Make Sonderheft 2017
S. 44
Werkstattbesuch
Aufmacherbild

Offen für alle

Ob Tischler- oder Schneiderei, Keramik oder High-Tech mit Elektronik und CNC: Seit 30 Jahren kann man im Münchner „Haus der Eigenarbeit“ alles selber machen, was das Herz begehrt. Und niemand bleibt auf sich allein gestellt: Ein ausgeklügeltes System aus Kursen und Fachberatungen macht den Einstieg leicht.

Schon der Türgriff ist selbstgemacht: Er wurde aus einem großen Schraubenschlüssel und einem Hohlbeitel zusammengeschweißt. Doch man muss nicht gleich kaltes Metall anfassen, um ins „Haus der Eigenarbeit“ (kurz HEi) zu gelangen, denn ein schönes dunkles Stück Holz ummantelt den Schaft des Schraubenschlüssels.

Liebevolle Details allerorten: Low-Poly-Pferdekopf in der Papierwerkstatt
Im Café des HEi machen nicht nur Werkstattnutzer Pause – es finden dort etwa auch Spieleabende statt. Bild: Haus der Eigenarbeit
Alles Marke Eigenarbeit: Springbrunnen im Hof

Drinnen setzt sich diese eigene Mischung aus selbstgemacht und liebevoll fort: Ein runder Empfangstresen aus Holz, ein rotes Sofa, eine Kaffeebar und Tische in unkonventionellen Formen, dazwischen angefangene Möbelprojekte und zwischengelagerte Metallkonstruktionen – Hipsterland sieht anders aus. Es herrscht die angenehm warme Atmosphäre eines alternativen Treffpunkts aus dem ausgehenden 20. Jahrhundert.

Eine Gruppe junger Flüchtlinge macht gerade Pause von ihrem Holzbearbeitungskurs in der Werkstatt nebenan, die Tür steht offen. Kaffee trinken und handwerklich arbeiten liegt hier dicht beieinander, doch weit genug getrennt, dass es nicht stört. Hier kann man sich wohlfühlen – wenn man erst einmal da ist. Denn beim ersten Besuch muss man schon in etwa wissen, wonach man sucht, um direkt beim Münchner Ostbahnhof im Stadteil Haidhausen den richtigen idyllischen Hinterhof zu erwischen und zum HEi zu gelangen.

Vielfalt unter einem Dach

Das HEi definiert sich selbst als ein Bürgerzentrum, in dessen Räumen unterschiedliche offene Werkstätten untergebracht sind. Neben einer gut ausgestatteten Tischlerei und Holzwerkstatt findet man auch Abteilungen für Metall, Keramik und Textil. Daneben gibt es spezielle Werkstätten für Polsterei, Schmuckgestaltung, Papierarbeiten und Buchbinderei sowie die „HEi-Tec“-Werkstatt als jüngste Einrichtung, in der man etwa eine CNC-Fräse benutzen und Arduino-Einsteigerkurse besuchen kann.

Holzauge, sei wachsam: Abricht-Hobelmaschine in der Holzwerkstatt
Hobelbänke, Werkzeugschränke, warmes Licht: Blick in die Holzwerkstatt Bild: Haus der Eigenarbeit
Der Holzbildhauer Sven Hohlbaum bringt jungen Flüchtlingen Grundlagen der Holzverarbeitung bei.

„Offene Werkstatt“ bedeutet im HEi: Nach einer einmaligen Anmeldung beim ersten Besuch kann man einfach vorbeikommen, um eigene Projekte umzusetzen. Bei manchen Maschinen ist allerdings vorab eine Einweisung verpflichtend, um daran selbstständig zu arbeiten – Fräse, Kreissäge und Hobelmaschine gehören etwa dazu. Und bei einigen kleinen Werkstätten empfiehlt es sich doch, vorher Bescheid zu geben, wenn man kommt und was machen will, rät der Werkstattleiter Matthias Dorsch – etwa in der Polsterei. Sonst kommt es schon mal zu Wartezeiten.

