c't 9/2018
S. 132
Test
Smartphones als Messgeräte
Aufmacherbild

Tricorder sind unter uns

Die besten Physik-Multisensor-Apps für Android und iOS

Wenn Mr. Spock für spontane Messungen seinen Tricorder aktiviert und die Daten an die Enterprise meldet, ist man bei Star Trek in einer fernen Zukunft. Aufgeklärte Smartphone-Besitzer bewerkstelligen solche Messungen schon heute.

Ein aktuelles Smartphone enthält weit mehr Sensoren als nur ein Mikrofon zum Telefonieren und einen Kamerachip für Handy-Fotos. Einige Fühler sind offenkundig wie die Fotozelle für die Helligkeitsanpassung des Displays oder der Lagesensor fürs automatische Drehen der Anzeige. Aber wussten Sie, dass manche Handys auch Luftdruck, Temperatur, Luftfeuchtigkeit und magnetische Feldstärke in der Umgebung messen können?

In den App-Stores von Apple und Google finden sich zahllose Apps, mit denen sich die Smartphone-üblichen Sensoren abfragen lassen. Einige dieser Apps stellen die wichtigsten Sensordaten unter einer gemeinsamen Bedienoberfläche zur Verfügung, sodass man den Zusammenhängen zwischen Umgebungsgrößen leicht nachgehen kann. Wir wollten wissen, was man von diesen Multisensor-Apps erwarten darf, und stellen die besten davon vor.

Wo ist oben?

Wie unterscheidet ein Handy zwischen oben und unten? Mit einer Federwaage: Ein kleines Gewicht ist innerhalb eines Mikrochips so gelagert, dass es sich gegen eine Federkraft in einer Richtung bewegen kann. Unmittelbar daneben liegt eine fixe Leiterbahn, die zusammen mit dem Gewicht so verdrahtet ist, dass beide zusammen den Kondensator eines RC-Glieds bilden. Wird das Handy bewegt, bewegt sich unter dem Einfluss der Beschleunigung auch das Gewicht und verändert die Kapazität des Kondensators. Das lässt sich über den Wechselstrom-Widerstand des RC-Glieds messen. Durch drei derartige Sensoren lassen sich die Kräfte in X-, Y- und Z-Richtung verfolgen, so wie im Screenshot zu Sensor Kinetics auf Seite 135 sichtbar. Die Vektorsumme der drei Komponenten ergibt dann die exakte Lotrechte, wenn das Handy nicht bewegt wird. Ansonsten gibt der Sensor anhand der gemessenen Kräfte Aufschluss über die zugehörigen Beschleunigungskomponenten. Außerdem taugt das Handy als Schwingungsmesser, wenn es die Beschleunigungswerte im zeitlichen Verlauf auswertet.

In einem Mikrochip-Accelerometer bilden die elastisch gelagerte blaue und die fixe grüne Komponente einen Kondensator, dessen Kapazität sich bei mechanischer Beschleunigung des Chips ändert.

Wie genau die Sensoren der drei Dimensionen aufeinander abgestimmt sind, lässt sich abschätzen, wenn man die Lage-Anzeige des Handys in unterschiedlichen Ausrichtungen mit der einer physischen Wasserwaage vergleicht. Wir fanden dabei in keinem Fall Abweichungen zwischen Handy und Wasserwaage.

Genau so wie der auch als Accelerometer bezeichnete lineare Beschleunigungsmesser funktioniert das Gyrometer zum Messen von Winkelbeschleunigungen – nur dass dabei in jeder Ebene kein linear verschiebbares Element zum Einsatz kommt, sondern ein drehbares ähnlich der Unruh einer mechanischen Uhr.

Wie hoch?

Smartphones können Höhe auf zweierlei Art messen. Zum einen liefert das GPS nicht nur Längen- und Breitengrad, sondern zum anderen auch absolute Angaben zur Höhe über dem Meeresspiegel. Diese sind aber wenig präzise und in Innenräumen mangels GPS-Empfang oft gar nicht zugänglich. Zum anderen ist Verlass auf die barometrische Höhenformel. Sie besagt in guter Näherung, dass der Atmosphärendruck bei einem Aufstieg um 8 Meter um 1 hPa sinkt. Diese sogenannte barometrische Höhenstufe hängt streng genommen von der Temperatur und vom Luftdruck ab – bei 30 °C und 3000 Meter über null beträgt sie 11,6 Meter. Trotzdem ist es etwa unter Piloten ein etabliertes Verfahren, sich beim Wetteramt nach dem aktuellen (fiktiven) Luftdruck auf Meereshöhe zu erkundigen und diesen Wert als Korrekturgröße im Höhenmesser einzustellen. Dann zeigt das Instrument den gemessenen Luftdruck gleich als Höhe über Normalnull an.

