Make Magazin 3/2016
S. 44
Anleitung
Aufmacherbild

Baumarkt-Flöte

Mit wenig Aufwand und Kosten wird aus einem PVC-Rohr eine irische Tin Whistle. Mundstück und Bohrschablone stehen kostenlos als CAD-Dateien zum Download zur Verfügung oder können online bestellt werden. Neben der Bauanleitung zeigen wir die physikalischen Hintergründe der Klangerzeugung.

Das Vorbild unserer Baumarkt-Flöte ist die traditionell aus Blech gerollte irische Tin Whistle, die vor allem in irischer Folkmusik eingesetzt wird. Das Mundstück moderner Tin Whistles besteht meist aus Kunststoff, manchmal auch die ganze Flöte. Einem PVC-Rohr fehlen eigentlich nur die Löcher und das Mundstück.

Schülerfirma R4e1

Mundstückfertigung aus dem 3D-Drucker

Mundstück und Bohrschablone können über die Schülerfirma der IGS Mühlenberg bezogen werden, wie auch die abgebildeten Stiftflöten. Diese sind aus einem Whiteboardmarker recycelt, der von einem original IGS-Mühlenberg-Pauker leergeschrieben wurde. Mit einem 3D-Drucker kann man sich beide Teile auch selbst drucken. Die Schülerfirma R4e1 stellt ihre CAD-Dateien kostenlos zum Download zur Verfügung. Die Internetadresse zum Shop und Download befindet sich am Ende des Artikels.

Bauanleitung

Stiftflöten aus Whiteboardmarkern
Tin Whistle in C-Dur

Die hier beschriebene Tin Whistle soll möglichst einfach in der Herstellung sein, deshalb haben alle Grifflöcher den gleichen Durchmesser. Es gibt nur 6 Löcher auf der Oberseite des Rohres. Ein Überblasen zum Erreichen der oberen Oktave erfolgt nur durch Erhöhen des Anblasdruckes. Ein Griffloch an der Unterseite, wie bei der Blockflöte, gibt es nicht.

Die Abstände der Grifflöcher sind in der Tabelle unten dargestellt. Die für den Bau wichtigen Werte sind fett markiert. Wie die Zahlen zustande kommen und was die anderen Werte in der Tabelle bedeuten, wird später im Theorieteil genau erklärt.

Tabelle: Abstände der Grifflöcher

Freeware-Utilities als Hilfsmittel

Um die Korrektheit der Tonhöhen unserer Tin Whistle zu prüfen, eignen sich die Programme Audacity und SweepGen. Die Adresse zu den kostenlosen Downloads beider Programme befinden sich am Ende des Artikels.

Grifftabelle für die C-Dur-Tonleiter

Die Aufnahme des Flötentons mit Audacity und die Analyse ist sehr schnell gemacht:

Menüpunkt Analyse / Frequenzanalyse. Mit dem Cursor fährt man über die erste Spitze, das ist die Grundfrequenz, die anderen Peaks interessieren hier nicht, das sind die entstandenen Obertöne. Der Eintrag hinter Peak, hier 703 Hz, liefert die ungefähre Frequenz des Tones.

Frequenzanalyse in Audacity

Mit Audio SweepGen kann man leicht einen Sinuston zum Vergleich mit der Flöte erstellen. Die Einstellung Custom unter Frequency Range ermöglicht die Eingabe eines Frequenzbereiches, hier zwischen 500 und 550 Hz. Die Einstellung Manual unter Sweep Mode ermöglicht ein Verändern des Tones mit den Schiebereglern. Darunter wird die aktuelle Frequenz angezeigt.

Physikalische Grundlagen: Schallgeschwindigkeit

Erzeugung eines Vergleichstones mit SweepGen

Die Tonhöhe einer Flöte hängt im wesentlichen von der Länge des Rohres mit den Grifflöchern ab. Die entstehende schwingende Luftsäule, wie es im Fachjargon heißt, verändert sich aber wiederum mit der Schallgeschwindigkeit und die ist von der Temperatur abhängig und der chemischen Zusammensetzung der Luft.

Ein bisschen Wärmeschwankung kann ja wohl nicht so viel ausmachen, meint man. Schon ein Temperaturunterschied von 20 °C entspricht bei einer Tin Whistle in C-Dur einer Längenänderung des Rohres von über 10 mm. Dann kann man auch verstehen, warum Musiker vor dem Konzert ihr Instrument mit dem Atem anwärmen. Besonders, wenn sie Heiligabend bei Minustemperaturen vorm Kirchturm spielen.

