Zeit ist Geld: Wie die Krise unseren Umgang mit der Zeit verändert

Früher, in den "goldenen“ 1990er Jahren, haute die IT-Branche nicht nur das Geld raus, sondern auch die Zeit. Warum auch nicht, beides war reichlich vorhanden. Jetzt, nach zwei Krisen, ist beides knapp geworden - nicht nur das Geld, sondern auch die Zeit.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht
Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Damian Sicking

Lieber Messe-München-Geschäftsführer Klaus Dittrich,

gestern war ich beim Distributor A. in S., aber eigentlich war es eine Veranstaltung des Verbandes B. Ich darf nicht drüber schreiben, sonst sind wichtige Leute sauer und laden mich beim nächsten Mal nicht mehr ein. Weil ich vorher wusste, dass mir dieser Trip nach S. kein Material für eine Kolumne einbringen würde, hatte ich mich im Vorfeld natürlich gefragt, ob sich der zeitliche (1,5 Tage) und finanzielle (ca. 300 Euro) Aufwand überhaupt lohnt.

Münchener Messe-Manager Klaus Dittrich

(Bild: Messe München)

Das ist auch so eine Folge der Krisen der vergangenen Jahre, also der ersten Krise nach dem Platzen der Dotcom-Blase im Jahr 2001 und der zweiten Krise jetzt. Nicht nur das Geld ist in den Unternehmen knapper geworden, sondern auch die Zeit. Oder anders gesagt: So wie wir jeden Euro heute einmal öfter umdrehen, bevor wir ihn ausgeben, so blicken wir einmal mehr auf unsere Uhr, bevor wir Termine zusagen. So wir wir heute viel strenger sind mit der Frage, was bekommen wir als Gegenwert für unser investiertes Geld, so fragen wir heute auch viel strenger, was bekommen wir als Gegenwert für unsere investierte Zeit.

Klar, wir haben schon immer gesagt "Zeit ist Geld“. Aber haben wir es wirklich auch so gemeint? Ich glaube nicht. Hand auf´s Herz: Mit der Zeit sind wir schon immer viel sorgloser umgegangen als mit dem Geld. Nur die wenigsten von uns wären auf den Gedanken gekommen oder hätten es gewagt – heut noch genauso –, Firmengelder für irgendeinen unnötigen Schnicknack aus dem Fenster zu werfen. Schon allein aus Angst vor den Konsequenzen (Abmahnung, fristlose Kündigung). Mit der "Firmenzeit“aber sind wir sonderbarer Weise immer viel unbekümmerter umgegangen. Ja, ich sage ganz bewusst "Firmenzeit“, denn die Zeit zwischen 9 und 17 Uhr (oft länger) ist ja nicht unsere Zeit, sondern diese Zeit gehört streng genommen der Firma. Zeit ist Geld. Die Firma gibt uns Geld für unsere Zeit, damit wechselt die Zeit ihren Besitzer. Und genauso wie die Firmen heute – mit Recht – von uns verlangen, dass wir sehr bewusst mit dem Firmengeld umgehen, verlangen sie mit demselben Recht, dass wir viel bewusster mit der Firmenzeit umgehen.

Früher, in den "goldenen“ 1990er Jahren war das anders. Damals schien Geld in Hülle und Fülle vorhanden, und mit der Zeit war es genauso. Die Messen wie die CeBIT oder die Systems waren die besten Beispiele dafür. Zum einen die riesigen Messestände, Kathedralen geradezu, selbst die Distributoren bauten enorme Tempel mit 1.000 Quadratmetern und mehr. Und viele von uns reisten nach Hannover oder München allein aus dem Grund, um mal zu schauen, was es so Neues gibt. Man hatte ja Zeit. Und wenn ein Tag nicht reichte, hängte man eben einen zweiten dran.

Was für ein Unterschied zu heute! Die Messestände sind im Vergleich zu früher nur noch im Bonsai-Format. Und wer heute als Besucher auf eine Messe geht, der hat dafür wirklich einen handfesten Grund. In beiden Fällen fragt man sich viel schärfer als früher: Was bekomme ich für meinen Euro, was bekomme ich für meine investierte Stunde an Gegenwert zurück. Dass in der vergangenen Woche lediglich 6.000 Besucher auf die Systemsnachfolgeveranstaltung discuss&discover kamen, ist eine direkte Folge dieses ökonomischen Prinzips in unseren Köpfen: "Wenn ich einen Tag in diesen Messebesuch investiere, was bekommen ich dafür zurück, was ist der Return on Investment?“ Offensichtlich waren die meisten potenziellen Besucher der Ansicht: nicht genug, und blieben der Veranstaltung fern. Ich würde wetten: Vor zehn Jahren hätte die gleiche Veranstaltung (mit angepassten Themen natürlich) zehn mal mehr Besucher gehabt.

Trotzdem ist mein Eindruck, dass Zeit in vielen Firmen noch immer geringer geschätzt wird als Geld. "Zeit ist Geld“ ist oft eben doch nur ein Spruch. Wer fünf Euro aus der Firmenkasse klaut oder einen Aktenordner mitgehen läßt, der bekommt die fristlose Kündigung. Wer dagegen während der Arbeitszeit eine halbe Stunde mit den Kollegen über den letzten Bundesligaspieltag plaudert oder mit seiner Freundin telefoniert, bekommt höchstens einen Raunzer von seinem Vorgesetzten. Firmen wünschen sich Mitarbeiter, die wie Unternehmer denken. Aber sie vergessen zu oft zu sagen, was das heißt. Das Wichtigste ist der Umgang mit Geld und Zeit. Der Imperativ könnte lauten: "Gehe nicht nur mit dem Geld so um, als ob es dein eigenes wäre, sondern auch mit der Zeit, als ob sie deine eigene wäre.“

Übrigens: Ich bin mit dem ROI meiner gestrigen Reise zur Veranstaltung des Verbandes B. beim Distributor A. in S. durchaus zufrieden. Auch wenn sich der Ertrag nicht in geschriebenen Zeilen messen läßt.

Beste Grüße

Damian Sicking

Weitere Beiträge von Damian Sicking finden Sie im Speakers Corner auf heise resale. ()