c't 2/2021
S. 14
Titel
Trends 2021
Bild: Andreas Martini

Trends 2021

Welche Technik-Trends auf uns zukommen

Greifroboter übernehmen Logistikjobs, ­Sicherheitschips beschränken die Freiheit der IT-Nutzer, Satelliten bringen weiße Flecken ans Netz und das Homeoffice wird zur neuen Chance für Virtual Reality: wie Technik in den nächsten Jahren unseren Alltag und unsere ­Gesellschaft prägen wird.

Von Jan-Keno Janssen und Christian Wölbert

Geht es ums Greifen, sind Menschen den Maschinen noch überlegen. Homo sapiens kann mühelos die unterschiedlichsten Objekte in die Hand nehmen, ohne sie zu zerquetschen oder fallen zu lassen. Doch die Betonung liegt auf „noch“: Es fehlt nicht mehr viel, bis Roboter zum Beispiel in den Lagerhallen von Amazon die Regale ein- und ausräumen. Und die Menschen, die das bisher tun? Die übernehmen dann vielleicht abwechslungsreichere Tätigkeiten – müssen aber eventuell auch um ihre Jobs zittern.

Greifroboter sind ein Beispiel dafür, wie Technik unsere Welt in den nächsten Jahren verändern wird. Auf solche Trends konzentrieren wir uns in den Artikeln dieser Strecke. Ab Seite 24 erklären wir, wie Google und Amazon Roboter mit maschinellem Lernen und räumlichem Sehen zu effizienten Greifern ausbilden.

Amerikanische Tech-Riesen treiben auch auf anderen Gebieten den Rest der Welt vor sich her. So kontrollieren Google, Apple und bald auch Microsoft mit Sicherheitschips, welche Software auf PCs und Smartphones läuft. Das sorgt einerseits für mehr Sicherheit, gefährdet andererseits aber die Entscheidungsfreiheit von Nutzern und letztlich auch die digitale Souveränität Europas (S. 18).

Gleichzeitig webt Elon Musks Raumfahrtkonzern SpaceX in 550 Kilometern Höhe ein Netz aus 30.000 Satelliten, das auch die letzten weißen Flecken breitbandig und latenzarm ins Netz bringen soll (S. 22). Eine Etage tiefer vermessen Google und Microsoft die Erdoberfläche neu, weil die betagten GPS-Satelliten für künftige Anwendungen nicht präzise genug arbeiten, etwa für Augmented Reality. Jeder Baum und jedes Haus wird zentimetergenau in einer dreidimensionalen Karte eingetragen (S. 28).

Vorreiter war Elon Musk auch bei dem Trend, Sonderausstattungen für Autos übers Internet zu verkaufen und direkt freizuschalten: Die benötigte Hardware ist nämlich schon eingebaut. Nun zieht die deutsche Autoindustrie nach, was allerdings nicht jedem Kunden gefallen dürfte (S. 30). Rundum positive Entwicklungen gibt es aber auch: Kryptowährungen werden umweltfreundlicher, weil bei Bitcoin der Anteil der erneuerbaren Energien steigt und die Ethereum Foundation das stromfressende Mining komplett hinter sich lassen will (S. 26).

Homeoffice bleibt

Doch nicht immer ist es der technische Fortschritt, der Veränderungen anstößt. Die Coronapandemie hat unseren Alltag schneller und massiver umgewälzt, als es Big Tech vermochte.

Für Wissensarbeiter werden diese Umwälzungen dauerhaft sein. Das Home­office bleibt auch nach dem Lockdown bestehen, da sind sich die meisten Experten einig. Der IT-Verband Bitkom prognostiziert, dass nach der Pandemie 35 Prozent aller berufstätigen Deutschen zumindest tageweise zu Hause arbeiten werden, doppelt so viele wie vor Corona. Auch Bill Gates ist sich sicher, dass die Zeit nicht mehr zurückgedreht wird: „Meine Prognose wäre, dass mehr als 50 Prozent der Geschäftsreisen und 30 Prozent der Bürotage wegfallen“, sagte er im November.

Bitkom, repräsentative Telefonbefragung von 1503 Erwerbstätigen im Oktober und November 2020, Frage: „Welche negativen Erfahrungen haben Sie im Homeoffice gemacht?“

Aktuelle Umfragen des IT-Verbands Bitkom sowie des Fraunhofer-Instituts für Angewandte Informationstechnik (FIT) zeigen, dass die meisten Wissensarbeiter sich zu Hause zufriedener und produktiver einschätzen als im Büro. Doch dieselben Umfragen zeigen auch Nachteile: Der Mehrheit der Befragten fehlt der Kontakt zu Kollegen, der spontane Austausch. Auch Kreativsitzungen in größerer Runde werden vermisst. 

Technik für die Zukunft der Arbeit

Kann Technik diese Probleme lösen? Und wenn ja – welche Technik? 

Ein naheliegender Ansatz sind Headsets, Webcams und große Bildschirme, die für besseren Ton und Bild in Videokonferenzen sorgen als ein Notebook. Wichtigster Vorteil: Das Hirn muss weniger Energie aufwenden, Worte und Mimik des Gegenübers zu rekonstruieren. Gespräche werden dadurch weniger anstrengend und vielleicht auch spontaner, natürlicher. 

Firmen wie Cisco preisen auch spezielle Videokonferenzsysteme mit großen Displays und Mikrofon-Arrays an. Die Nachfrage nach den Geräten sei in den letzten Monaten steil angestiegen, sagt Anton Döschl, Deutschland-Chef der Collaboration-Sparte gegenüber c’t. „Unternehmen schaffen jetzt geordnet die Voraussetzungen für hybrides Arbeiten.“

Doch selbst die Spezialscreens dürften ein Problem der Videokonferenzen nicht lösen: das fehlende Präsenzgefühl. Sobald mehr als vier, fünf Leute dabei sind, schalten nach ein paar Minuten die ersten innerlich ab.