Tabelle
Tabelle: Benötigte Größen zur Berechnung der Schallgeschwindigkeit

Bei der Berechnung der Schwingung eines Tones ist es also notwendig, die Schallgeschwindigkeit in der Luft zu kennen. In einem idealen Gas berechnet man sie nach folgender Formel:

Eingesetzt ergibt sich bei einer Raumtemperatur von 20°C:

Die recht komplizierte Formel vereinfacht sich aber wesentlich, wenn man beachtet, dass die physikalischen Größen bei 20 °C ± 20 Kelvin relativ konstante Werte sind. Hier ist nur die Temperatur t (in °C) variabel gelassen:

Damit ergeben sich für Luft folgende Schallgeschwindigkeiten:

Tabelle: Temperaturabhängigkeit

Schwingende Luftsäule

Die schwingende Luftsäule in einem Rohr hat nur eine Frequenz beziehungsweise eine Tonhöhe. Für verschiedene Töne sind verschiedene Rohrlängen nötig. Die Wellenlänge l des Tones wird mithilfe der Schallgeschwindigkeit c und der Frequenz f der schwingenden Luftsäulen berechnet:

In einem offenen Rohr mit der Länge l bildet sich in etwa die halbe Wellenlänge der Schwingung, also:

Die Länge des Rohres und die darin schwingende Luftsäule sind nicht identisch. Dies liegt daran, dass die Schwingung der Luftteilchen nicht abrupt am Ende des Rohres aufhört, sondern noch in dem freien Raum hinter der Schallöffnung wirkt. Diese Korrektur wird in der Literatur für den Bau von Orgelpfeifen häufig mit drei Zehntel des Rohrdurchmessers d angegeben. Bei der Tin Whistle hat sich das 1,9-fache des Innenrohrdurchmesser di bewährt. Bei di = 14 mm ergibt sich also 26,6 mm.

Die Luftsäule schwingt ab der Öffnung in dem Mundstück. Diese Kante wird Labium genannt und ist konstruktionsabhängig. Dies muss von der Rohrlänge ebenfalls abgezogen werden. Im vorliegenden Fall ist dieser Abstand 6,9 mm. Damit ergibt sich für die reale Länge lreal des Rohres:

Ein Rohr mit dem Innendurchmesser von 14 mm, das den Ton c'' mit 528 Hz bei einer Raumtemperatur von 20 °C erzeugen soll, muss also eine Länge lreal von 291,8 mm haben.

Mundstück und Labium

Frequenzen

Damit ist die Länge der Tin Whistle in C-Dur bestimmt, der Ton c'' erklingt, wenn alle Grifflöcher geschlossen sind. Für alle weiteren Töne müssen die Frequenzen berechnet werden.

Schwingende Luftsäule der Tin Whistle

Unser Ohr hat sich heute an die gleichschwebende Stimmung gewöhnt, wie zum Beispiel Klaviere gestimmt werden, falls sie denn regelmäßig gestimmt werden. Der Faktor zwischen den 12 Halbtönen in der Oktave, um die Frequenz des nächsten Halbtons zu berechnen, beträgt:

Soloinstrumente oder auch Chormusik sollten in reiner Stimmung zu hören sein. Dieser Unterschied ist zwar nur sehr klein, aber von geübten Ohren wahrzunehmen. Bei der reinen Stimmung beruhen die Intervalle auf ganzzahligen Frequenzverhältnissen. Diese berechnen sich aus der Obertonreihe. So verhält sich zum Beispiel die große Sexte (a'' zu c'') wie 5 : 3, also:

Tabelle: Vergleich der reinen und temperierten Stimmung

Die Flöte ist ein transponierendes Instrument, deshalb erklingt ein Ton genau eine Oktave höher als notiert. Der Kammerton a' ist seit 1939 auf 440 Hz festgelegt. Damit ist die Frequenz für das a'' unserer Flöte 880 Hz. Die restlichen Frequenzen ergeben sich nach der Tabelle.

Grifflöcher

Grifflöcher verglichen mit Rohrlängen

Bei der Pfeifenorgel gibt es für jeden Ton eine eigene Pfeife. Die schwingende Luftsäule bei der Flöte kann allerdings auch durch Öffnen einzelner Grifflöcher verändert werden. Abhängig von Lage und Größe verkürzt ein Querloch im Rohr die schwingende Luftsäule. Der Ton wird höher, wie bei einem verkürzten Rohr. Im Bild haben die zwei nebeneinander stehende Röhren die gleiche Frequenz. Wie groß diese Verkürzung ist, lässt sich am besten durch Versuche ermitteln. Dabei hat sich die Frequenzanalyse mit dem Programm Audacity als etwas ungenau erwiesen. Das Ohr ist im Vergleich von einem Ton der Tin Whistle mit einer Sinus-Frequenz genauer. Hier hat allerdings das Gehör der besten Ehefrau von allen (Musiklehrerin und Geigerin) ein wenig mitgeholfen. Bei einem Griffloch von 6 mm Durchmesser hat sich bei dem PN16-PVC Rohr eine Verkürzung der schwingenden Luftsäule von 12,4 mm ergeben. pff