Make Sonderheft 2018
S. 96
Porträt
Aufmacherbild

Steampunk mit Volldampf

Wer glaubt, Steampunks würden nur Uhrenzahnräder auf Mahaghoni-Kästchen kleben, um darin Elektronik und Digitaltechnik des 21. Jahrhunderts zu verstecken, der kennt Raphaelius Alva Grußer noch nicht: Der autodidaktische Erfinder baut sonderbare Maschinen, die mit Dampf betrieben werden – und die es so ähnlich auch schon zu viktorianischer Zeit hätte geben können. Ein Werkstattbesuch im Zürcher Oberland.

Raphaelius Alva Grußer hatte einen kleinen Arbeitsunfall – und das ausgerechnet am Tag, bevor eigens aus Deutschland der Herr Reporter angereist ist. Noch dazu hat sich die Lichtbildnerin angesagt, den Grußer’schen Werken für sonderbare Maschinen einen Besuch abzustatten. Jetzt steckt der rechte Zeigefinger des jungen Erfinders Jahrgang ’87 – 1887 , wie es auf seiner Seite im Æthernetz heißt – in einer improvisierten Kupfermanschette, zusammengehalten von einer akkuraten kreuzweisen Schnürung, wie bei einem Korsett. Ansonsten trägt er, was für einen Erfinder standesgemäß ist, wenn die Zeitung zu Besuch kommt: Hemd mit Stehkragen, Weste, Kette, Schiebermütze und – vielleicht am auffälligsten – eine komplizierte Maschinerie am linken Arm, ein Proto-Exoskelett, das sich Jules Verne hätte ausdenken können.

Zylinder, Pfeife, mechanischer Arm und viel Dampf: Raphaelius Alva Grußer ist Erfinder und Maschinist in einer Person.

Nein, das ist keine Verkleidung, sagt Grußer. Er kleidet sich lediglich dem Anlass angemessen – und wenn die Presse in die Werkstatt kommt, ist das eben etwas adretter als bei der täglichen Erfinderarbeit. Geht es zum Sonntagspicknick mit den Steampunks, ist natürlich Frack und Zylinder angesagt (den er sich fürs Foto auch gerne mal aufsetzt). Im Alltag des 21. Jahrhunderts, an dem auch ein Steampunk mit Leib und Seele nicht vorbeikommt, trägt er hingegen eine etwas abgespecktere Version seiner Erfinderkluft, die Schiebermütze ist aber immer dabei. „Ich spiele keine Rolle, ich bin immer ich selbst“, sagt Grußer, das ist ihm wichtig. Echter Steampunk ist vor allem eine innere Einstellung. Die Leitfrage, die ihn umtreibt: „Wie hätte ich sein können, vor über hundert Jahren?“ Ganz klar: Er wäre auch damals Erfinder geworden. Und sogar die meisten seiner Maschinen hätte er schon seinerzeit in ganz ähnlicher Form bauen können. Denn die treibende Kraft hinter ihnen ist – Dampf.