Der Screenshot zur App Phyphox ist nach einer Fahrstuhlfahrt entstanden. Er zeigt die gleichmäßigen Zu- und Abnahmen der Höhe, die daraus abgeleiteten Steig- und Sinkgeschwindigkeiten sowie die vertikale Beschleunigung bei jedem Anfahren und Anhalten des Fahrstuhls.

Fehlerfrei Nord

Die Himmelsrichtung ermitteln Handys, indem sie die X-, Y- und Z-Komponenten des umgebenden Magnetfelds messen und die Vektorsumme als die Richtung der Feldlinien zum magnetischen Nordpol interpretieren. Für die Messungen eignet sich zum Beispiel der nach Edwin Hall benannte Hall-Effekt. Nach diesem Ansatz misst man etwa die Magnetfeldkomponente in X-Richtung mit einem streifenförmigen elektrischen Leiter in der YZ-Ebene. Fließt darin ein Strom in Y-Richtung, baut sich proportional zur Stärke des Magnetfelds eine elektrische Spannung in Z-Richtung auf.

Der Deklinationsrechner des Deutschen GeoForschungsZentrums liefert für viele Städte ausführliche Magnetfelddaten.

Die magnetische Nord-Anzeige weicht aufgrund von zwei Störfaktoren – der Deklination und der Deviation – von der geografischen Nord-Anzeige ab. Die Deklination rührt von Unregelmäßigkeiten des Erdmagnetfelds und daher, dass der geografische Nordpol nicht mit dem magnetischen übereinstimmt.

Deklinationswerte für Deutschland variieren zwischen einem und dreieinhalb Grad und nehmen aktuell etwa alle sechs Jahre um ein Grad zu. An manchen Orten ist die Deklination deutlich größer, in New York City beträgt sie zum Beispiel 13 Grad. Navigationskarten enthalten am Kartenrand Angaben für die Deklination im abgebildeten Areal und im Jahr der Veröffentlichung. Für eine präzise Richtungsangabe muss man die ursprüngliche Kompassanzeige um diese Angaben korrigieren. Theoretisch könnten Smartphones das automatisch erledigen, indem sie die Deklination für den aktuellen Standort aus dem Internet abrufen. Eine Quelle für solche Informationen ist das Deutsche Geoforschungszentrum in Potsdam. Im Test fanden wir indes keine App, die tatsächlich so vorgeht. Einzelne Kompass-Apps, die sich Zugriff auf GPS-Daten und Netzwerk wünschen, nutzen dies lediglich zum Einblenden einer Landkarte.

Für die Deviation sind Magnete und Feldverzerrungen durch große Eisenmassen in der Kompassumgebung verantwortlich. Diesem Störfaktor können Nutzer eines konventionellen Kompasses nur entgehen, indem sie die Richtung weit ab von Permanentmagneten und großen Eisenmassen bestimmen. Anschließend können sie etwa für einen fest eingebauten Schiffskompass wenigstens den Kompassfehler aufgrund der fixen Metallteile für jede Himmelsrichtung in einer Devationstabelle notieren oder durch kleine Korrekturmagnete ausgleichen. Ein starker Permanentmagnet neben dem Kompass kann dessen Anzeige dann aber trotzdem in völligen Unsinn verwandeln.

Magnetisch Nord

Nutzer eines Smartphone-Kompasses wie eines iPhone mit der App Sensors Pro sind gegen solche Fehler auf magische Weise gefeit. Sie können ihre Gerät recht einfach kalibrieren, indem sie es einige Sekunden lang achtförmig bewegen. Danach können sie es mit aktivierter Kompass-Anzeige auf den Tisch legen und einen Permanentmagneten im Kreis darum herum führen. Das Display zeigt dann synchron dazu variierende Magnetfeld-Messwerte und eine Kompassrose, die mit stoischer Ruhe auf ihrer ursprünglichen Anzeige beharrt.

Magnetfeld-Messungen

Außer zur Ermittlung der Himmelsrichtung taugen Magnetfeldsensoren theoretisch auch für Handwerker, um den Verlauf elektrischer Leitungen zu erschnüffeln. Wir haben das mit vielen Apps überprüft, indem wir das Handy im Kreis um eine Steckdose oder einen Lichtschalter geführt haben. In den meisten Fällen zeigte sich dabei eine Signaländerung, die war aber jedes Mal so vage und schlecht reproduzierbar, dass wir uns danach nicht sicher waren, ob die Stromleitung waagerecht oder senkrecht von der Steckdose wegführte. Auch die Frequenzanalyse des Magnetfelds, wie sie Phyphox anbietet, war wenig ergiebig. Selbst neben mäßig starken regelbaren Elektromotoren wie in einer Standbohrmaschine konnten wir günstigstenfalls die Netzfrequenz identifizieren – und das mit reproduzierbaren Werten zwischen 49,5 und 49,8 Hz. Diese Werte liegen freilich signifikant neben dem, was man von der Netzfrequenz weiß: Diese dient ja mit dem Sollwert von 50,0 Hz als Zeitnormal für Hunderttausende Uhren, die normalerweise nicht um mehr als ein halbes Prozent nachgehen.

