iX Special 2019
S. 138
Wirtschaft und Gesellschaft
Soziale Netze

Wie Facebook und Co. die Gesellschaft verändern

Next Level

Martin Fehrensen

Ob Facebooks Datenskandale oder die Diskussionen um Hass-Postings und Wahlbeeinflussung durch Desinformation: Soziale Medien spielen heutzutage in vielen Lebensbereichen eine zentrale Rolle. Sie haben die Kommunikation in der Gesellschaft verändert – und müssen sich selbst ändern.

Soziale Medien sind zu einem elementaren Bestandteil unserer Gesellschaft geworden. Wir erleben einen fundamentalen Umbruch in der Art und Weise, wie Politik, Wirtschaft, Medien und jeder einzelne kommuniziert. An Facebook, You­Tube, Instagram, Twitter und Co. kommt seit Jahren kaum jemand vorbei. Die Crux dabei: Nur eine Handvoll Unternehmen entscheidet über die Spielregeln dieser Kommunikation – häufig nicht zum Wohle der Nutzer und schon gar nicht demokratisch legitimiert.

Die Situation könnte dabei kaum weniger komplex sein. So ermöglicht etwa Facebook auf der einen Seite, dass sich Menschen in autoritären Regimen unabhängig von der gelenkten Staatspresse informieren können. Die Wirkmacht ist riesig, die Angst der politischen Führung entsprechend: Im arabischen Raum droht Bloggern die Todesstrafe, wenn sie auf Facebook Informationen lancieren, die das Treiben des herrschenden Regimes kritisieren. Facebook – ein Katalysator der Demokratie.

Demokratie und Unterdrückung

Das Problem: Exakt die gleichen Werkzeuge dienen auch den Autokraten. Sie nutzen soziale Medien und die Spuren, die Nutzer dort hinterlassen, etwa um jene kritischen Blogger ausfindig zu machen, zu verhaften, zu foltern und Schlimmeres. Der einst so hochgejazzte Arabische Frühling dient hier als tiefschwarze Blaupause. Face­book – ein Werkzeug für Unterdrückung.

Diese Dialektik kennt viele Facetten: Die Social-Media-­Plattformen stehen demokratischen Politikern zur Verfügung, um Politik jenseits von Parteigremien, Marktplätzen und Stammtischen erlebbar zu machen. Sie werden aber auch von all jenen genutzt, die zum Ziel haben, souveräne Demokratien mit Des­informationskampagnen ins Wanken zu bringen oder ganze Bevölkerungsgruppen aus dem Land zu jagen. Die US-Wahlen, der Brexit oder die Vertreibung der Rohingya in Myanmar zeugen davon.

Auch ermöglichen die sozialen Medien, dass mensch Freunde und Bekannte am eigenen Leben teilhaben lassen kann. Auf der anderen Seite dienen sie aber auch dazu, Menschen zu drangsalieren, mit Hassbotschaften zu überziehen oder gar in den Selbstmord zu treiben.

Die unbeschwerten Zeiten sind lange vorbei. Politik und Gesellschaft schauen sehr viel genauer hin, wie Social-Media-Angebote funktionieren, wie sie genutzt werden, was sie bewirken. Selbst im sonst so abgehobenen Silicon Valley wird der Gegenwind wahrgenommen. Die Social-Media-Unternehmen haben die längste Zeit beteuert, ihre Plattformen seien neutral, sie würden lediglich die technische Infrastruktur bereitstellen.

In den letzten Monaten ist auch bei den Führungsverantwortlichen der Tech-Giganten ein moralisches Erwachen zu beobachten. Unternehmer wie Facebooks Zuckerberg und Sandberg oder Twitters Dorsey scheinen erkannt zu haben, dass sie zumindest eine moralische Verantwortung für das haben, was auf ihren Plattformen passiert. Das ist erfreulich. Keine Frage.

