c't 4/2023
S. 3
Standpunkt

Digitalisierung der Verwaltung: Gegen jede Logik

Stellen Sie sich vor, jedes Amazon-Logistikzentrum würde seine eigene Bestellwebseite und sein eigenes Warenwirtschaftssystem entwickeln: Genau nach diesem Muster läuft die Digitalisierung der Verwaltung ab. Das Rad wird gegen jede Logik zigfach neu erfunden – mit entsprechend holprigen Ergebnissen.

In Deutschland sind die 300 Landkreise und 11.000 Kommunen für 75 Prozent aller Verwaltungsaufgaben zuständig. Von Flensburg bis Kempten muss jede Stadt selbst Webdienste entwickeln und Server betreiben, selbst dann, wenn der Bund die Abläufe bundesweit einheitlich vorschreibt, wie bei Führerschein- und Perso-Antrag und vielem mehr.

Dass dabei Milliarden verschwendet werden, ist das eine. Das andere ist, dass dabei einfach nichts Gutes herauskommen kann. Vor allem kleine Städte sind überfordert. Deshalb floppte das Onlinezugangsgesetz, das bis Ende 2022 eigentlich für flächendeckende Onlinedienste sorgen sollte.

Unsere Analyse auf Seite 116 zeigt: Es gibt zwar Vorreiter wie Nürnberg und München, doch in den meisten Städten muss man auch 2023 selbst für Kleinigkeiten persönlich zum Amt. Falls doch was digital geht, dann meist rumpelig, mit irrwitzigen Formularen, auf Webseiten, die aussehen wie von 2003.

Die verantwortlichen Politiker beim Bund und in den Ländern klopfen sich trotzdem auf die Schultern. Die Städte könnten ja Webdienste von anderen Städten übernehmen. Doch in der Praxis scheitert dieses "Einer-für-alle-Prinzip" oft an fehlenden Schnittstellen und anderen Hürden.

Sinnvoller wäre es, einheitliche Aufgaben stärker zu zentralisieren. Dafür müsste man nicht den Föderalismus über Bord werfen. Es muss nicht alles beim Bund liegen, schon Länderdienste wären besser als das Chaos in den Kommunen.

Dabei geht es nicht nur um Effizienz. Eine digitale, bürgerfreundliche Verwaltung ist auch wichtig für den sozialen Zusammenhalt, wie man aktuell am Beispiel Wohngeld sieht: Der Bund verspricht Hilfe für Energiekosten, doch die Kommunen kommen beim Abarbeiten der Anträge nicht hinterher, und die Menschen warten monatelang auf das Geld – wenn sie nicht ohnehin vor den Formularen kapituliert haben.

Christian Wölbert
Christian Wölbert

Christian Wölbert

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