c't Jahresrückblick 2022
S. 66
Hardware
Smartphones

Gekommen, um zu bleiben

Pixel, Watt und Foldables: Die Smartphone-Trends des Jahres

Smartphones sind ausentwickelt, langweilig und sowieso auf dem absteigenden Ast? Mitnichten, auch in diesem Jahr haben sich die nicht immer ganz so kleinen Alleskönner beeindruckend weiterentwickelt – und ein Ende ist nicht in Sicht.

Von Steffen Herget

Smartphones sind für viele Menschen unverzichtbar, weil sie immer mehr andere Geräte in sich vereint haben: Sie sind Kompaktkameras, Navis und Diktiergeräte in einem, obendrein noch MP3-Player, Terminplaner und Notizblock, Spielkonsole für unterwegs und allwissendes Nachschlagewerk. Die Zeit der großen technischen Sprünge zwischen Modellgenerationen ist zwar vorüber, selbst günstige Modelle schaffen die wichtigsten Aufgaben und reichen für den Alltag meist locker aus. Doch im Smartphone steckt nach wie vor viel Potenzial, das die Hersteller freisetzen wollen, indem sie ihre Geräte ständig weiter verfeinern und besser machen.

Die technische Weiterentwicklung packen die Unternehmen nicht ohne Grund an: Die Märkte gelten als weitestgehend gesättigt, der Kampf um die Kundschaft tobt deshalb umso härter. Dass Newcomer es da schwer haben, ist eine Erfahrung, die unter anderem die Marken der chinesischen BBK-Gruppe in diesem Jahr machen mussten: Oppo und Vivo investieren hohe Summen als Sponsor von Fußball-Events – Oppo in der Champions League, Vivo bei der Welt- und Europameisterschaft –, kommen aber in Sachen Marktanteil kaum vom Fleck. Auch Realme, eine weitere Marke von BBK, tut sich schwer, in Deutschland Fuß zu fassen. Oppo kämpft zudem mit einem gewaltigen Klotz am Bein, denn ein Patentstreit mit Nokia führte dazu, dass Oppo-Smartphones in Deutschland seit August nicht mehr verkauft oder beworben werden dürfen. Zum Redaktionsschluss dieses Artikels gab es in dem milliardenschweren Zwist zwischen beiden Unternehmen noch keine Einigung.

Ein anderes Unternehmen hat unterdessen mit seinem allerersten Smartphone überhaupt direkt für jede Menge Wirbel gesorgt, und das ganz ohne technische Bestmarken: Das Nothing Phone (1) hat es geschafft, mit einem individuellen Design und einer zwar teils ziemlich nervigen, aber unter dem Strich sehr erfolgreichen Marketingkampagne einen Fuß in die Tür zu bekommen. Sogar die Telekom hat das Phone (1), eigentlich ein schnödes und für die Hardware zu teures Android-Smartphone der Mittelklasse [1], ins eigene Sortiment aufgenommen. Das ist durchaus beachtlich und zumindest ein deutlicher Hinweis darauf, dass es nach wie vor Aspekte gibt, mit denen ein neuer Name aus dem Einheitsbrei hervorstechen kann.

Mit der transparenten Rückseite und den Leuchtelementen fällt das Nothing Phone (1) auf. Hinter der Marke steckt der OnePlus-Gründer Carl Pei.
Mit der transparenten Rückseite und den Leuchtelementen fällt das Nothing Phone (1) auf. Hinter der Marke steckt der OnePlus-Gründer Carl Pei.

Übrigens: Der starke Mann bei Nothing ist kein Unbekannter in der Technikbranche. Carl Pei, Gründer und ehemals Chef von OnePlus, hat es mit Nothing bereits zum zweiten Mal geschafft, einen Neuling in den Markt zu drücken. Ob der Erfolg von Dauer ist, wird sich noch zeigen müssen und ist alles andere als sicher.

Bei Foldables hat Samsung leichtes Spiel

Bei Faltsmartphones hat sich eine Menge getan, allerdings gibt es hier einen Haken: An einige der spannendsten Modelle kommen interessierte Käufer in Europa auf den offiziellen Verkaufswegen gar nicht, die Geräte werden ausschließlich in Asien verkauft. Zu diesen Foldables, die man nur mit einem gewissen Risiko über Importhändler bestellen kann, zählen etwa das Vivo X Fold+, das Xiaomi Mix Fold 2 oder das Oppo Find X. Auch Motorola brachte das neue Razr zunächst in China in die Läden, hat einige Zeit später aber in Deutschland nachgezogen. Zwar gehört Motorola zum chinesischen Lenovo-Konzern, hält dort aber anders als in den USA und Europa kaum relevante Marktanteile.

