c't 5/2022
S. 3
Standpunkt

E-Book-Reader: Forever young, forever dumm

Es war so um 2009, als ich meinen ersten E-Book-Reader als neues Haushaltsmitglied in den Händen hielt. Was war ich froh! Kein Übergepäckzuschlag mehr für die Urlaubslektüre im Koffer und den Gang zum Buchladen konnte ich mir auch sparen – so glaubte ich. Zugegeben: Die Typografie der Bücher war grauenhaft, das Blättern ging arg gemächlich vonstatten. Bücher mit der eingebauten Shop-App zu kaufen erforderte die Langmut eines Wasserbüffels und wenigstens so viel Zeit wie ein Ladenbesuch – die Hin- und Rückfahrt inklusive. Aber, hey, der Fortschritt wird die Kinderkrankheiten schon austreiben!

13 Jahre später. Säuglinge von damals wären jetzt rotznasige Teens – aufgewachsen in einer Zeit erstaunlicher Evolutionen wie der vom Handy zum Smartphone. Und wie diese hat auch die E-Book-Welt einen Geburtsfehler, die Zwangsbindung an den Verkäufer.

Doch während bei Smartphones die Ketten der SIM-Locks längst gesprengt sind, leiden E-Book-Reader noch immer unter den Dornen der "Walled Gardens" der Buchhändler: Noch immer kann man keine Bücher im Kindle-Format mit dem Tolino-Reader lesen oder gar im Amazon-Shop für jeden E-Book-Reader lesbare Epub-Formate kaufen. Und bis man die für die digitale Buchausleihe in öffentlichen Büchereien nötigen DRM-Sperenzchen durchgetanzt hat, verliert man die Lust daran. Nimmt man die Analogie der Aufzucht und Pflege kleiner Menschenkinder auf, dann könnte man in der Walled-Garden-Ökonomie besagte Säuglinge nur mit Windeln und Babykost aus einem ganz bestimmten Geschäft großziehen. Solche Bedingungen hemmen die gesunde Entwicklung.

Technisch präsentiert sich die neueste E-Book-Reader-Generation vermeintlich nicht so schlau wie Smartphones, aber dafür reicht eine Akkuladung wochenlang. Wie beim Kleinkind kommen einem die Entwicklungsschritte winzig vor: feinere Auflösungen, augenfreundliches Licht, größere Displays und weiterhin mehr Speicher, als man füllen kann. Kennt man die frühen Modelle, entfleucht einem unweigerlich: "Boah, seid ihr aber groß geworden!" Und man darf in seliger Erinnerung an das Verschwinden der leidigen SIM-Locks in Handys hoffen, dass E-Book-Reader sich dereinst für Buchshops aller Art öffnen, noch schlauer werden und Farbe so gut aufs E-Paper verteilen wie Babys ihren Brei auf Papas Hose.

Michael Link

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