c't 17/2021
S. 118
Wissen
Online-Wahlwerbung
Bild: Thorsten Hübner

Wähler-Zielvorrichtung

Personalisierte Online-Wahlwerbung: Transparent ist nur der Wähler

Das Geschäft mit politischen Anzeigekampagnen auf Facebook und YouTube läuft prächtig – trotz der Skandale um Manipulation und Versuche, bestimmte Gruppen vom Wählen abzuhalten. Auch im Vorfeld der diesjährigen Bundestagswahlen investieren die Parteien kräftig in Online-Wahlkampf und datengestützte Hausbesuche.

Von Andrea Trinkwalder

Eine halbe Milliarde US-Dollar hatten Joe Biden und Donald Trump insgesamt anlässlich der US-Präsidentschaftswahlen in die Werbenetzwerke von Facebook und Google gepumpt – so viel wie nie zuvor. Denn auf den Social-Media-Plattformen finden Wahlstrategen perfekte Bedingungen, um maßgeschneiderte Botschaften an fein justierte Zielgruppen auszuspielen, die dafür besonders empfänglich sind.

Bürgerrechtler und Wissenschaftler halten solch extreme Formen des Wähler-Targetings für demokratiegefährdend, insbesondere angesichts der undurchschaubaren Empfehlungsalgorithmen von Facebook, Google & Co., die automatisiert eine Melange aus Nachrichten, privaten Posts und Werbung zusammenrühren und in allzu homogener Form als „Newsfeed“ präsentieren. Skandale um Datenmissbrauch (Cambridge Analytica), Fake News und gezielte Werbekampagnen, die Afroamerikaner und Frauen vom Wählen abhalten sollten, setzten die Konzerne nach den US-Wahlen 2016 und dem Brexit-Votum gehörig unter Druck. Die daraufhin gestarteten Transparenzoffensiven sowie Maßnahmen gegen Hass und Desinformation sind in den Augen der Kritiker allerdings rein kosmetischer Natur.

Auch deutsche Parteien verlagern die Werbung zunehmend ins Netz und analysieren Daten, um ihre begrenzten personellen und finanziellen Mittel dort einzusetzen, wo es sich lohnt: bei der eigenen Klientel nebst sympathisierenden Wechselwählern. Bereits 2017 experimentierten Kampagnenführer anlässlich der Bundestagswahl mit Microtargeting und datengestützten Hausbesuchen – allen voran die CDU und SPD, aber auch FDP, CSU und Grüne. Wir haben uns angesehen, welche Möglichkeiten Facebook und Google den politischen Organisationen hierzulande bieten und welche Grenzen ihnen gesetzt sind. Einige Akteure verzichten freiwillig darauf, das theoretisch Machbare voll auszuschöpfen. Bleibt die Frage, wie gut sich deren Verhalten überhaupt kontrollieren lässt.

Ohnmacht online

Verglichen mit Rundfunk und Presse ist die Online-Werbung ein gesetzlich weitgehend unreguliertes und undurchschaubares Feld. Zwar müssen sich Werbetreibende bei Google und Facebook mittlerweile registrieren, einen Sitz innerhalb der EU nachweisen und politische Anzeigen kennzeichnen, Details dazu siehe ct.de/ymtz. Anders als in Verlagen bekommt deren Inhalt vor der Veröffentlichung jedoch kein Mensch zu Gesicht, sondern nur ein Algorithmus.

Inhaltlich unterzieht Facebook nur normale Accounts einem Faktencheck; Politiker und politische Werbung bleiben davon unbehelligt. Auch Google akzeptiert in Werbung verpackte Lügen, während Twitter keine politische Werbung mehr schaltet, aber den Politikern selbst das Verbreiten von Halb- und Unwahrheiten weiterhin zubilligt. Dies rechtfertigen die Social-Media-Konzerne mit dem Argument, dass sich Bürger selbst eine Meinung über die Parteien und ihre Protagonisten bilden sollen. Die Konzerne wollen sich nicht anmaßen, wie ein Richter über wahr und falsch zu entscheiden.

Mit Facebook Dynamic Ads testet die CDU offenbar, wie unterschiedliche Anzeigenmotive bei unterschiedlichen Zielgruppen ankommen.

Kritiker halten die Meinungsfreiheit für ein vorgeschobenes Argument, um das Geschäftsmodell zu retten. Sie geben zu bedenken, dass sich politische Akteure online sehr erfolgreich der öffentlichen Kontrolle entziehen können. Darüber hinaus erlauben die globalen Werbenetzwerke ein Ausmaß an zielgruppenspezifischer Ansprache, wie es via Rundfunk und (Online-)Presse nie denkbar wäre. Bekommen Wähler darüber nur noch maßgeschneiderte Werbebotschaften zu sehen, denen sie zustimmen würden, blieben Beschwerden und Diskussionen über potenziell bedenkliche und demokratiegefährdende Inhalte aus.

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