Dass einige Hersteller ihre Smartphones nicht oder nur arg verspätet hierzulande auf den Markt bringen, führt dazu, dass Samsung bei den Foldables in Deutschland quasi konkurrenzlos ist [2]. Eine angenehme Situation für die Koreaner, die mit der vierten Generation von Fold und Flip nur sanfte Modellpflege betreiben mussten. Die Faltsmartphones sehen ihren Vorgängern zum Verwechseln ähnlich, halten dank größerer Akkus und höherer Energieeffizienz aber länger durch und nähern sich in diesem Punkt Smartphones herkömmlicher Bauart immer mehr an.

Auch wenn die meisten Hersteller ihre Faltsmartphones hierzulande noch nicht anbieten, haben die Foldables eine Nische für sich geschaffen. Sie sind alltagstauglich geworden und haben sich von einem Experiment zu einer etablierten Produktkategorie entwickelt, die ihre Daseinsberechtigung hat. Zwei große Namen haben daran aber offenbar noch Zweifel: Apple und Google machen weiterhin einen Bogen um Foldables, auch im Jahr 2022 bekamen Fans keine offizielle Ankündigung über ein Pixel Fold oder ein faltbares iPhone zu hören.

Apple streicht die SIM-Karte

Apples iPhone 14 [3] mag derweil äußerlich kaum von seinem Vorgänger zu unterscheiden sein, geht aber anderswo neue Wege. Es kann alternativ zur klassischen Mobilfunkkommunikation auch Kontakt zu Satelliten aufnehmen. Diese Funktion, die auch Huawei dieses Jahr ankündigte, soll bei Notfällen im Funkloch noch die Möglichkeit schaffen, Notrufe abzusetzen. Das werden die allermeisten Menschen zwar nie benötigen, technisch spannend ist der Satellitenfunk jedoch allemal. Schade, dass Apple ihn zunächst nur in Nordamerika implementiert.

Vorerst ausschließlich in den USA und Kanada macht Apple einen Schnitt: Beim iPhone 14 hat Apple den SIM-Kartenschacht gestrichen und setzt komplett auf die programmierbare eSIM. Klar, ohne SIM-Schublade spart man Platz im engen Gehäuse und Kosten, opfert aber die Flexibilität, etwa im Ausland flugs eine lokale SIM zu kaufen und ins Handy zu stecken. Das geht einfacher als eine eSIM zu installieren oder von einem Gerät auf ein anderes zu übertragen. Apples Argument, der SIM-Slot brauche zu viel Platz, erweist sich beim Auseinandernehmen des iPhone 14 zudem als vorgeschoben: Anstelle der SIM-Schublade steckt im amerikanischen Modell ein funktionsloser schwarzer Klotz aus Kunststoff. Die Beschränkung auf die eSIM als einzige Option ist ein radikaler Kurswechsel, bei dem es noch dauern dürfte, bis er von anderen Smartphoneherstellern aufgenommen wird – wenn überhaupt.

Samsung hat mit dem Galaxy Z Fold4 (links) und dem Galaxy Z Flip4 (rechts) den deutschen Markt fest im Griff. In China gibt es deutlich mehr Konkurrenz bei den Foldables.
Samsung hat mit dem Galaxy Z Fold4 (links) und dem Galaxy Z Flip4 (rechts) den deutschen Markt fest im Griff. In China gibt es deutlich mehr Konkurrenz bei den Foldables.

Mehr Megapixel auf größerer Sensorfläche

Das nächste Megapixelrennen bei Kameras ist in vollem Gange. Top-Modelle schießen Videos in 8K und Bilder mit über 100 oder gar 200 Megapixeln. Selbst Einsteigergeräte trauen sich kaum mit weniger als 50 Megapixeln vor die Tür. Diese hohen Auflösungen spucken die Smartphones aber in aller Regel gar nicht aus, zumindest nicht in der Standardeinstellung. Pixel Binning sorgt vielmehr dafür, dass die Informationen aus mehreren Bildpunkten zusammengerechnet werden, um die Qualität des Fotos zu verbessern, das dann meist doch wieder nur 12 Megapixel groß ist, aber besser aussieht als mit einem niedriger auflösenden Sensor. In diesem Sinne stellt das also doch einen Fortschritt gegenüber der Marschroute „Mehr Pixel gleich besseres Foto“ dar, die die Hersteller in den 2010er-Jahren ausgerufen hatten.

Während die Kamerasoftware für Smartphonefotos eine enorme Rolle bei der Bildqualität spielt, lässt sich die Physik nicht überlisten. Handfeste Vorteile bringt unterdessen die Vergrößerung der Fläche der Bildsensoren. Größere Sensoren fangen mehr Licht ein, erzeugen weniger Bildrauschen und können für ein leichtes optisches Bokeh, also eine Tiefenunschärfe, sorgen, ohne dass man per Software künstlich nachhelfen muss.