Warm und feucht

Smartphone-Angaben über Temperatur und Luftfeuchtigkeit haben uns Vorsicht gelehrt. Insbesondere die Luftfeuchtigkeit – ein wichtiger Maßstab für ein gutes Raumklima – stellt aktuelle Smartphone-Modelle vor Probleme. Die meisten unserer Testkandidaten haben diese Messgröße gar nicht im Repertoire, und bei anderen wie Sensor Kinetics lasen wir bei Testgeräten wie Samsung Galaxy S5 mini, Galaxy Note 8 oder Huawai P10 immer nur „Sensor nicht vorhanden“.

Logisch: Eine App kann nur solche Sensoren auslesen, die im Handy vorhanden sind. Welche das sind, ist jedoch im Voraus gar nicht so leicht festzustellen. In den meisten Handys gibt das Betriebssystem darüber keine Auskunft. Auch in den Herstellerspezifikationen sucht man diese Information in den meisten Fällen vergeblich. Uns brachte erst die Vermutung weiter, dass Feuchtigkeitssensoren im Innern der aktuellen, wassergeschützten Geräte gar keinen Sinn ergäben. Das veranlasste uns, die Luftfeuchtemessung mit dem älteren, nicht wasserdichten Samsung Galaxy S4 zu versuchen. Der Test lieferte tatsächlich reale Messwerte, die nach einigen Minuten Einstellzeit bis auf wenige Prozent mit den Angaben der Klimaregelung in einem kontrollierten Funktionsraum übereinstimmten. Aber Vorsicht! Mehrere – hier nicht vorgestellte – Apps meldeten uns auf Anhieb irgendeine Luftfeuchte, die sie entweder im Internet von einer nahe gelegenen Wetterstation erfragt hatten, oder gar einen Fantasiewert.

Hell und farbig

Einige unserer Testkandidaten äußern sich über die Umgebungsbeleuchtung. Die in Lux angegebene Beleuchtungsstärke beschreibt den am Sensor auftreffenden Lichtstrom pro Flächeneinheit in Lumen/m2. Der Lichtstrom wiederum entspricht der Strahlungsleistung in Watt, wobei allerdings im Idealfall die einzelnen Frequenzanteile mit der Empfindlichkeit des menschlichen Auges für die jeweilige Farbe gewichtet werden.

Wir haben die Angaben der verschiedenen Apps und Handys bei unterschiedlichen Beleuchtungen durch Tageslicht und Warmton-Leuchtstoffröhren miteinander verglichen. Zwischen diesen Werten fanden wir keine signifikanten Unterschiede.

Zwei Apps liefern noch weitere Informationen zur Beleuchtung: Die Smart Tools von PC Mehanik liefern einen RGB-Wert für ein Objekt, das man mit der Handy-Kamera anvisiert.

GPS Status Pro berichtet über die Farbtemperatur, das ist ein Maß für die Spektralverteilung des Lichts. Die App analysiert dafür das Licht, welches der Helligkeitssensor registriert. Auch bei abgedeckten Kameralinsen zeigt sie auf dem Galaxy S4 im prallen Wintersonnenlicht etwa 4500 K sowie 2600 K für die Weißlichtquelle unseres Fotostudios und im diffusen Tageslicht – beides sind plausible Werte. Offenbar kann also der Helligkeitssensor in diesem Handy zwischen unterschiedlichen Farben differenzieren.

Tabelle
Tabelle: Multifunktions-Apps zur Physik

Bei den meisten der versprochenen Messfunktionen lieferten unsere Testkandidaten brauchbare Messergebnisse. Diese sind in der Regel gut genug für viele Alltagsaufgaben, wenn auch sicher nicht für gerichtsfeste Gutachten. Selbst wenn manche Mess-Absichten mangels passender Sensoren auf dem verwendeten Handy scheitern müssen, ergeben sich allemal prägnante Aha-Erlebnisse zu den erfassten Umweltbedingungen. Erfolgsaussichten lassen sich meist schon mit den Gratis-Versionen der Apps abschätzen, und selbst wenn nicht, geht man bei den kleinen Preisen der Vollversionen kein großes Risiko ein.

Fazit

Insbesondere Phyphox verweist zudem auf gelungene Anleitungen für eigene Experimente. Manche dieser Anleitungen lassen sich freilich auch mit anderen Apps umsetzen – mit Toolbox pro erhält man dafür eine besonders schicke Bedienoberfläche.

Die Apps SensorLog und Sensors pro bewähren sich am besten, wenn man unterwegs Messungen durchführt und die exportierten Messdaten später am PC auswerten möchte. Smart Tools von PC Mehanik entpuppt sich sogar im Vergleich mit vielseitigen anderen Apps als wahre Wundertüte voller Sonderfunktionen. Fast genauso vielseitig ist GPS Status pro – und noch aussagekräftiger in Sachen GPS-Empfang. (hps@ct.de)