Die Werkstattnutzung kostet 8,80 Euro pro Stunde, es gibt aber auch Dauer- und Sammelkarten sowie Ermäßigungen. Für die großen Schreinereimaschinen, die Schweißgeräte und die CNC-Fräse fallen pro Minute zusätzliche Gebühren an. Die Besucherinnen und Besucher füllen während ihrer Eigenarbeit selbst einen Laufzettel aus, auf dem sie die Nutzungszeiten der einzelnen Werkstätten und Maschinen vermerken und den sie dann vom jeweiligen Werkstattmitarbeiter abzeichnen lassen. Im HEi hat man gute Erfahrung damit gemacht, den Nutzerinnen und Nutzern bei der Abrechnung zu vertrauen: „Die Leute wollen überwiegend das HEi unterstützen“, berichtet Dr. Veronika Stegmann, die das Haus seit 2015 leitet.

Wer im HEi arbeitet, füllt selbst einen Laufzettel für die spätere Abrechnung aus und lässt ihn vom Werkstattpersonal unterschreiben.
In der Nähwerkstatt ist einmal pro Woche eine japanische Kindergruppe zu Gast.
Auch Schmuck wird hier selbst gemacht. Bild: Haus der Eigenarbeit
Getöpfert, modelliert, gebrannt und glasiert wird im Obergeschoss. Bild: Haus der Eigenarbeit

Eine Spezialität des HEi sind die sogenannten Fachberatungszeiten. Das sind ein bis drei feste Zeiten in der Woche pro Einzelwerkstatt, zu denen man sich von versierten Spezialisten der jeweiligen Disziplin – eben der Fachberaterin oder dem Fachberater – Ratschläge etwa zu Arbeitsweisen oder Materialauswahl holen oder sich bestimmte Arbeitsgänge zeigen lassen kann. Das erleichtert den Einstieg und die Fachberatung zu den üblichen Zeiten ist in der Werkstattgebühr schon enthalten. Wer hingegen eine individuelle Fachberatung bucht, um etwa ein komplexes Projekt betreut durchzuplanen, zahlt dafür 45 Euro pro Stunde.

Werkzeuge von der Wasserwaage bis zur Parkettschleifmaschine kann man für Vorhaben außerhalb des Hauses gegen Gebühr auch ausleihen; ein umfangreiches Kursprogramm rundet das Angebot ab.

Dreißig Jahre offen

In diesem Jahr wird das HEi dreißig: Los ging es am 7. Oktober 1987 als Modellprojekt, gefördert von der gemeinnützigen Forschungsgesellschaft Anstiftung (heute: Stiftungsgemeinschaft Anstiftung & Ertomis). Die hatte als Ziel, „sinnvolle psychisch, sozial und ökonomisch bereichernde Tätigkeiten in der erwerbsarbeitsfreien Zeit, eine Verbesserung der Lebenslage durch Eigenarbeit, produktive statt konsumtive Nutzung der freien Zeit“ zu unterstützen.

Der Schweißplatz in der Metallwerkstatt

Die Konzentration auf die namensgebende Idee der Eigenarbeit ist dem HEi bis heute wichtig: „Die Leute sollen hier vor allem Dinge für sich selbst machen“, betont Stegmann. Die professionelle Nutzung der Werkstätten sei zwar möglich, aber teurer. „Und: Sie sollen etwas selber machen, nicht etwas gemacht bekommen.“ Die einzige Ausnahme von dieser Regel ist das Repair-Café, das das HEi regelmäßig in Kooperation mit dem Deutschen Museum durchführt und das das erste seiner Art in Bayern war: Qualifizierte Reparateure nehmen sich dabei ehrenamtlich und gegen Spende den defekten Alltagsgegenständen der Besucherinnen und Besucher an.