Wie die Tech-Riesen auf all die Herausforderungen reagieren und ob die Politik dabei nur Zuschauer ist oder tatsächlich aktiv mitgestaltet, wird zu einer der zentralen Fragen neben Klimawandel und Migration. Im Folgenden möchte ich deshalb skizzieren, wohin sich soziale Medien in den kommenden Monaten und Jahren entwickeln könnten. Alles natürlich unter Vorbehalt, denn die führenden Social-Media- und Tech-Unternehmen stehen in starkem Wettbewerb untereinander und zeigen sich äußerst agil und experimentierfreudig. Was heute gesetzt ist, kann durch ein Umschwenken in der Unternehmenspolitik bereits morgen vorbei sein – man denke etwa an den vielfach diskutierten „Pivot to Video“. Doch dazu später mehr. Blicken wir zunächst auf den ersten großen Trend.

Der Rückzug ins Private

Es ist gar nicht lange her, da fabulierte Mark Zuckerberg noch, dass „public“ der neue Standard sei. Offenkundig leicht benebelt durch den eigenen Erfolg schwärmte Zuckerberg von einer Welt, in der mensch sich zu allem primär öffentlich äußern würde: zu Wünschen und Träumen genauso frei und offen wie zu Trivialem und Alltäglichem.

Mark Zuckerberg auf der Facebook-Entwicklerkonferenz F8 2019: „Die Zukunft ist privat“ (Abb. 1).
Facebook

Es darf bezweifelt werden, ob es diese Zeit so je gegeben hat. Klar ist jedoch, dass Zuckerbergs Traum vorbei ist. Die Anbieter von Social-Media-Technologien haben in den vergangenen Jahren einen enormen Wandel hinnehmen müssen: weg von pseudo-öffentlichen Marktplätzen wie Twitter und Facebook hin zu privaten Kommunikationsmitteln wie Messengern und Gruppen. Die Gründe dafür sind hausgemacht:

Zum einen mussten Facebook-Nutzer feststellen, dass die Pseudo-Öffentlichkeit des Newsfeed keine Option mehr darstellt, um Freunde wirklich zu erreichen. Zu groß ist das Gedrängel um Aufmerksamkeit. Zu viele Kniffe gilt es zu berücksichtigen, um mit den eigenen Posts die Vielzahl an Konkurrenten aus­zustechen. Stars, Vereine, Politiker, Medien, Werbetreibende – alle buhlen um die Gunst der Aufmerksamkeit. Das Newsfeed-­Inventar ist über die Jahre nahezu explodiert, der Newsfeed für viele Nutzer daher kaum noch funktional. Weder um mit­zubekommen, was Freunde treiben, noch um sich selbst mitzuteilen.

Der Rückzug ins Klein-Klein, in die Eins-zu-Eins-Kommunikation via WhatsApp, iMessage, Facebook Messenger, Signal, Threema, Snapchat oder Instagram Direct ist die Konsequenz. Gern kann es auch eine geschlossene Facebook-Gruppe sein, in der sich Freunde, Bekannte, Eltern oder Kollegen zu aktuellen Themen und Belangen austauschen. Den Umweg über den Newsfeed gehen jedoch fast nur noch Medienprofis und die Nimmersatten.

Unternehmen wie Facebook stellt das vor enorme Herausforderungen. Bislang konnten sie darauf setzen, dass die Umsätze von Quartal zu Quartal weiter steigen würden – die scheinbar perfekte Gelddruckmaschine „Newsfeed“ machte es möglich. Wenn nun aber immer mehr Menschen ihre Zeit in Gruppen und Messengern verbringen, verliert der Newsfeed an Wert und Attraktivität. Es gilt, neue Werbeformate zu erschließen, neue Kanäle zu eröffnen, um mensch mit Werbung zu versorgen, um weiter zu wachsen, die Erlöse in die Höhe zu schrauben und die Aktionäre zufriedenzustellen.

