüchenen Trivial patenten andererseits offensichtliche Schwächen eines Systems, das so nicht auch noch in Europa eingeführt werden dürfte.

Ausgangssituation

Microsofts 1994 gestellter Patentantrag mit Programmablauf zur Nutzung von langen Dateinamen unter FAT.

Softwarepatente sind deshalb weniger ein rechtliches Problem als eine gesellschaftliche Diskussion. Gegen Ende der 1990er-Jahre begann eine heftig geführte Debatte um eine EG-Richtlinie zu computerimplementierten Erfindungen. Nach heftigen Diskussionen in Fachkreisen und Turbulenzen bei den Abstimmungen in den Ratssitzungen beschloss zwar der EU-Rat eine Richtlinie, die Softwarepatenten die Tür öffnete – das EU-Parlament verwarf diese Richtlinie dann aber wieder.

Heute schließen deshalb sowohl Paragraf 1 des deutschen Patentgesetzes wie auch Artikel 52 des Europäischen Patentübereinkommens „Programme für Datenverarbeitungsanlagen“ beziehungsweise Software „als solche“ von der Patentierbarkeit ausdrücklich aus. Während also Software isoliert betrachtet nicht patentierbar sein soll, ist ein Patentschutz für technische Probleme mit technischen Mitteln gerade der Kern des Patentwesens.

Damit hatte der Gesetzgeber gesprochen. Wo aber die Grenze zwischen Software „als solcher“ einerseits und der technischen Lösung eines technischen Problems andererseits verlaufen soll, hat die Rechtsprechung zu entscheiden. Tatsächlich hat nun der Bundesgerichtshof (BGH) als höchstes deutsches Zivilgericht in gleich zwei Entscheidungen die sogenannte Technizität im Umfeld von Software in sehr großzügiger Weise bejaht.
Wenn nun fast jede Software als technische Lösung eines technischen Problems gelten kann, ist Software deshalb in sehr weitgehender Weise patentierbar.

Die BGH-Entscheidungen

Ende April hatte der Bundesgerichtshof in einer Patentnichtigkeitssache zugunsten von Microsoft entschieden und die Gültigkeit eines europäischen Patents bestätigt (BGH, Urteil vom 20. 4. 2010 – X ZR 27/07 ). Auf den
ersten Blick wirkt die Entscheidung unspektakulär: Microsoft hatte im Jahre 1994 ein Patent für eine Weiterentwicklung des verbreiteten FAT-Dateisystems angemeldet. Die Erfindung sollte die alte 8.3-Restriktion auf heben und auch unter FAT lange Dateinamen ermöglichen.

Gegen die Erteilung des Patents wandte sich ein anderes Unternehmen und beantragte, das Patent für nichtig zu erklären. Denn die Erfindung sei nicht neu, sondern beruhe auf dem „Rock Ridge Interchange Protocol“, einer Erweiterung des ISO-9660-Standards für CDs. Tatsächlich hatte das Bundespatentgericht zuvor im Hinblick auf diesen älteren Standard für CDs das Patent von Microsoft verworfen – und deshalb die Frage nach der grundsätzlichen Patentierbarkeit der Softwarelösung nicht klären müssen.

Dann aber der Bundesgerichtshof: Die Erfindung sei sehr wohl neu, befanden die Karlsruher Richter, denn das Patent beschreibe, zwei eigenständige Verzeichniseinträge zu speichern. Das „Rock Ridge Interchange Protocol“ sehe hingegen ein völlig anderes System für die Verzeichniseinträge vor. Deshalb sei die Erfindung neu.

Und ja, diese Erfindung sei auch patentierbar, obwohl es sich um reine Software handele. Zwar müsse es um die Lösung eines konkreten technischen Problems mit technischen Mitteln gehen – aber obwohl hier eine reine Softwareidee vorliege, gehe es doch um das technische Problem, wie Daten auf einem Datenträger für den Zugriff durch unterschiedliche Betriebssysteme abgelegt werden müssen. Und die Lösung liege in der bestimmten „Anordnung der Speicherbelegung“. Das sei ein technisches Mittel.

Während das Deutsche Patent- und Markenamt in dem von Siemens eingereichten „Verfahren zur dynamischen Gene - rierung strukturierter Dokumente“ keine Erfindung „technischer Natur“ erkennt, sieht der BGH darin durchaus ein „technisches Mittel zur Lösung eines technischen Problems“.

