c't 5/2023
S. 56
Titel
ChatGPT
Bild: KI Midjourney | Bearbeitung: c't

Der universelle Texter

Warum ChatGPT so fasziniert

Der Chatbot ChatGPT generiert zu jedem Thema erstaunliche Texte – von der Examensarbeit bis hin zum Kriminalroman. Er weiß auf jede Frage eine Antwort – wenn auch nicht immer die richtige. Wir blicken auf die Möglichkeiten und Grenzen der Technologie, die das Leben und Arbeiten gehörig umkrempeln wird.

Von Jo Bager und Pina Merkert

Als die Firma OpenAI Ende 2022 ChatGPT vorstellte, begann der riesige Hype. Innerhalb von fünf Tagen meldete Chef Sam Altman mehr als eine Million registrierte Nutzer. Der Chatbot wurde zunächst zum Opfer seines eigenen Erfolgs: Es konnte passieren, dass ChatGPT seinen Nutzern nur sehr langsam antwortete oder wegen zu großem Andrang sogar seine Pforten schloss.

Dabei sind KI-Sprachmodelle nicht neu. GPT-3 etwa, auf dem auch ChatGPT aufbaut, existiert schon seit 2020 – wir haben in [1] ausführlich darüber berichtet. Doch erst mit dem Start von ChatGPT wurde einer breiten Öffentlichkeit klar, welches Potenzial diese Technik entfalten kann.

Waren Sprachmodelle bisher eher kompliziert zu bedienen (oder nur über eine Programmierschnittstelle), kommt ChatGPT mit einer bestechend einfachen Oberfläche daher: Man chattet einfach per Tastatur und Browser mit dem System. Der Kasten auf Seite 58 beschreibt im Detail die Optimierungen, die OpenAI vorgenommen hat, um die Fähigkeiten des zugrundeliegenden GPT-3 einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Dieser Artikel stellt ChatGPT und seine Auswirkungen vor. Im Beitrag ab Seite 60 zeigen wir, wie Sie das Sprachmodell mit den richtigen Hilfsmitteln und Befehlen ausreizen und reißen einige Nutzungsszenarien an. Im Artikel ab Seite 64 haben wir eine Auswahl von KI-Diensten zusammengestellt, die ChatGPT und andere Sprachmodelle für konkrete Anwendungen verwenden. Und der Artikel ab Seite 70 beleuchtet die neuen Probleme mit dem Urheberrecht und anderen Gesetzen, die KI-generierte Texte und Bilder aufwerfen.

Alarm im Lehrerzimmer

Mit dem Auftauchen von ChatGPT wurde schnell klar, dass Schüler in Zukunft so manche Hausaufgabe an die KI delegieren können: Eine Zusammenfassung des Schimmelreiters etwa spuckt der Bot in Sekundenschnelle aus. Bei der Lösung eines linearen Gleichungssystems erklärt der Chatbot sogar ausführlich den Lösungsweg. Es gibt kaum ein Schulfach, in dem er nicht helfen kann. ChatGPT selbst schreibt auf Anfrage: „Ich kann Ihnen helfen, Fragen zu einer Vielzahl von Themen zu beantworten, darunter Mathematik, Physik, Chemie, Biologie, Geschichte, Literatur, Geografie, Politik und vielem mehr.“

Die Schulbehörde des Bezirks New York hat den Einsatz des Chatbots prompt verboten. Die Begründung: Er helfe nicht dabei, kritisches Denken und Problemlösungskompetenzen einzuüben. Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, reagierte gegenüber dem ZDF gelassener: Schüler hätten schon lange die Möglichkeit, sich im Internet Hilfe zu holen. Lehrkräfte würden schnell merken, ob jemand Aufgaben selbstständig gelöst habe, sagte er dem Sender. Und Robert Lepenies, Präsident der Karlshochschule International University in Karlsruhe, will die Künstliche Intelligenz sogar in den Seminarbetrieb seiner Hochschule einbinden [2]. Die akademische Welt diskutiert derzeit bereits, in welcher Form der Beitrag von ChatGPT zu akademischen Arbeiten gewürdigt werden soll (ct.de/y8mv).

Aber ChatGPT erleichtert nicht nur das Schreiben von Hausaufgaben und akademischen Arbeiten. Der Chatbot generiert auf Zuruf in etlichen Sprachen Texte der verschiedensten Genres: von Überschriften, Social-Media-Posts und Gedichten bis hin zu längeren Texten wie Newsletter, Reden, Pressemitteilungen oder Bewerbungsschreiben – und das in verschiedenen Sprachen. Er kann Texte sprachlich veredeln, gliedern und zusammenfassen. Wer mag, kann im Zusammenspiel mit ChatGPT ganze Romane entwerfen, mit einer groben Struktur und Subplots. Last, but not least spuckt ChatGPT Beispielcode für viele Aufgaben der Softwareentwicklung aus und analysiert vorgegebene Programme auf Fehler.

ChatGPT weist auf seiner Startseite auf einige seiner Limitierungen hin, darunter sein eingeschränktes Wissen über die Welt und Ereignisse nach 2021.
ChatGPT weist auf seiner Startseite auf einige seiner Limitierungen hin, darunter sein eingeschränktes Wissen über die Welt und Ereignisse nach 2021.