Stories und Videos

Das Problem dabei: Sowohl Gruppen als auch Messenger eignen sich bislang nur bedingt für Werbeanzeigen. Zwar lotet Face­book Stück für Stück aus, wie sich auch diese Instrumente monetarisieren lassen. Vorerst aber versucht Facebook, den Nutzern andere Formate schmackhaft zu machen: allen voran Stories und Videos.

So hatte Facebook Ende 2015 erklärt, dass Video künftig eine sehr viel zentralere Rolle auf der Plattform einnehmen würde. In der Folge investierten Redaktionen und Agenturen massiv in Videoteams, häufig zulasten der altgedienten Text-­Kollegen. Zu attraktiv erschien die Prophezeiung, mit Video ließe sich noch mehr Reichweite erzielen, ergo irgendwann vielleicht sogar richtiges Geld auf den Plattformen verdienen. Dieser Wandel – als „Pivot to Video“ bekannt – kam zum Erliegen, nachdem Zuckerberg und Kollegen feststellten, dass zu viele Videoinhalte die Menschen davon abhalten, miteinander zu interagieren. Und wer nicht interagiert, ist nicht viel wert. Die Konsequenz: massiver Rückbau in den Redaktionen und Agenturen, Hunderte verloren ihre Jobs, ganze Websites mussten schließen. Der „Pivot to Video“ scheint vertagt, der „Stories-­Pivot“ hingegen in vollem Gange.

Das genuin Smartphone-native Format zeichnet sich dadurch aus, dass Fotos, Videos, Texttafeln im vertikalen Vollformat hintereinander zu einer Geschichte verknüpft werden können. Zudem können Stories von selbst wieder verschwinden. Ganz im Gegensatz zu den Posts bei Facebook oder Instagram, die mit Blick auf die brutale Konkurrenz immer mehr als perfekt sein müssen, suggerieren Stories eine gewisse Leichtigkeit.

Was bei Snapchat seinen Anfang nahm und insbesondere unter Jugendlichen einen großen Reiz ausmachte – es bedarf nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, warum –, hat mittlerweile in sämtlichen Plattformen sein Äquivalent gefunden. Von Facebook, WhatsApp, YouTube zu Instagram, Snapchat und Google: Alle haben Stories-Funktionen integriert.

Stories und Messenger, so heißt es, würden den Newsfeed in seiner Bedeutung ablösen. Facebook und Konsorten rüsten sich bereits für die Post-Newsfeed-Ära. Unter anderem mit einem Wandel hin zum Kommerz.

Über 100 Millionen Menschen nutzen bei Instagram bereits die Shopping-Funktion. Bislang funktioniert das noch so, dass Nutzer bei Instagram etwas entdecken, das sie gern kaufen würden, der eigentliche Kaufvorgang aber noch auf der Website des jeweiligen Anbieters stattfindet. Ziemlich profan und ziemlich Web 2.0.

Kaufen ist das neue Liken

Der nächste Schritt besteht nun darin, dass Nutzer das Produkt nicht nur auf der Plattform entdecken, sondern auch direkt dort erwerben können. Instagram Checkout nennt sich etwa ein neues Feature, das bislang nur mit ausgewählten Partnern – unter anderem Adidas, Warby Parker und Burberry – getestet wird, aber schon bald für alle Nutzer verfügbar sein soll.

Instagram Checkout: Kaufen statt liken (Abb. 2)

Für Unternehmen wie Facebook (Instagram ist ein Tochterunternehmen) ist dies nur all zu lukrativ. Sie sitzen bereits auf einem Haufen Daten, der es ihnen ermöglicht, passgenaue Angebote für die Nutzer zu kreieren. Und das würden die Nutzer ja so oder so goutieren, schließlich liebten sie relevante Anzeigen, tönt es fortwährend aus dem Silicon Valley. Diese passgenauen Anzeigen könnten künftig also nicht nur dazu führen, dass mensch likt, kommentiert, teilt und klickt – sondern kauft.

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