Wie weit reicht der "Machtbereich" des Arbeitnehmers?

Will ein Arbeitgeber einem Mitarbeiter kündigen, hat er dafür zu sorgen, dass diesen das Schriftstück auch erreicht. Eine persönliche Übergabe ist aber nicht zwingend notwendig, wie ein aktuelles Urteil zeigt.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 12 Kommentare lesen
Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Marzena Sicking

Die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses wird nach § 130 Abs. 1 BGB erst wirksam, wenn sie dem betroffenen Mitarbeiter auch tatsächlich zugegangen ist. Das Risiko, dass die Zustellung erfolgt ist, trägt der Arbeitgeber. Arbeitnehmer, die nun glauben, sie können sich der Zustellung dadurch entziehen, dass sie den Einschreibebrief nicht abholen oder dem Zusteller ihre Tür nicht öffnen, irren allerdings. Denn nach gängiger Rechtsprechung genügt es, wenn die Kündigung in den "Machtbereich" des Betroffenen gelangt ist, so dass man davon ausgehen kann, dass dieser unter normalen Umständen auch Kenntnis vom Inhalt des Schreibens erlangt hat. Das hat das Bundesarbeitsgericht in einem aktuellen Urteil bestätigt (Urteil vom 9. Juni 2011, Az.: 6 AZR 687/09).

Geklagt hatte eine Frau, die seit dem 3. Februar 2003 als Assistentin der Geschäftsleitung in einer kleinen Firma beschäftigt war. Wegen der Unternehmensgröße fand das Kündigungsschutzgesetz hier keine Anwendung. Ende Januar 2008 verließ sie im Streit ihren Arbeitsplatz, noch am gleichen Tag setzte der Arbeitgeber eine ordentliche Kündigung auf. Das Kündigungsschreiben wurde per Boten am 31. Januar überbracht. Allerdings nicht an die private Adresse der Klägerin, sondern an den Arbeitsplatz ihres Ehemanns. Der war vermuttich ziemlich erstaunt, als ihm bei seinem Arbeitgeber, einem Baumarkt, das Kündigungsschreiben für seine Frau übergeben wurde.

Aber beunruhigt hat ihn das Schreiben offenbar nicht, denn er ließ es zunächst noch einen Tag an seinem Arbeitsplatz liegen und reichte es erst am 1. Februar 2008 an die Klägerin weiter. Mit ihrer Klage wollte die Frau nun feststellen lassen, dass ihr Arbeitsverhältnis nicht mit dem 29. Februar 2008, sondern erst nach Ablauf der Kündigungsfrist von einem Monat zum Monatsende mit dem 31. März 2008 beendet worden ist. Also einen Monat später, als vom Arbeitgeber gedacht. Das zuständige Arbeitsgericht hatte der Klage stattgegeben, das Landesarbeitsgericht hatte sie abgewiesen.

Die Revision der Klägerin hatte vor dem Sechsten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg. Vielmehr bestätigten die Richter, dass das Kündigungsschreiben der Firma der Klägerin noch am 31. Januar 2008 zugegangen ist, und somit das Arbeitsverhältnis der Parteien gemäß § 622 Abs. 2 Nr. 1 BGB nach Ablauf der Kündigungsfrist von einem Monat zum 29. Februar 2008 beendet worden ist.

Ausschlaggebend war, dass dem Ehemann die Kündigung rechtzeitig übergeben wurde, er war der "Empfangsbote". Dem stehe auch nicht entgegen, dass ihm das Schreiben an seinem Arbeitsplatz in einem Baumarkt und damit außerhalb der gemeinsamen Wohnung übergeben wurde. Entscheidend ist, dass unter normalen Umständen nach der Rückkehr des Ehemanns in die gemeinsame Wohnung mit einer Weiterleitung des Kündigungsschreibens an die Klägerin noch am 31. Januar 2008 zu rechnen war.

Laut Gericht wird als "Empfangsbote" angesehen, wer mit dem betroffenen Arbeitnehmer in einer Wohnung lebt und aufgrund von Reife und Fähigkeiten geeignet erscheint, das Schreiben an den Arbeitnehmer weiterzuleiten. Dies sei in der Regel bei Ehegatten der Fall. Die Übergabe der Kündigungserklärung an den Arbeitnehmer gilt allerdings nicht bereits mit der Übermittlung an den Empfangsboten als erledigt, sondern erst dann, wenn mit der Weitergabe der Erklärung unter gewöhnlichen Verhältnissen zu rechnen ist. In diesem Fall also durchaus noch am gleichen Tag, wenn der Gatte nach Feierabend in die gemeinsame Wohnung zurückkehrt. (Marzena Sicking) / (map)
(masi)