Text-KI überall

Mit ChatGPT haben Sprachmodelle ihren iPhone-Moment. Zur Erinnerung: Als Steve Jobs im Jahr 2007 das Smartphone erstmals präsentierte, gab es bereits Handys mit Internetanschluss oder Touchscreen. Aber erst das iPhone bereitete den Weg für den Siegeszug der Smartphones. Entsprechend kann jetzt jeder selbst sehen und ausprobieren, welche praktischen Verwendungsmöglichkeiten Sprachmodelle ermöglichen. Der aktuelle Hype um ChatGPT ist nur der Anfang, die Technik wird schnell in weitere Dienste und Anwendungen einfließen. Schon heute ist es möglich, die Dienste von ChatGPT über Browser-Erweiterungen in beliebige Web-Formulare einzubinden oder die Suchergebnisse von Google mit Resultaten von ChatGPT anzureichern – siehe auch den Artikel ab Seite 60. Und einige Suchmaschinen bauen bereits selbst maßgeschneiderte Antworten per Sprachmodell [3] zusammen.

In Zukunft wird eine KI-Hilfe überall dort selbstverständlich sein, wo man Texte verfasst. Unterstreicht die Autokorrektur bei Otto Normalanwender heute Tippfehler, lässt er sich morgen bei Schreibblockaden eine Dokumentstruktur und Textvorschläge unterbreiten oder gleich die komplette E-Mail in Inhalt und Ton auf den Empfänger abgestimmt schreiben.

Microsoft setzt jedenfalls auf OpenAI und ChatGPT. Der Softwareriese will sich mit zehn Milliarden US-Dollar an OpenAI beteiligen und hat angekündigt, ChatGPT in seine Suchmaschine Bing zu integrieren. Dritte werden in der Lage sein, den Chatbot über die Cloud-Dienste von Microsoft in ihre Anwendungen einzubauen. Bei OpenAI läuft ChatGPT derzeit im Betabetrieb und ist für Nutzer kostenlos. OpenAI hat indes für US-Nutzer eine kostenpflichtige ChatGPT-Version für monatlich 20 US-Dollar herausgebracht. Sie soll auch bei hoher Auslastung Zugriff, schnellere Antworten und schnelleren Zugang zu neuen Funktionen bieten.

Nach dem Erfolg von ChatGPT ist davon auszugehen, dass alle großen Tech-Unternehmen schnell reagieren werden. Google jedenfalls „flippt“ derzeit wegen ChatGPT „aus“, wie das Online-Magazin The Verge berichtet. Demnach will Google „in diesem Jahr“ 20 neue KI-Produkte auf den Markt bringen, darunter eine Demo einer Suchmaschine mit Chatbot-Fähigkeiten.

Gefährliches Halbwissen

Bei aller Begeisterung über die Fähigkeiten von ChatGPT und anderen Sprachmodellen darf man die Einschränkungen dieser Systeme nicht aus den Augen verlieren. So bringen ChatGPT & Co. zwar schöne, gut gebaute Sätze zustande. Auch wenn das Etikett „künstliche Intelligenz“ an den Sprachmodellen klebt, haben sie kein wirkliches Weltwissen. Da die Texte nur auf Wortwahrscheinlichkeiten beruhen, können sich falsche Angaben einschleichen. Im folgenden Artikel zeigen wir einige Beispiele, etwa wie wir ChatGPT dazu „überreden“, 5 + 5 = 11 als richtig anzusehen – das geht nach einem Update inzwischen nicht mehr.

Derzeit lässt sich kaum prüfen, ob ein Text aus der Feder eines Menschen oder einer KI stammt. Informationen hinterfragt man vielleicht eher, wenn sie unkontrolliert aus einem Automaten stammen, als wenn ein Mensch sie geschrieben hat, dessen Expertise für das Thema vielleicht sogar kennt. Umso wichtiger ist es, Texte zu kennzeichnen, die komplett von einer KI geschrieben wurden. Im Januar war bekannt geworden, dass das Online-Portal CNET Dutzende von KI-Artikeln ungeprüft veröffentlicht hatte, ohne sie als solche zu kennzeichnen. KI-generierte Inhalte können auch zu urheber- und anderen rechtlichen Problemen führen. Der Artikel ab Seite 70 behandelt diese und andere rechtliche Fragen von Texten, Bildern und anderen per KI künstlich generierten Inhalten.

Fazit

Rechnen, lesen, schreiben, eine KI einen Text schreiben lassen: Falls Sie ChatGPT noch nicht ausprobiert haben, sollten Sie das nachholen. Der Umgang mit KI-Textwerkzeugen wird über kurz oder lang zu den digitalen Grundfertigkeiten gehören. Fiktionale und künstlerische Texte, bei denen der Wahrheitsgehalt und die Faktenlage keine große Rolle spielen, gelingen der KI erstaunlich gut. Es macht Spaß, den Bot ein Gedicht über das Rindfleischetikettierungsüberwachungsaufgabenübertragungsgesetz oder eine Geschichte über die Begriffe schreiben zu lassen, die gerade bei Twitter trenden. (jo@ct.de)

Weiterführende Links: ct.de/y8mv

Kommentare lesen (1 Beitrag)