Neue Chance für VR

Manche Unternehmen experimentieren deshalb bereits mit Meetings in der virtuellen Realität. Was wie Zukunftsmusik klingt, funktioniert bereits erstaunlich gut: Man vergisst deutlich schneller als in einem Videocall, dass das Treffen nur in der digitalen Welt stattfindet. Eine wichtige Rolle spielt dabei, dass VR-Headsets auch sehr guten 3D-Ton liefern. Und wer die Brille auf dem Kopf hat, kann nicht nebenher mit dem Handy herumspielen.

Software für VR-Meetings schießt zurzeit wie Pilze aus dem Boden. Neben kleinen Entwicklern wie MeetinVR, Glue, BigScreen VR oder Spatial bieten auch große Player Lösungen an. Microsoft hat 2017 den VR-Meeting-Pionier Altspace übernommen, Facebook arbeitet am Riesenprojekt Horizon, das aus der Meeting-Software Spaces hervorging.

Meetings in VR-Apps wie Spatial vermitteln ein starkes ­Präsenzgefühl, doch die Mimik fehlt.
Bild: Spatial

In den Apps kann man zum Beispiel gemeinsam 3D-Objekte anschauen und per Handbewegung weitergeben, Videos oder Websites anschauen, auf virtuellen Whiteboards herummalen – oder sich auf den Mond teleportieren, denn die VR-Umgebung muss ja nicht zwingend einen langweiligen Konferenzraum nachbilden.

Ohne Mimik

Doch auch wenn einige Unternehmen bereits mit VR-Konferenzen arbeiten, wirkt die Technik noch nicht reif für den Mainstream. Zu viele Menschen stören sich noch an den nach wie vor klobigen Brillen.

Ebenfalls problematisch ist die Hardware-Auswahl: Zwar gibt es viele PC-Headsets, die erfordern aber alle einen teuren Gaming-PC. Bei autarken VR-Brillen hat Facebook ein Quasi-Monopol, außerdem müssen die Geräte zwingend mit einem Facebook-Account gekoppelt werden. 

Das größte Problem ist jedoch die fehlende Mimik: VR-Avatare können zwar den Mund beim Sprechen bewegen, doch andere Bewegungen im Gesicht fehlen. Kameras in den Headsets sollen das Problem lösen, aber bislang gibt es das erst im Labor, nicht in fertigen Produkten.

Vielleicht ist auch gar keine Hardware wie Videokonferenzsysteme und VR-Brillen nötig, um die Kommunikation im Home­office zu verbessern. Auch Software könne dabei helfen, sagt Wolfgang Prinz vom Fraunhofer-Institut für Angewandte Informationstechnik (FIT).

Unsoziale Anwendungen

Gängige Anwendungen wie Teams, Zoom, Google Docs oder Slack seien eher „für verteiltes Arbeiten“ entwickelt worden, meint er. Also für Angestellte, die auf unterschiedlichen Bürofluren oder an getrennten Standorten sitzen – jedoch nicht für Menschen, die allein zu Hause hocken. 

Aus Sicht des Wissenschaftlers fehlt im Homeoffice deshalb noch die „Gruppenwahrnehmung“. Man müsse wissen, was die Kollegen gerade tun, um seine eigene Arbeit an die Aktivitäten der Teammitglieder anpassen zu können, wenn zum Beispiel an gemeinsamen Projekten gearbeitet wird. Wichtig sei dieses Wissen auch, um zu erahnen, ob gerade ein guter Zeitpunkt ist, Kollegen zu stören, oder ob man sie aus einem anderen Kontext herausreißt. „Wir sehen in der Software bestenfalls eine grüne Präsenzanzeige, aber das reicht nicht aus.“

Prinz’ Institut entwickelte schon in den Neunzigerjahren eine Anwendung, die aus Metadaten eine Art Landkarte generierte, die anzeigte, welche Teammitglieder gerade an welchen Projekten arbeiten. In dieser Welt konnte man frei navigieren. Trafen sich zwei Mitarbeiter auf einem Feld, wurde automatisch eine Videokonferenz gestartet. „Ich glaube, das ist ein Prinzip, das jetzt wieder spannend wird“, meint Prinz. Die Anzeige dürfe aber natürlich nicht den Datenschutz verletzen und in Leistungskontrolle ausarten.

Als aktuelles Beispiel für Gruppen­präsenz sieht Prinz die Videokonferenzanwendung Wonder: Sie zeigt ebenfalls eine Art Landkarte mit Themenräumen, über die man seinen Avatar bewegen kann. Treffen sich zwei oder mehr Personen, startet sofort eine Videokonferenz.

Im Idealfall sollten die Informationen zum Status des Teams unaufdringlich im Hintergrund visualisiert werden, meint Prinz. Zum Beispiel auf dem Smartphone, auf einem speziellen Bildschirm oder vielleicht mit einer Augmented-Reality-Brille. „Da brauchen wir noch gute Ideen.“

Dass Menschen in größeren Videokonferenzrunden schnell innerlich abschalten, sei hingegen nicht unbedingt ein Problem, sagt der Fraunhofer-Forscher. „Vielleicht ist das sogar gut. So kann man unnötige Meetings wenigstens produktiv nutzen.“ (cwo@ct.de)

Videokonferenz-Anwendung Wonder: Treffen sich Avatare in einem Raum, startet automatisch ein Gespräch.
Bild: Wonder

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