Kurz darauf entschied der Bundesgerichtshof abermals über eine Erfindung, die den Softwarebereich betraf (BGH, Beschluss vom 22.4.2010 – Xa ZB 20/08). Die prozessuale Konstellation war nun ganz anders: Siemens wollte eine Erfindung patentieren lassen, scheiterte damit jedoch zunächst vor dem Deutschen Patent- und Markenamt und dann auch vor dem Patentgericht. Da die Erfindung nicht „technischer Natur“ sei, hatte das Patentgericht die Erteilung eines Patentes verweigert. Siemens wollte in einer Client-Server-Struktur die „dynamische Generierung strukturierter Dokumente“ schützen lassen. Darin fehlte dem Patent gericht jedoch der Einsatz technischer Mittel. Allein der Einsatz von Computern reiche nicht, lautete die Begründung. Eine bestimmte interne, technische Arbeitsweise des Rechners sei nun einmal gegeben, aber nicht direkt Gegenstand des Patentanspruches.

Diesen für die Patentierbarkeit von Software entscheidenden Aspekt sieht der Bundesgerichtshof in der entsprechenden Entscheidung jedoch anders. Zwar ist die Patentierbarkeit von „Software als solche“ ausgeschlossen. Aber das höchste deutsche Zivilgericht hat nun klar gemacht, dass ein Computer per se ein technisches Gerät sei. Und deshalb sei Software, die „auf die technischen Gegebenheiten der Datenverarbeitungsanlage Rücksicht nimmt“, grundsätzlich auch ein technisches Mittel zur Lösung eines technischen Problems. Keine Rede also mehr davon, dass eine patentierte Erfindung auf einer Nutzung „beherrschbarer Naturkräfte“ zur Erzielung eines vorhersagbaren Effektes beruhen muss.

Bedeutung für die Zukunft

Das Erfordernis einer Technizität der Erfindung stellt bei diesem Verständnis des Bundesgerichtshofes kaum noch ein Ausschlusskriterium für die Patentierbarkeit von Software dar. Denn beachtet ein Entwickler etwa, dass seine Software nicht mehr Speicher reserviert, als der Rechner bietet, nimmt die Software schon „Rücksicht auf die technischen Gegebenheiten der Datenverarbeitungsanlage“. Die Voraussetzungen für die Patentierbarkeit von Software sind nun also so gering, dass es ausreichen dürfte, wenn der Softwareentwickler sauber arbeitet und bei der Gestaltung einer Software auf die verwendete Hardware und ihre Grenzen eingeht.

Nur vollständig plattformunabhängiger Code ohne Steuerung der Hardware müsste deshalb weiterhin von einer Patentierbarkeit ausgeschlossen sein. Aber von US-amerikanischen Zuständen ist das deutsche Patentwesen trotzdem noch entfernt. Denn abstrakte Algorithmen werden sich weiterhin ebenso wenig wie bloße Geschäftsmodelle patentieren lassen.

Ungeklärt ließ der Bundesgerichtshof im Verfahren um die Siemens-Patente allerdings die Frage der Neuerungen der Erfindung. Das W3-Konsortium hatte ähnliche Techniken bereits im Jahre 2000 veröffentlicht. Ob Siemens tatsächlich noch Patentschutz erhält, ist deshalb noch nicht klar: Der Bundesgerichtshof hat zur Klärung dieser Frage das Verfahren an das Bundespatentgericht zurückverwiesen.

Konsequente Evolution

Schon seit einigen Jahren zeigt der Bundesgerichtshof in einzelnen Konstellationen die Tendenz, die Technizität im Umfeld von Software großzügig zu beurteilen. Die neuen Entscheidungen sind deshalb weniger eine überraschende Revolution als eine konsequente Evolution. Trotzdem haben die beiden jüngsten Entscheidungen erstmalig ausdrücklich die Patentierbarkeit von Software in dieser Deutlichkeit bejaht.

Computerimplementierte Erfindungen sind damit ab jetzt fester Bestandteil im deutschen Patentwesen. Der Patentschutz für Software wird somit stark an Bedeutung gewinnen – und Entwickler werden verständlicherweise ab sofort in weit größerem Maße als bisher versuchen, Patentschutz für ihre Software zu erhalten.

Gleichzeitig steigt aber auch das Risiko für Entwickler stark an, fremde Rechte zu verletzen. Denn obwohl Programmierer vielleicht keine Urheberrechte verletzen, besteht nun die Gefahr von Patentverletzungen. Die Zahl der Rechtsstreitigkeiten dürfte deshalb sprunghaft zunehmen.

Auch wird diese Gefahr nicht etwa erst langsam anwachsen. Denn das Europäische Patentamt hat schon seit Längerem in einer umstrittenen Praxis de facto Softwarepatente erteilt. Nur waren diese bisher zumindest in Deutschland kaum durchsetzbar. Eben das hat sich mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes nun geändert. Eine Schar bereits erteilter Softwarepatente wartet also darauf, durchgesetzt zu werden.

Der Autor berät als Rechtsanwalt in der internationalen Wirtschaftskanzlei Osborne Clarke zu Fragen des IT-Rechts. (gs)