MIT Technology Review 1/2016
S. 10
Aktuell

Der Schlammfresser

Diesem schwimmenden Roboter geht nie der Saft aus. Schmutzwasser hält ihn in Schwung.

Foto: Bristol University

I st das noch eine Maschine oder schon ein Lebewesen? Britische Wissenschaftler haben einen Roboter gebaut, der nicht nur über Wasser paddelt wie eine Ruderwanze. Der Row-bot gewinnt seine Energie auch wie ein Organismus – indem er organische Nahrung gewissermaßen verdaut.

Genau genommen sind es Bakterien, die diese Arbeit verrichten – in einer sogenannten mikrobiellen Brennstoffzelle (Microbial Fuel Cell, MFC). Als Futter dient Abwasser. Unter Sauerstoffabschluss läuft ein Gärprozess ab: Mikroorganismen zerlegen die darin enthaltenen Kohlenwasserstoffe in Kohlendioxid, Protonen und energiereiche Elektronen. Normalerweise würden die Bakterien diese energiereichen Elektronen für ihren eigenen Stoffwechsel nutzen. Aber in der Brennstoffzelle werden sie über eine Anode abgesaugt. Die Protonen wandern durch eine Membran zur Kathode. Eine elektrische Spannung entsteht, die über einen äußeren Verbraucher Strom fließen lässt.

Zugegeben, die Idee ist nicht ganz neu: Bereits 1911 beschrieb Michael Potter, Professor für Botanik an der University of Durham, eine einfach aufgebaute biologische Brennstoffzelle. Weil die Spannung, die sich aus solchen Zellen gewinnen lässt, nicht besonders hoch ist, geriet die Technologie aber in Vergessenheit. Dann entdeckte der Koreaner Byung Hong Kim in den 1990er-Jahren, dass bestimmte Bakterienarten sich besonders gut für diese Zellen eignen. Die Idee erlebte eine Renaissance. Denn anders als herkömmliche Batterien liefern mikrobielle Brennstoffzellen praktisch unbegrenzt Strom – solange die Bakterien am Leben sind und genug zu futtern haben.

Dafür reicht beispielsweise kohlenstoffreicher Dreck. Sie können also Sensoren mit Energie versorgen, die etwa die Wasserqualität von Flüssen überwachen. Mehrere Start-ups arbeiten auch an biologischen Brennstoffzellen, die aus industriellen Abwässern Energie gewinnen. Das US-Unternehmen Waste2Watergy beispielsweise will dazu Brauerei-Abwässer nutzen.

Noch reizvoller erschien es den Forschern am Bristol Robotics Laboratory allerdings, mit solchen MFCs einen Roboter zu bauen, der völlig autark ist. Bereits 1999 präsentierte Ian Kelly seine Pläne für eine skurrile Maschine: Der SlugBot sollte durch Gemüsebeete fahren, mit seiner Kamera Schnecken aufspüren, diese mit einem Greifarm in seinen Tank befördern und daraus Energie gewinnen. Das Gerät kam über das Konzeptstadium aber nie hinaus.

„Die größte Herausforderung ist, die Energieversorgung hochzuskalieren“, sagt Projektleiter Ioannis Ieropoulos. „Wir machen das, indem wir die Brennstoffzellen miniaturisieren und dann mehrere Zellen zusammenschalten.“ 2003 präsentierten die Wissenschaftler um Ieropoulos den EcoBot I – angetrieben von acht mikrobiellen Brennstoffzellen, die mit aufgelöstem Würfelzucker betankt wurden.

2005 gelang den Forschern mit EcoBot II erstmals der Sprung zu „roher“ Nahrung: Seine acht Brennstoffzellen konnten Garnelenschalen, verrottete Früchte und Abwasser verarbeiten. Die dritte Generation, der 2010 fertiggestellte EcoBot III, lässt sich gar mit toten Fliegen betreiben. „Es mag bizarr klingen, einen Roboter mit Fliegen zu füttern“, räumt Ieropoulos ein. „Aber Chitin, der Hauptbestandteil von Insektenpanzern, ist ein Mehrfachzucker. Bei der Arbeit mit verschiedenen Substraten haben wir herausgefunden, dass Chitin die meiste Energie liefert.“ Anfangs wollten die Forscher die Fliegen sogar mithilfe künstlicher Pheromone anlocken, um sie dann wie bei einer fleischfressenden Pflanze in einen künstlichen Magen zu leiten. Die Idee erwies sich aber als zu aufwendig.

Der kürzlich entwickelte Row-bot dagegen muss keine solchen Kunststücke vollbringen. Er gleitet, von vier Rudern angetrieben, über die Wasseroberfläche und muss nur sein Maul öffnen. Dann strömt nährstoffhaltiges Wasser ins Innere seiner Brennstoffzelle. Die Bakterien dort stammen aus Klärschlamm, die zunächst einige Tage in der Zelle mit Nährlösung vermehrt werden.

Dass die Brennstoffzelle genügend Energie erzeugt, um den Roboter anzutreiben, haben die britischen Forscher bisher allerdings nur im Prinzip gezeigt: Sie schleppten die Zelle durch das Wasser und maßen ihre elektrische Leistung. Das Wasser, das die Zelle schluckt, ist noch künstlich mit Nährlösung angerührt. Und auch die Rudermechanik und die Klappenöffnung für die Brennstoffzelle hingen noch an einem externen kleinen Steuerrechner.

Im nächsten Schritt wollen die Wissenschaftler alle Komponenten zusammenbauen. Dann soll der Roboter auch selbstständig nach Nahrung suchen – ähnlich wie sein großer Bruder EcoBot III, der vollautomatisch feste Futterstationen ansteuern kann. Der Row-bot könnte sich beispielsweise an Konzentrationsunterschieden im Wasser orientieren – und dabei sowohl Nahrung finden als auch die am stärksten belasteten Zonen eines Gewässers. Wolfgang Stieler