Einige wenige Geräte besitzen Sensoren der Ein-Zoll-Klasse, die auch in klassischen Kompaktkameras eingebaut sind, beispielsweise das Xiaomi 12S Ultra [4]. Die Kamera des Xiaomi-Smartphones hat im Test gezeigt, dass sie es dank des großen Sensors gar mit manchen APS-C-Kameras aufnehmen kann, zumindest in einigen Situationen. Zwar trifft die Kamerasoftware nicht immer ins Schwarze, was die Bildbearbeitung angeht, doch der Detailreichtum der Bilder und die Tiefenschärfe beeindrucken. Im Jahr 2023 dürften weitere Hersteller auf den Zug aufspringen und größere Bildsensoren in ihre Smartphones einbauen, vor allem in den Flaggschiffen. Gerade bei der Kamera, nach wie vor einer der wichtigsten Aspekte bei der Kaufentscheidung, gilt es für die Hersteller, mit der technischen Entwicklung schrittzuhalten.

Die EU-Kommission macht Druck

Kommen die Fortschritte bei den Kameras von den beteiligten Unternehmen selbst, muss an anderer Stelle vonseiten der Gesetzgebung nachgeholfen werden. Die EU-Kommission hat im Oktober die Weichen gestellt für eine Vereinheitlichung beim Ladeanschluss, die vor allem Apple sauer aufstoßen dürfte. Vorbehaltlich der als sicher geltenden Zustimmung der Parlamente der Mitgliedsstaaten soll der USB-C-Anschluss zur Pflicht werden. Während selbst günstige Android-Handys inzwischen quasi durch die Bank einen USB-C-Port besitzen und Apple alle iPads damit ausstattet, hält die Firma bislang beim iPhone am proprietären Lightning-Stecker fest. Nun werden wohl bald auch diese folgen müssen – falls Apple nicht auf andere Ideen kommt, etwa den kompletten Verzicht auf Kabel zugunsten von Induktion und Funk.

Apple streicht bei den neuen iPhones in Nordamerika die SIM-Schublade – mit einem vorgeschobenen Argument. Bei den Softwarefeatures inspirieren sich Apple und Google gegenseitig.
Apple streicht bei den neuen iPhones in Nordamerika die SIM-Schublade – mit einem vorgeschobenen Argument. Bei den Softwarefeatures inspirieren sich Apple und Google gegenseitig.

Mit dem Ladeanschluss hängt ein Aspekt zusammen, bei dem Samsung, Apple und Google der Konkurrenz aus China massiv hinterherhinken: die Geschwindigkeit beim Aufladen. Während Galaxy- oder Pixel-Smartphones und die iPhones mit schlappen 25, 30 Watt anderthalb Stunden am Ladekabel hängen, sind andere Smartphones nach nicht einmal zwanzig Minuten wieder voll geladen – wohlgemerkt von null auf hundert Prozent. Netzteile mit 120 Watt pressen die Energie beeindruckend schnell in die Zellen, dank aufwendiger Schutzmechanismen werden die Akkus dabei auch nicht übermäßig heiß. Bereits auf dem Mobile World Congress im Februar setzte sich Oppo zum Ziel, schon bald die 200-Watt-Grenze beim Laden zu reißen. Davon sind die Marktführer noch weit entfernt.

Das Duopol der Smartphonebetriebssysteme ist nach wie vor ungebrochen, neben Android und iOS gibt es keine andere Plattform mit relevantem Marktanteil. Weltweit betrachtet treibt Android laut aktuellen Zahlen von Statista über 71,5 Prozent aller Mobiltelefone an, iOS läuft auf knapp 28 Prozent. Beide Systeme nähern sich einander mit ihren Features immer mehr an, böse Zungen würden sagen: kopieren vom jeweils anderen und sich dafür feiern. Apple präsentierte bei der Vorstellung von iOS 16 stolz das Always-on-Display und die automatische Unfallerkennung – beide Funktionen sind für Android-Nutzer längst ein alter Hut. Google wiederum hat nun auch einen Kino-Modus für Videoaufnahmen und (wieder) eine Gesichtserkennung, wie sie Apple-Nutzer seit Jahren verwenden.

Während nahezu alle Smartphones auch in unteren Preisklassen die Grundfunktionen beherrschen, setzen sich vor allem die teuren Top-Modelle durch unterschiedliche Schwerpunkte ab. Superhohe Kameraauflösung hier und megaschnelle Akkuladung dort markieren wichtige Entwicklungen, faltbare Displays und neuartige Designs sorgen für Abwechslung. Allen derzeitigen Krisen und zum Zerreißen gespannten Lieferketten zum Trotz: Das Smartphone-Rad dreht sich weiter, ein Ende ist nicht in Sicht. (sht@ct.de)

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