Einiges hat sich allerdings verändert in den vergangenen Jahrzehnten: Früher kamen eher Leute, die es nicht so dicke hatten, für die eine Werkstatt tatsächlich „eine Verbesserung der Lebenslage durch Eigenarbeit“ versprach, erzählt Werkstattleiter Matthias Dorsch, der im HEi schon seinen Zivildienst geleistet hat und nach einer Tischlerlehre zurück ins Haus kam. Recycling und Upcycling hätten schon seinerzeit eine große Rolle gespielt – auch wenn das damals noch nicht so hieß. Heute kommen auch Leute mit Geld, das merke man etwa daran, dass Besucher der Tischlerei ihre Projekte aus teureren Hölzern bauen. Das Material kann man selbst mitbringen oder im HEi erhalten.

Die Holzwerkstatt-Kurse werden eher von handwerklich versierten Nutzern belegt. Aber es kämen durchaus auch Leute ohne jegliche Vorkenntnisse, das Niveau sei sehr unterschiedlich, erzählen die Betreiber des HEi. Wichtig sei ihnen, dass das Angebot im Haus sehr niederschwellig ist. Das erfordert viel Personal, das Anleitung anbietet, so Veronika Stegmann. „Der Erfolg: Im HEi haben auch schon ältere Damen zum ersten Mal in ihrem Leben einen Lötkolben in die Hand genommen oder an der Kreissäge gestanden.“ Die Nutzerschaft der Werkstätten beschreibt sie als Querschnitt durch die ganze Münchner Bevölkerung: von hochtechnisch interessiert bis zu handarbeitsliebend – so trifft sich auch regelmäßig ein Strickkreis im HEi. Es sind hier schon ein Talar und ein Beichtstuhl entstanden – aber auch spezielles Mobiliar für den Bedarf der SM-Szene. Das Phänomen dabei: Es gibt quer durch die verschiedenen Szenen und handwerklichen Interessen viel Kontakt und Austausch zwischen den Leuten, die alle für sich ihre eigenen Projekte vorantreiben.

Kooperativ

„Die Maker-Bewegung ist deutlich technischer als das HEi“ meint Stegmann, die durch diesen Trend keine großen Veränderungen beim Publikum ihres Hauses sieht. „Wir schicken schon auch mal Leute ins hiesige FabLab – und umgekehrt“. Man kennt sich in München, hat keine Berührungsängste. Und auch im HEi entstehen zwischen Keramik, Möbelrestauration und Polsterarbeiten durchaus technisch avancierte Projekte: So hat hier der Tüftler Albert Beer seinen Roboter aus Tortenringen entwickelt, der den Rubik’s Cube in unter einer Sekunde löst (siehe Make 3/16, S. 28).

HEi-Tec: Die CNC-Fräse gehört zu den neueren Maschinen. Fachberatung ist jeden Mittwochabend von 18 bis 21 Uhr. Bild: Haus der Eigenarbeit
Im Fundus der Papierwerkstatt finden sich neben einer Spezialmaschine für Goldprägungen auch komplette Setzkästen voller Bleilettern.
Die Lötkolben stehen im Untergeschoss, das sich die Schmuckwerkstatt und die High-Tech-Abteilung teilen.

Vielleicht muss das HEi ja auch nicht auf allen Hochzeiten tanzen und noch ein reelles FabLab einrichten, denn 30 Jahre erfolgreicher Betrieb sprechen ja für sich. Außerdem stößt das Haus allmählich an seine Grenzen, personell wie räumlich. Alleine im Winterhalbjahr 2016/17 gab es rund 160 Kursangebote, worüber der Trägerverein des HEi eine Eigenfinanzierung von rund 60 Prozent erreichen konnte – die übrigen 40 Prozent steuern je zur Hälfte die Stadt München und weiterhin die Anstiftung bei.

Das HEi-Kern-Team aus sechs Festangestellten kann sich auf die Unterstützung von rund 30 versierten Fachberaterinnen und Experten verschiedenster Gewerke stützen, die Werkstätten betreuen und Kurse anbieten – und sich meist aus der Nutzerschaft des Hauses rekrutieren. Das lässt hoffen, dass im HEi auch in den kommenden Jahrzehnten immer wieder neues geboten wird – wie in den vergangenen 30 Jahren. pek

 

Alle Links zu HEi und noch mehr Bilder (nicht nur von unserem Besuch) gibt es über die Kurz-URL unten.